#schlauzuhiv • SARS-CoV-2 und HIV – als wäre ein Virus nicht genug!

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Nach aktuellem Wissensstand scheinen Menschen

mit einer gut behandelten HIV-Infektion, d. h. einer Viruslast unter der Nachweisgrenze und normaler CD4-Zellzahl (>200/μl), kein erhöhtes Risiko zu haben, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren oder schwer an COVID-19 zu erkranken. Auf der 23. International AIDS Conference, die vom 6. bis 10. Juli erstmalig virtuell stattfand, wurde ein Tag dem Thema COVID-19 gewidmet. Priv.-Doz. Dr. Christoph Boesecke, Universitätsklinikum Bonn, hat am Kongress teilgenommen. Wir haben mit ihm gesprochen.

Was wissen wir über das neue SARS-CoV-2-Virus, wenn wir es vor dem Hintergrund einer bestehenden HIV-Infektion betrachten?

Es gab eine gesamte Session bei der Konferenz, die sich nur COVID-19 gewidmet hat. Die gute Nachricht, die sich in den letzten Monaten abzeichnete, wurde durch die internationale Vernetzung von den Behandlern und dem daraus resultierenden Erfahrungsaustausch bestätigt: HIV-Positive unter Therapie stecken sich nicht häufiger mit SARS-CoV-2 an, und wenn sie sich infizieren, haben sie keinen schwereren Krankheitsverlauf als Menschen ohne HIV-Infektion. Noch nicht ganz geklärt ist die Idee, dass HIV-Positive vielleicht sogar ein geringeres Risiko haben, einen schweren Verlauf von COVID-19 zu erleiden. Die Idee ist nicht ganz abwegig. Bei COVID-19 kann es in der zweiten Phase zu einer Überreaktion des Immunsystems kommen, die Organe wie z. B. die Lunge oder das Herz schädigt. Man vermutet, dass die HIV-Therapie diese Überreaktion mindern oder verhindern kann.

Was sind die Implikationen für Sie als Behandler und was ist für Menschen mit einer HIV-Infektion jetzt wichtig?

Ich arbeite im Krankenhaus und dort ist es noch mehr als in den Arztpraxen wichtig gewesen, Kontakte zu reduzieren. Wir haben Sprechstunden reduziert, und auch Patienten haben von sich aus die Besuche eingeschränkt. Wichtig ist, dass die Laboruntersuchungen nicht zu lange rausgezögert werden, und natürlich, dass die Versorgung mit den Medikamenten sichergestellt ist. Das ist übrigens auch ein besorgniserregendes Ergebnis der Konferenz: In anderen Ländern funktioniert das weit schlechter. WHO und UNAIDS warnen, dass in einigen Ländern die Sterblichkeitsrate von HIV/Aids auf den Stand von vor über zehn Jahren zurückfallen könnte. Das ist wirklich dramatisch.

Foto: Kevin Laminto

Was können wir aus unserem Umgang mit HIV für den Umgang mit der aktuellen COVID-19-Pandemie als Gesellschaft lernen?

Ich glaube, zwei wesentliche Dinge. Nur wenn alle mitmachen in einer Solidargemeinschaft, dann können wir auch etwas erreichen – in diesem Fall die Ansteckungszahlen reduzieren. Und Vorsicht vor Stigmatisierung Erkrankter oder von Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, z. B. in Risikogebieten unterwegs waren.

Seit Beginn der Pandemie schwappten immer wieder vorgebliche Schutzwirkungen bzw. Heilungsvermutungen durch bestimmte Wirkstoffe der HIV-Therapie durch die Medien. Auch die PrEP wurde zeitweise als eventuell wirksam gegen eine Übertragung bzw. einen Ausbruch von/mit SARS-CoV-2 bzw. COVID-19 gehandelt, es wurden Studien gemacht. Was kann zu diesem Komplex aktuell gesagt werden?

Leider hat sich vor allem die Hoffnung in die Proteasehemmer bisher nicht erfüllen können. Es spielt wohl auch eine Rolle, zu welchem Zeitpunkt einer COVID-19-Erkrankung sie eingesetzt werden, es gab mehrere Studien, aber keine hat signifikante Wirksamkeit von HIV-Proteasehemmern nachweisen können. Beim PrEP-Wirkstoff Emtricitabin/Tenofovir laufen aktuell noch Studien, eine größere in Europa, da bleibt es noch spannend. Allerdings ist es auf keinen Fall zu raten, eine bestehende HIV-Therapie zu verändern oder mit der PrEP anzufangen, um sich vor einer SARS-CoV-2 Infektion zu schützen.

*Interview: Christian Knuth

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