Electric Callboy: „Wir bleiben unberechenbar“

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Foto: Sony Music

Beflügelt von einer Umbesetzung und einer Namensänderung zieht die Dance-Metal-Band aus Castrop-Rauxel auf ihrem neuen Album „Tekkno“ sogar noch mehr Register als ohnehin üblich.

Das wäre ein Fest geworden: „Aus einer Schnapslaune heraus“, wie Frontmann und Co-Sänger Kevin Ratajczak fröhlich erklärt, während er im Backstagebereich eines großen Festivals in der Schweiz mit uns telefoniert, hatte sich Electric Callboy beim deutschen Vorentscheid des diesjährigen Eurovision Song Contest beworben. In die Vorauswahl waren die sechs Jungs aus Castrop-Rauxel und Umgebung noch gekommen, doch dann verließ den für den ESC zuständigen Norddeutschen Rundfunk womöglich der Mut und die Band wurde aussortiert. „Es gab einen Riesenaufruhr, inklusive einer Petition mit über 100.000 Zuschriften, uns doch zu nominieren, aber der NDR, der kurz aus seiner Nussschale herauszukriechen schien, hatte sich wieder verkrochen und ging lieber auf die vermeintliche Nummer Sicher.“ Im Nachhinein sei man aber gar nicht so traurig darüber, nicht in Turin dabei gewesen zu sein, und noch einmal wolle man es auch nicht probieren, denn, so Kevin, „der ESC ist nicht wirklich unsere Welt.“

Dabei hätte der Song, mit dem Electric Callboy angetreten war, gar nicht besser zu der Over-The-Top-Veranstaltung passen können. Auf „Pump It“, einer der vorab veröffentlichten Singles von „Tekkno“, dem sechsten Album, vermischt die Band 80ies-Sounds, ein wenig Trash-Pop und unterhaltsames Heavy-Metal-Geschrei zu einem extrem vergnüglichen, stimmigen Ganzen. Im Video sieht man die verkleidungsfreudige und sich musikalisch noch sonst wie keinesfalls zu ernst nehmende Band beim Aerobic. „Unsere Kreativität und unser Ideenreichtum sind absolut unbeschnitten“, sagt Kevin, der sich den Sängerjob mit dem 2020 zur Band gestoßenen Nico Sallach teilt. „Wir machen uns einen großen Spaß daraus, uns immer wieder zu verwandeln und unberechenbar zu bleiben.“ Anfangs hatte es die 2010 gegründete Truppe, die ihren Namen im Frühjahr von Eskimo Callboy in Electric Callboy änderte („Das Wort ‚Eskimo‘ ist einfach heute problematisch“) noch schwer. „Wir haben uns damit geplagt, keine klare Identität zu haben. Es hieß häufig ‚Ihr seid nicht richtig Metal, ihr seid nicht richtig Pop, was macht ihr denn eigentlich?‘ Aber diesen wilden Mix, den lieben wir einfach immer schon am Allermeisten.“ Und nach und nach erspielte sich Electric Cowboy dann ein sehr diverses Publikum von Gleichgesinnten – seien es Rock- und Hardcore-Fans oder Leute, die sonst zu Deichkind oder Scooter gehen. Vor letzteren verneigten sich Electric Callboy vergangenes Jahr mit ihrem Scooter-auf-Speed-Metal-Song „Hypa Hypa“, dem bis dato größten Hit. Scooters HP Baxxter habe trotz Anfrage nicht auf der Nummer mitsingen wollen, selber schuld. „Wir gehen davon aus, dass er mittlerweile weiß, wer wir sind.“

Und natürlich setzen die überzeugten Ruhrgebietsbewohner auch auf „Tekkno“ ihr Stilmix-Spektakel fort. Ekstase, der Drang zum Durchdrehen und ausgeprägtes Gespür für Ironie durchziehen die Platte. Harte Synthies, harte Gitarren und harter Gesang sind die Hauptbausteine von Liedern wie „We Got The Moves“ oder „Spaceman“, aber das bedeutet nicht, dass Electric-Callboy-Freunde gefeit wären vor Überraschungen. „Fuckboi“ ist eine Huldigung an den Pop-Punk der frühen Nullerjahre und erinnert an eine Mischung aus Blink-182 und Avril Lavigne (den weiblichen Gesang steuern Conquer Divide bei), und „Hurrikan“ ist ein abgedrehter Ausflug in die seltsame Welt des Ballermann-Schlagers. Das Video drehten die Jungs sogar im berühmt-berüchtigten „Bierkönig“ auf Mallorca. „Diese Welt ist wirklich krass beeindruckend, und für einen Abend fanden wir es wirklich geil, ein Teil davon zu sein.“ Aber dann war es auch genug. *Interview: Steffen Rüth

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