#KLASSIK – Alexandra Stréliski: Pianomusik aus der Liebesblase

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Foto: J. Berghorn

Die kanadische Pianistin hat sich für ihr drittes Album „Néo-Romance“ auf eine familiäre Spurensuche begeben und kommt nun mit vierzehn hin- wie mitreißenden Kompositionen zurück.

Alexandra Stréliski hockt in ihrer Wohnung in Montreal am Küchentisch, alles so weit die übliche Zoom-Szenerie. Nur, dass auf dem Regal hinter der 39-jährigen Pianistin und Songschreiberin keine Gewürze, Kochbücher oder Teller stehen, sondern – recht fein säuberlich aufgereiht, die Musikpreise, die Stréliski bisher gewann. Darunter auch der Juno-Award, Kanadas wichtigste Auszeichnung, den sie 2020 für ihr 2018 veröffentlichtes zweites Album „Inscape“ erhielt. „Oh, es war nicht meine Absicht, dir meine Meriten ungewollt unter die Nase zu reiben“, sagt die sympathische und gesprächige Musikerin mit einem sehr herzlichen Lachen. „Das Apartment ist halt nur recht klein, und die Preise mussten ja irgendwo hin.“

Alexandra Stréliski ist in Montreal geboren und groß geworden, hier hat sie auch studiert. Sie lebte aber auch mal einige Jahre in Paris und pendelt nun emsig hin und her zwischen der alten Heimat in Quebec und ihrem eigentlichen Hauptwohnsitz im niederländischen Rotterdam, wo sie mit ihrer Partnerin – einer Doktorandin aus Brasilien – zusammenlebt. „Natürlich bedeutet das viele Reisen auch Stress, und es gibt Tage, an denen würde ich mir nichts sehnlicher wünschen als ein normales, sesshaftes Leben mit Katze oder wenigstens ein paar Pflanzen. Doch ich weiß es auch zu schätzen und auszukosten, so viele unterschiedliche Kulturen und Lebenswirklichkeiten zu kennen.“

Zumal sich Stréliski für ihr neues und drittes Album „Néo-Romance“ auch dezidiert hat inspirieren lassen von der europäischen Klassikgeschichte, insbesondere natürlich der Romantik, sowie von ihren eigenen Ahnen. „Ich habe mir die Zeit genommen für eine gründliche Familienrecherche und dabei herausgefunden, dass eine ganze Reihe meiner Ahnen von meinen Großeltern an aufwärts extrem musikalisch war. Ich dachte lange, ich sei die einzige, aber eine Ur-Ur-Oma zum Beispiel lehrte Piano am Konservatorium in Paris.“ Stréliskis Vater ist Franzose, die Familie ist polnisch-jüdischer Abstammung, Teile der Familie lebten einst in Amsterdam. „Vielleicht fühle ich mich auch deshalb in Holland so besonders wohl.“ Zum Wohlfühlen, aber nicht nur, ist auch Alexandras Musik wie geschaffen. Ihre Kompositionen auf „Néo-Romance“ sind wundervoll warm und sehr melodisch, mal sehr ruhig („Border“, „Rêveries“), mal durchaus pulsierend („The Breach“), man kann sich in das Pianoalbum hineinlegen, und doch haben die Stücke ihre kleinen Haken, Borsten und Brüche. „Was ich an der Neoklassik oft nicht so schätze ist die Gleichförmigkeit vieler Nummern“, sagt Stréliski. „Manches scheint mir nur gemacht zu sein, um auf Streaming-Playlisten nicht unangenehm aufzufallen, nur gemacht für passives Hören.“

Nicht so bei der Kanadierin. Schließlich sei schon die allererste Komposition der kleinen Alexandra (mit sechs begann sie das Klavierspiel) „echt unheimlich und schräg gewesen“. „Atmosphère“ nannte die damals Achtjährige ihr Lied, und schon damals sei es ihr Traum gewesen, einmal Musik für Hollywoodfilme zu schreiben – was ihr bei den Soundtracks zu „Dallas Buyers Club“ oder „Demolition“ längst gelungen ist.

Nur leben möchte die Chopin-Liebhaberin Stréliski, die ihr erstes Album „Pianoscope“ 2010 noch zusammen mit ihrer Mutter vom heimischen Wohnzimmer aus per Post verschickte und sich so eine Fangemeinde aufbaute, nicht so gern in der Epoche der Romantik Anfang, Mitte des 19. Jahrhunderts. „Als lesbische Frau, die eine Karriere als Pianistin verfolgte, wäre ich damals wahrscheinlich nicht besonders weit gekommen. Auch wenn es stressig ist, möchte ich mein Leben in einer offenen und toleranten Liebesblase gegen nichts in der Welt eintauschen.“

*Interview: Steffen Rüth



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