TORI AMOS - „SEI ELEGANT, DANN WIRD ALLES GUT“

Tori Amos ist seit ihren Hits „Winter“ und „Cornflake Girl“ Anfang der 90er aus dem Pop-Business nicht mehr wegzudenken. Jetzt ist sie mit ihrem 14. Studio-Album „Unrepentant Geraldines“ und ihrem Bösendörfer Flügel auf Tour. Ein Gespräch über stilvolles Altern, jugendliche Auftritte in Schwulenbars und darüber, wie man Farben hört.

GUTEN TAG, FRAU AMOS...

Oh bitte, sag Tori!

GERN: HALLO TORI! NACH ZWEI ALBEN MIT ORCHESTER UND DER MUSICAL-PRODUKTION „LIGHT PRINCESS“ IM NATIONAL THEATRE IN LONDON HAST DU DEIN NEUES ALBUM „UNREPENTANT GERALDINES“ NUR MIT PIANO EINGESPIELT UND BIST JETZT AUCH OHNE BAND AUF TOUR. KEHRST DU DAMIT ZU DEINEN ANFÄNGEN ZURÜCK?

Das National Theatre ist ein bisschen wie eine kreative Armee: Hunderte Fachleute, alles hängt zusammen – aber das bedeutet auch, dass man nichts auf eigene Faust machen kann. Die Songs für „Unrepentant Geraldines“ habe ich zwischendurch geschrieben, nur für mich, ohne Ablieferungsdruck. Niemand wusste, dass ich sie schreibe, es waren quasi meine eigenen geheimen akustischen Selfies, private Reflexionen!

REFLEXIONEN WORÜBER? WAS HAT DICH INSPIRIERT?

Kunst! Seit Jahren haben mir die Leute Cezanne-Bücher geschenkt. Leute bei Konzerten. Zusätzlich schreiben sie schreiben etwas rein und wollen mir so wohl etwas beibringen. Und manchmal ist da Schönes dabei!

WIE CEZANNE?

Ja! So habe ich „Die schwarze Uhr" von Cezanne entdeckt, sie hat keine Zeiger. Das war kurz bevor ich 50 wurde, und ich dachte, meine Güte, wie sehr würde ich mir wünschen, dass meine eigene Uhr keine Zeiger hat! Dann habe ich sein Leben studiert, ich begann geradezu eine Jagd auf andere Maler seiner Zeit, egal, ob sie Konkurrenten oder Kollegen waren, ich habe sie alle studiert, egal ob in England, Frankreich, Deutschland! Eugène Delacroix, van Gogh, alle!

WIE WURDE DAS ZU MUSIK?

Ich habe die Bilder gehört. Das war früher nie so, aber auf einmal konnte ich Gemälde um Gemälde hören: Taktsequenzen, Melodik, Rhythmus. Während ich die Farben ansah, konnte ich die verschiedenen Schichten summen hören! Das bringt einen auf Ideen!

ALSO IST „UNREPENTANT GERALDINES“ DESWEGEN SO FARBENFROH?

Sehr vielfältig jedenfalls. So wie der Song mit meiner Tochter Tash, „Promise“. Tash ist 13, und im Song verhandeln wir darüber, wie wir miteinander umgehen, als Mutter und Tochter. Wir haben viel über Eltern geredet, die großen Einfluss auf das Leben ihrer Kinder nehmen und bewerten, wen sie daten. Ich sagte ihr: „Ich habe keine Ahnung, wie ich in dieser Situation handeln werde!“ Und sie sagte: „Keine Sorge, Du wirst es gut machen.“

WAREN DEINE ERSTEN AUFTRITTE IN SCHWULENBARS AUCH GUT? DA WARST DU JA ERST 13 ...

Das waren die einzigen Orte, wo man mich spielen ließ! Und ja, es war schön da. Tash ist in einer anderen Position, der Druck auf sie ist viel größer, sie steht viel mehr in der Öffentlichkeit. Von mir hat niemand etwas erwartet, ich war nur die Tochter irgendeines Pfarrers. Aber ich weiß nicht, ob meine Tochter auch Musik machen wird. Das Business ist sehr kurzlebig, anders als beim Schauspielern, wo es auch Rollen für ältere Frauen gibt. In der Musik brauchen Frauen, die seit 25 Jahren Musik machen, ihre eigene Nische. Da gibt es nur noch wenige, die überhaupt von einem Label unter Vertrag genommen werden, leider!

HAST DU DESWEGEN DEIN EIGENES LABEL „TRANSMISSION GALACTIC“ GEGRÜNDET?

Das habe ich gemacht, falls ich in der Zukunft Projekte machen möchte, Live-Shows von vor 15 Jahren veröffentlichen oder so. Aber für meine Karriere ist es notwendig, auf einem Major zu sein. Ein Album wie „Unrepentant Geraldines“ braucht ein großes Label für den weltweiten Release – und ich toure ja auch global.

DU HAST MAL GESAGT, DASS DEINE KONZERTE MEHR SEIN SOLLTEN ALS EINFACH NUR DAS ABSPIELEN VON MUSIK, WIE ALSO IST DER PLAN FÜR DEINE AKTUELLEN SHOWS?

Es ist eine One-Woman-Show, so habe ich seit 2005 keine Tour gemacht! Tash sagte mir: „Mach mehr Rock, Mom, geh raus, du kannst es noch!“ Und ich dachte: Ich sollte es wohl machen, solange ich es noch kann. Wer weiß, wie lange ich die Energie noch habe!

DU HAST JETZT SCHON MEHRFACH SELBST DEIN ALTER ERWÄHNT: LETZTES JAHR WURDEST DU 50 JAHRE ALT. UND, WIE WAR'S?

Mir haben viele Leute Mut gemacht, kreativ mit diesem Alter umzugehen. Manchmal haben wir bestimmte Vorstellungen, wie Leute mit 50 aussehen sollen. Manche Leute rebellieren dagegen und treffen krasse Entscheidungen.

WENN DU GRAUE HAARE BEKAMST, WÜRDEST DU SIE FÄRBEN?

(lacht) Ich färbe meine Haare doch, seit ich 17 bin! Vielleicht stehen mir graue Haare mit 60, mal gucken. Ansonsten muss sich jeder um sich selbst kümmern, wie er es für richtig hält. Manche Leute leben geradezu im Sportstudio. Die beneide ich manchmal: Jane Fondas Körper, Helen Mirrens Körper! Mein Gott, wollen die mich verarschen? Der Wahnsinn! Aber sie haben diese Körper ja auch nicht vom rumsitzen!

UND, DU UND DEIN KÖRPER, SEID IHR FREUNDE?

Ich bin viel auf Tour, das hält mich in Form. Aber für mich geht es mir bei meinem Aussehen auch gar nicht so sehr um den Körper, sondern um den Style. Und meine Tochter ist da ähnlich. Sie sagte zu mir: „Es ist simpel Mutter: keine schockierenden Outfits auf der Bühne, für die ich mich schämen würde. Du musst nicht mit den 20-Jährigen konkurrieren! Du kannst 50 sein und cool! Sei elegant, dann wird alles gut.“

EIN GUTER RATSCHLAG!

Ja, aber ich bin noch dabei, das zu lernen. Ich weiß nicht, wie es geht, 50 zu sein. Aber ich schäme mich auch nicht dafür, dass ich es nicht weiß.

•Interview: Tim Gerling

„Unrepentant“ Geraldines (Mercury/Universal), jetzt erhältlich

Tori auf Tour: 7.6. Linz, Brucknerhalle, 20 Uhr; 9.6. Stuttgart, Liederhalle, 20 Uhr, 10.9. München, Philharmonie am Gasteig, 20 Uhr

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