Harry Macqueen über „Supernova“ mit Colin Firth und Stanley Tucci

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Foto: 2020 British Broadcasting Corporation, The British Film Institute, Supernova Film Ltd.

Foto: 2020 British Broadcasting Corporation, The British Film Institute, Supernova Film Ltd.

Harry Macqueen, geboren 1984 in London, begann seine Karriere als Schauspieler und stand erstmals für den Film „Ich & Orson Welles“ von Richard Linklater vor der Kamera. 2014 brachte er mit dem zarten Freundschaftsdrama „Hinterland“ seinen ersten eigenen Film als Regisseur und Drehbuchautor ins Kino (und spielte auch gleich die Hauptrolle). Für seinen zweiten Film, „Supernova“ (ab 14.10. in den deutschen Kinos), konnte er nun Colin Firth und Stanley Tucci als Hauptdarsteller gewinnen, die als schwules Paar brillieren.

Mr. Macqueen, Ihr neuer Film „Supernova“ handelt von einer schwulen Langzeitbeziehung, und einer der beiden Protagonisten ist an einer frühen Form von Demenz erkrankt. Haben Sie als junger Regisseur von 37 Jahren einen persönlichen Bezug zu der Thematik?

Vor ungefähr sechs Jahren erkrankte jemand in meinem näheren Umfeld an der Krankheit, deswegen ist diese Geschichte für mich eine wirklich persönliche Angelegenheit. Ich habe viel Zeit mit Menschen verbracht, die an Demenz leiden, und viel über diese Krankheit gelernt. Das war eine Erfahrung, die mich tief bewegt und sicherlich mein Leben und meinen Blick darauf verändert hat.

Und der Film ist jetzt Ihr Weg, das zu verarbeiten?

Vielleicht kann man das so sagen. Aber ich wollte auch davon erzählen, wie sich die Liebe verändert, wenn wir uns dem Lebensende nähern, und was es mit einer Beziehung macht, wenn man weiß, dass die zu Ende geht. Und natürlich, welche ganz speziellen Auswirkungen diese schwierige und komplexe Krankheit nicht nur auf den Betroffenen hat, sondern auch auf die Menschen und Beziehungen in seinem Leben.

Foto: 2020 British Broadcasting Corporation, The British Film Institute, Supernova Film Ltd.

Viele junge Filmemacher halten sich erst einmal lieber an autobiografisch inspirierte Geschichten ...

Klar, weil es einem natürlich leichter fällt, über etwas zu schreiben, das man selbst erlebt hat und aus erster Hand kennt. Und es war auch eine echte Herausforderung, die Geschichte in meinem Film so authentisch und subtil wie möglich zu erzählen, denn weder bin ich in dem Alter meiner Protagonisten noch habe ich Demenz am eigenen Leib erlebt. Aber dem wollte ich mich stellen, weil mir das Thema so am Herzen liegt. Also recherchiert man dann eben, verbringt Zeit mit Betroffenen und hört zu – und geht mit der größtmöglichen Empathie an die Sache heran.

Warum war es Ihnen wichtig, dass im Zentrum nicht ein heterosexuelles Paar, sondern zwei Männer stehen?

Die Themen des Films sind natürlich eigentlich sehr universell. Liebe im Angesicht des Todes oder auch die Frage, was es heißt, sich wirklich um jemanden zu kümmern, den wir lieben – das kann jeder nachvollziehen, deswegen hätte man die Geschichte natürlich auch mit einem Mann und einer Frau erzählen können. Dass ich mich für ein schwules Paar entschieden habe, ändert nichts – und es ändert doch alles.

In welchem Sinne?

Für mich als Künstler ist es wichtig, dass meine Arbeit progressiv und mindestens auf der Höhe der Zeit ist, statt in alten Strukturen verfangen zu sein. Deswegen stand von Anfang an ein gleichgeschlechtliches Paar im Zentrum meiner Geschichte. Und im Zentrum steht ihre Beziehung, nicht ihre sexuelle Orientierung, die im Gegenteil nicht einmal thematisiert oder kommentiert wird. Diese absolute Selbstverständlichkeit und Normalität, zumal bei zwei Männern dieses Alters, sieht man im Kino immer noch viel zu selten, deswegen hat die Entscheidung für diese Protagonisten in meinen Augen durchaus eine Relevanz.

Foto: 2020 British Broadcasting Corporation, The British Film Institute, Supernova Film Ltd.

Gerade weil man Geschichten dieser Art noch immer eher selten sieht, bekommen sie quasi automatisch das Label „Queer Cinema“ verpasst. Fühlt man sich als Filmemacher da nicht sehr in eine Schublade gepresst?

Natürlich bin ich mir bewusst, dass das passieren kann. Aber ich vertraue darauf, dass meine Geschichte die Kraft hat, solche Labels auch zu sprengen. Denn jedes Kunstwerk steht für sich und sollte sich durch nichts beschränken lassen. Gleichzeitig gehören solche Kategorien immer auch zur Vermarktung eines Films dazu und können dabei helfen, bestimmte Türen zu öffnen und Zielgruppen zu finden. Überhaupt freue ich mich natürlich, wenn ein queeres Publikum den Film für sich reklamiert und sich darin wiederfindet.

Wie haben Sie sich eigentlich für Colin Firth und Stanley Tucci als die perfekten Hauptdarsteller entschieden?

Mit meiner tollen Casting-Agentin habe ich eine ganze Reihe toller Schauspieler durchgesprochen, und wir kamen früh auf den Gedanken, dass es reizvoll sein könnte, wenn nur einer der beiden Männer Engländer ist. Wir hatten dann das Glück, dass wir Stanley das Drehbuch zukommen lassen konnten und er auch Zeit hatte, es zu lesen. Er war sehr angetan, und als wir uns trafen, erzählte er mir, dass Colin Firth einer seiner besten Freunde sei, was für eine derart intime Geschichte natürlich unglaublich hilfreich war. Und es stellte sich dann heraus, dass er Colin das Skript sogar schon weitergeleitet hatte und der interessiert war. Es ging also alles ganz schnell und ich hatte wirklich riesiges Glück. Mir ist sehr bewusst, dass ich vermutlich nie wieder einen Film drehen werde, bei dem das alles so einfach und problemlos laufen wird.

Die beiden sind fantastische Schauspieler, aber eben auch heterosexuell. Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht? Die Frage, wer welche Rollen spielen sollte und welche Chancen damit womöglich unterprivilegierten Schauspieler*innen verbaut werden, wird ja derzeit heftig diskutiert.

Dass wir solche Fragen diskutieren, finde ich auch unglaublich wichtig, und ich finde, es liegt in der Verantwortung von uns Regisseur*innen, dass wir uns da auch wirklich Gedanken drüber machen. Bei der Besetzung aller Rollen und der Zusammenstellung des Teams müssen wir dafür sorgen, dass größtmögliche Offenheit in alle Richtungen herrscht und jeder eine Chance bekommt. Aber dann geht es natürlich auch darum, die bestmöglichen oder bestgeeigneten Mitstreiter*innen für ein Projekt zu finden. Das waren für die Hauptrollen in meinem Fall Stanley und Colin. Und zwar nicht nur, weil sie schauspielerisch fantastisch sind.

Sondern?

Weil es mir, wie gesagt, eine Herzensangelegenheit war, Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit herzustellen für eine Geschichte mit einem schwulen Paar im Zentrum. Und natürlich helfen zwei so prominente Hauptdarsteller wie die beiden enorm dabei, einen kleinen Film „Supernova“ auf ein ganz anderes Niveau zu heben, wenn es darum geht, möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen und ein großes Publikum zu erreichen. Aus diesem Grund alleine hätte ich nicht besetzt. Aber sie waren eben auch perfekt für diese Rollen.

*Interview: Patrick Heidmann


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