Dome Karukoski: „Ich bin sozusagen eine männliche Schwulenmutti.“

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Wir sprachen mit dem Regisseur des Kinofilms „Tom of Finland“, der am 5.10. in die Kinos kommt. Wir verlosen zusammen mit MFA+ FilmDistribution Karten auf www.blu.fm/gewinne!

Foto: Marek Sabogal

Herr Karukoski, kann es sein, dass es eine Weile gedauert hat, bis „Tom of Finland“ Wirklichkeit wurde? Angekündigt wurde der Film doch schon vor etlichen Jahren, oder?

Es kann sein, dass Sie das mit einem zweiten Projekt verwechseln. Eine Zeit lang sah es nämlich so aus, als würde es noch einen anderen Film über Tom of Finland geben. 2013 wurde der mit einigem Tamtam angekündigt, da hatte ich schon zwei Jahre an der Entwicklung meines Films gearbeitet und mir gerade die Rechte an den Kunstwerken von Tom of Finland gesichert. Das war ein bisschen verwirrend, und selbst innerhalb der Branche hatten viele es nicht auf dem Schirm, dass es da um zwei verschiedene Projekte ging. Aber ich hatte den langen Atem, deswegen sitzen wir nun hier.

War es für Ihren Film zwingend nötig, offiziell die Nutzungsrechte an den berühmten Zeichnungen zu haben?

Ja und nein. Einerseits war mein Gedanke immer, dass ich keinen Film nur für Fans von Tom of Finland drehen wollte, denn so berühmt seine Bilder auch sind, haben trotzdem viele Menschen sie noch nie gesehen. Und die sollten etwas von meinem Film haben. Deswegen sollten die Bilder nicht im Vordergrund stehen. Aber andererseits hätte es sich falsch angefühlt, den Film zu drehen, ohne die Rechte zu haben. Nicht dass ich die Geschichte nicht hätte erzählen können, ohne sie zu zeigen, doch das hätte sich angefühlt wie Piraterie oder so.

Foto: Josef Persson

Die Zeichnungen spielen ja durchaus eine Rolle im Film ...

Das stimmt, sie wurden zum Bestandteil der Erzählstruktur. Das hat sich zum Teil erst während des Drehens ergeben. Ich habe erst mit der Zeit wirklich verstanden, wie viel diese Bilder auch über das Leben von Tom of Finland alias Touko Laaksonen erzählen. Sie sind zwar erotische Fantasien, aber direkt beeinflusst von dem, was er erlebt hat. Dass er unter anderem Gefängniswärter gezeichnet hat, lässt sich nicht davon trennen, dass er selbst im Gefängnis saß.

Wie viele Freiheiten konnten Sie sich herausnehmen was die Lebensgeschichte von Laaksonen angeht?

Ich würde es so ausdrücken: Was die Emotionen angeht, ist „Tom of Finland“ sehr wahrhaftig. Aber natürlich sprechen wir nicht von einer Dokumentation, sondern von einem Spielfilm, und da muss man schon mal kreativ werden. Was die Jahreszahlen angeht, weichen wir aus dramaturgischen Gründen immer mal wieder von der Realität ab. Außerdem gibt es Bereiche in Laaksonens Biografie, über die es nicht wirklich Aufzeichnungen gibt. Den Alltag musste ich mir also ausdenken. Doch alle Eckpfeiler stimmen, und auch die verrücktesten Szenen, die wie erfunden wirken, haben sich tatsächlich ereignet.

Zum Beispiel?

Wir zeigen im Film eine Poolparty, während Toms Kalifornien-Aufenthalt, die von zehn amerikanischen Polizisten gesprengt wird, die exakt so aussehen, als seien sie der Fantasie von Tom of Finland entsprungen. Ist wirklich passiert. In der Realität waren es sogar noch mehr Cops, doch unser Budget reichte nur für zehn.

Wie steht es um die Liebesgeschichte? War er tatsächlich all die Jahre mit seinem Lebensgefährten zusammen?

Ja, die beiden waren 28 Jahre ein Paar, was ich unglaublich interessant und spannend finde, gerade in Anbetracht der hypersexuellen Bilder von Tom of Finland, die ja letztlich Sinnbild der Polygamie sind. Aber ja, trotz des Altersunterschieds von zwölf Jahren und diverser Eifersüchteleien waren Tom und Veli bis zu dessen Tod 1981 ein Paar. Damals wurden zwei Todesanzeigen veröffentlicht: eine von Velis Familie und eine von dem Restaurant, in dem er gearbeitet hat. In beiden wird Tom, also Touko, nicht einmal erwähnt – ist das nicht furchtbar?

Dieses Versteckspiel, das damals für schwule Männer noch an der Tagesordnung war, fängt Ihr Film sehr eindrücklich ein ...

Manches Detail habe ich sogar erst erfahren, als der Film längst im Kasten war. Wenn Velis Familie zu Besuch kam, gaben sich Toms Schwester und eine Bekannte immer als die Freundinnen der beiden Männer aus. Überhaupt war die Rolle von Toms Schwester in dieser Beziehung ja eine besondere. Ihr Bruder und sein Lebensgefährte waren die einzigen Männer in ihrem Leben. Sie waren ein eingeschworenes Team, das war beinahe eine Dreiecksbeziehung. Nur Toms Kunst konnte sie nie akzeptieren. Selbst als sie 15 Jahre nach Toms Tod die Nachricht bekam, dass seine Bilder im MoMA In New York ausgestellt werden, waren ihre Worte: Was denken die sich? Wer will diesen Schmutz sehen?

Sprach sie damit für die Mehrheit der Finnen? Oder ist man in Ihrer Heimat heute stolz auf Tom?

Aufgrund seines englischen Künstlernamens „Tom of Finland“, weil er amerikanische Polizeiuniformen zeichnete und seine Arbeiten in den USA veröffentlicht wurden, hielten die meisten ihn ja jahrelang für einen Amerikaner, der vielleicht mal in Finnland im Urlaub war. Erst nach seinem Tod 1991 wurde bekannt, dass er ein Finne namens Touko Laaksonen war. Damals schämten sich wohl viele. Man machte sich Sorgen um Finnlands Ruf im Ausland. Aber dank der Bemühungen nicht zuletzt der Tom of Finland Foundation änderte sich das später. Inzwischen gab es in Finnland sogar offizielle Briefmarken mit seinen Zeichnungen als Motiv. Verklemmte Konservative beschimpfen so etwas auch heute noch als Homo-Propaganda, doch insgesamt sind wir stolz auf Tom of Finland, nicht zuletzt in Helsinki.

Ich muss ja übrigens gestehen, dass ich automatisch davon ausgegangen war, dass Sie selbst auch schwul sind ...

Haha, da sind Sie nicht der einzige. Die Vermutung liegt bei der Thematik des Films nahe. Viele Journalisten scheinen davon auszugehen, auch weil ich Halb-Amerikaner bin, dass die Figur des Doug in meinem Film autobiografisch ist. Die glauben, dass ich mal der 16-Jährige war, dem die Zeichnungen von Tom of Finland beim Coming-out geholfen haben.

Und wie ist es wirklich? Was hat Sie als heterosexuellen Mann an Tom of Finland interessiert?

Ich glaube, ich bin so schwul, wie man es als Heten-Mann nur sein kann. Ich komme aus einem sehr linken und vor allem liberalen Haushalt. Mein Vater ist Künstler, meine Mutter, mit der ich aufgewachsen bin, ist Journalistin. Und ich hatte und habe ziemlich viele schwule Freunde. Ich bin sozusagen eine männliche Schwulenmutti. Schwule Männer waren nie etwas, das mich in meiner Männlichkeit und Heterosexualität bedroht hätte. Berührungsängste gab es also keine. Deswegen hat mich Tom of Finland nicht nur interessiert, weil ich selbst mal an der Kunsthochschule studiert habe, sondern auch, weil er einen Weg gefunden hat, den Leuten zu zeigen, dass ihre Fantasien und Fetische nichts sind, wofür sie sich schämen müssen. Und das zu einer Zeit, als er noch fürchten musste, für seine Homosexualität im Knast zu landen oder kastriert zu werden.

Foto: MFA Film

Erinnern Sie sich noch daran, wann Sie zum ersten Mal seine Zeichnungen gesehen haben?

Ja, da muss ich 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein. Einer meiner Freunde, der sich wenig später geoutet hat, hatte einen der Comics. Wir hatten selbst noch nicht mal Haare am Sack, aber guckten uns mit großen Augen die Bilder dieser riesigen Schwänze an. Wir waren natürlich fürchterlich albern, aber auch voller Ehrfurcht, denn wir hatten keine Ahnung, dass es womöglich Penisse in dieser Größe gibt. Später kam dann auch Bewunderung für sein künstlerisches Talent hinzu und nicht zuletzt durch Gespräche mit meinen schwulen Freunden ein Verständnis dafür, was für eine unglaubliche Wirkung es auf junge Homosexuelle haben kann, wenn sie zum ersten Mal begreifen, dass ihr Interesse an Schwänzen nichts Abartiges ist, sondern sogar Kunst sein kann.

Trotzdem sind die Zeiten heute ganz andere als die, in denen Tom of Finland erfolgreich wurde ...

Keine Frage. Aber nicht nur in Finnland sind LGBTIQ*-Kids diejenigen, die es am schwersten haben und am ehesten zum Selbstmord neigen. 13-, 14- oder 15-Jährige, die schwul, lesbisch oder transsexuell sind, werden immer wieder verprügelt oder beschimpft. Dass das immer noch so ist, macht die Geschichte unseres Films zeitgemäß. Zumindest hoffe ich, dass „Tom of Finland“ zum Verständnis beitragen kann, dass es so etwas wie „anders sein“ eben eigentlich nicht gibt. Normalität und Selbstverständlichkeit in Sachen Homosexualität, darum geht es mir. Deswegen war es für mich auch so eine große Genugtuung, die Werbung für unseren Film im finnischen Fernsehen zu sehen. Zwei Männer beim Sex zur besten Sendezeit, das ist doch was!

Apropos Sex: Für einen Film über den vielleicht bekanntesten Zeichner homoerotischer Illustrationen aller Zeiten kommt in „Tom of Finland“ übrigens erstaunlich wenig Sex vor. Warum?

Na ja, wir zeigen Sexklubs und Blowjobs, sogar eine Erektion ist zu sehen. Außerdem haben wir auch eine richtige Sexszene zwischen Tom und seinem Lebensgefährten gedreht, aber ehrlich gesagt konnte die es in Sachen Erotik nicht mit seinen Zeichnungen aufnehmen. Deswegen flog sie raus. Überhaupt ging es ja darum, den tristen, grauen Alltag in Finnland zu zeigen, um das Gefälle zu Toukos Fantasie und Kunst umso größer zu machen – und zu Amerika, wovon er ja immer träumte. Abgesehen davon bin ich ein bisschen erstaunt, dass gerade schwule Kritiker sich beschweren, der Film sei nicht sexuell genug. Eigentlich fordern doch genau die immer, dass Geschichten über schwule Männer nicht immer nur von Sex handeln, sondern homosexuelles Leben in aller Komplexität zeigen sollen – was ich unterschreiben würde und mit diesem Film versucht habe.

*Interview: Jonathan Fink

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