Jakob M. Erwa: „Da habe ich viel von mir und meiner Welt hineingepackt“

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Foto: Joyn / NEUESUPER / A. Uhlig

Panische Menschen, dichter Rauch und ein Meer an Einsatzkräften: Was für ein Unglück hat sich am Münchner Hauptbahnhof ereignet? Diesem Ereignis geht die brandneue Coming-of-Age-Serie „Katakomben“ auf den Grund.

Foto: M. Rädel

Jakob, „Katakomben“ ist Ihr erstes Projekt seit dem Kinofilm „Die Mitte der Welt“. Wie kam es dazu?

Nach der Verleihung des Bayerischen Filmpreises, den ich für „Die Mitte der Welt“ bekommen habe, haben mich die Jungs von der Produktionsfirma NEUESUPER angesprochen. Die mochten, was ich da auf der Bühne gesagt hatte, und fragten, ob wir nicht einmal zusammen ein Projekt entwickeln wollen. So habe ich dann angefangen, mit Florian Kamhuber an einer Geschichte über moderne Liebe zu arbeiten, an der wir auch nach wie vor noch dran sind. Doch irgendwann kam uns „Katakomben“ in die Quere, weil Flo einen Zeitungsartikel über das Tunnelsystem unter München gelesen hatte und mich fragte, ob wir nicht schnell mal eine Geschichte dazu pitchen wollen. Wir haben uns dann drei Tage in Berlin eingeschlossen, einen groben Plot überlegt und die Figuren entwickelt.

Entstanden ist jetzt eine spannende Mischung aus Coming-of-Age-Geschichte und Sozialdrama mit Gruselthriller-Elementen ...

Geschichten über junge Menschen finde ich immer cool, denn über die sogenannte First-Life-Krise kann man einfach spannende Sachen erzählen. Aber besonders interessant an unserer Idee fand ich tatsächlich die soziale Komponente. Das ist schließlich schon eine perfide Sache. München ist einerseits diese schicke, cleane, teure Stadt, in der es immer heißt, dass es kein Drogenproblem gibt. Doch andererseits gibt es eben diese Katakomben, wo plötzlich eine Grauzone und all die Leute akzeptiert werden, die oben das saubere Stadtbild zerstören würden. Also Drogensüchtige, Obdachlose oder Sexarbeiter*innen. Das fand ich heftig. Und ich wollte unbedingt einen Weg finden, diese beiden Welten aufeinanderknallen zu lassen und – bei aller Unterhaltung – etwas Kritisches über unsere Gesellschaft zu erzählen.

Foto: Joyn / NEUESUPER / A. Uhlig

War von Anfang an klar, dass Sie die Geschichte als Serie erzählen wollen?

Ja, das war tatsächlich von Anfang an klar. Da habe ich nie drüber nachgedacht, ob man auch einen Film draus hätte machen können. Mich hat diese Art des Erzählens eh interessiert, und ich habe auch andere serielle Ideen, an denen ich arbeite. Schon damals in Österreich habe ich nach meinem ersten Film „Heile Welt“ eine kleine Miniserie gemacht: „Tschuschen:Power“. Ich finde das Format einfach toll, weil man viel länger und kleinteiliger erzählen und sich tiefer auf Figuren einlassen kann. Aber nicht zu früh freuen – ich werde auch weiterhin Filme drehen. Hahaha.

Gibt es unter den vielen Figuren der Serie welche, die Ihnen besonders am Herzen liegen?

Janosch, der queere Influencer und beste Freund der Protagonistin, ist auf jeden Fall eine Figur, die mir sehr wichtig und nah ist. Da habe ich viel von mir und meiner Welt hineingepackt. Und an ihm Fragen von Zugehörigkeit, Entwurzelung und dem Zwiespalt, zwischen mehreren Welten zu stehen, durchgespielt, die man nicht zuletzt als queerer Mensch kennt. Mir war sehr wichtig, dass er nicht nur schillernd ist, sondern auch eine echte Breite und Tiefe bekommt. Aus der eher oberflächlichen Figur am Anfang wird schließlich eine ganz traurige, feine und suchende.

Mit der ActOut-Aktion und dem zugehörigen Manifest hatten kürzlich 185 deutsche Schauspieler*innen ihr öffentliches Coming-out. Wie fanden Sie das?

Das war ein ganz großer, längst überfälliger Schritt. Ich habe darüber mit vielen Kolleg*innen vor und hinter der Kamera in den letzten Jahren immer wieder gesprochen und mir genau so etwas gewünscht. Eine breite Front, die daherkommt und sagt: „Wir sind hier und wir sind überall.“ Dass man die Privatleben eines Schauspielers oder einer Schauspielerin von ihrer Arbeit trennen kann, sollte eigentlich kein Problem sein. Aber auch das ist noch lange nicht selbstverständlich, deswegen muss man immer mal wieder solche großen Bretter fahren.

Foto: Joyn / NEUESUPER / A. Uhlig

Es geht in diesem Kontext immer auch darum, wen man für welche Rollen besetzt. In der neuen Serie „It’s a Sin“ zum Beispiel werden alle queeren Rollen auch von queeren Schauspielern gespielt ...

Ich würde das jedes Mal als Einzelfall behandeln. Ich arbeite seit Langem an einem Film mit dem Titel „Valeska“ über eine trans* Frau, den ich unter anderem deswegen noch nicht umgesetzt habe, weil ich einfach noch keine perfekte trans* Schauspielerin für die sehr herausfordernde Rolle gefunden habe. Da muss man sich dann die Frage stellen, ob ein Projekt gar nicht stattfinden soll, bloß weil man nicht „politisch korrekt“ besetzen kann? Ist das sinnvoll, wenn es gleichzeitig bedeutet, dass die entsprechenden Themen womöglich gar nicht auf der Leinwand behandelt werden? Man kann außerdem nicht unsere Situation hier im deutschsprachigen Raum mit den USA oder so vergleichen.

In welcher Hinsicht?

Englischsprachige Produktionen wie gerade „It’s a Sin“ haben es natürlich wesentlich leichter, alle queeren Rollen mit queeren Schauspieler*innen zu besetzen. Schon einfach, weil der Markt riesig ist – und es gleichzeitig sehr viel früher Role Models gab und sich das Selbstbewusstsein entwickelt hat, dass man queer sein und trotzdem als Schauspieler*in zum Star werden kann. So weit sind wir noch nicht. Weswegen eben ActOut auch so ein Meilenstein war. Allein um zu zeigen, was für einen großen Pool an queeren Schauspieler*innen es gibt, der einem zur Verfügung steht, wenn man bewusst so besetzen und die Community stärken will.

Foto: M. Rädel

Kurz noch ein Blick zurück zu Ihrem Film „Die Mitte der Welt“, der in diesem Jahr seinen fünften Geburtstag feiert. Wie haben Sie es damals erlebt, dass der ganz große Erfolg an der Kinokasse ausblieb?

Angesichts der wahnsinnig langen Entstehungsgeschichte und der Tatsache, dass die Vorlage ein Bestseller war, war ich im ersten Moment schon sehr ernüchtert und enttäuscht, dass die Sache nicht so aufgegangen ist, wie ich es erhofft hatte. Und war auch eifersüchtig auf Filme wie „Love, Simon“ und „Call Me By Your Name“, die als queere Filme groß und aufwendig vermarktet wurden und stolz riesige Banner gedruckt bekamen. Während bei unserem Film die Thematik eher versteckt wurde und man nicht wusste, wie man damit umgehen soll. Das hat mich schon sehr frustriert. Aber natürlich freue ich mich auch, dass der Film dann trotzdem noch ein kleines Eigenleben entwickelt hat. Es gibt sehr viele Leute, die den Film kennen, und denen er – so wie mir damals das Buch – irgendwie geholfen hat.

Würde er heute besser laufen?

Vielleicht. Gerade durch Streamer wie Netflix ist die queere Community im Moment ja wieder stärker vertreten in den Geschichten, die erzählt werden. Dadurch kommen diese Themen und Figuren in der Gesellschaft stärker an und werden selbstverständlicher. Und die Leute wollen das scheinbar sehen. Es ist traurig, das sagen zu müssen, aber wenn ich im Moment einen queeren Stoff hätte, würde ich damit vermutlich eher bei einem Streamingdienst anklopfen als bei einem Kinoverleih.

*Interview: Patrick Heidmann

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