Hurts: Zurück zur Essenz

by

Theo Hutchcraft und Adam Anderson wenden sich auf ihrem fünften, nach einer Krise entstandenen, Album „Faith“ wieder ganz ihrer Kernkompetenz zu: dem abgründig-melancholischen Synthiepop.

Als die beiden mittlerweile Mittdreißiger Theo Hutchcraft und Adam Anderson sich vor fünfzehn Jahren am Rande einer Kneipenschlägerei im heimischen Manchester kennenlernten, steckten sie persönlich in einer ganz ähnlichen Situation wie momentan viele. „Wir waren verunsichert, ein Stück planlos, ohne nennenswerte Arbeit, lebten von staatlicher Unterstützung und hatten keine Vorstellung, was die Zukunft bringt“, so Sänger Hutchcraft (33). „Wir fühlen mit den Menschen, die wegen der Corona-Krise gerade ratlos und voller Kummer vor ihrem Leben stehen und sich fragen, wie es weitergehen und woher das Geld für die nächste Miete kommen soll. Wir können uns damit identifizieren, was viele durchmachen, und ein bisschen geht es uns jetzt selbst ja auch wieder so wie 2005. Die Zeiten sind ohne Frage ungeheuer schwierig.“ Es mutet somit fast wie Vorsehung an, dass Theo im neuen Song „Voices“ ausgerechnet über Isolation sowie das Gefühl, im eigenen Kopf gefangen zu sein, spricht. „Ohne dass wir es hätten ahnen können, wurde eine persönliche Beklemmung zu einem global sehr weit verbreiteten Gefühl.“

Auch abgesehen von den allgegenwärtigen Corona-Qualen haben Hurts keine einfache Zeit hinter sich. Wieder einmal, muss man sagen. Litt der Multi-Instrumentalist während der Schaffensphase am vorherigen Album „Desire“ unter Depressionen (inzwischen geht es ihm besser), so musste zuletzt Hutchcraft eine emotionale Talsohle durchschreiten. „Ich hatte den Drang verloren, Musik zu machen“, sagt er nun, mit zwei Jahren Abstand. Als Theo und Adam 2018 von einer langen Tournee, die sie unter anderem durchs riesige Russland führte, endlich wieder heimkehrten, waren sie so platt, dass sie die Zukunft von Hurts ernsthaft in Zweifel zogen. Nach vier Alben, einer rasanten, durch den frühen Hit „Wonderful Life“ katapultartig gestarteten, triumphalen Karriere auf der einen und – für die Kreativität der beiden freilich auch förderlichen – Selbstzweifel und Unsicherheiten auf der anderen Seite brauchte das Synthiepop-Duo eine Pause.

„Um mal richtig krass rauszukommen und was Neues zu erleben, habe ich zum ersten Mal nach Jahren richtig Urlaub gemacht, und zwar hintereinander in Japan und in Mexiko“, berichtet Sänger Hutchcraft. „Ich wollte einfach mal wieder nur Tourist sein und staunen können.“ Zurück in London habe er sich danach erfolgreich bemüht, „in einen stinknormalen Alltag hineinzufinden und Körper wie Geist für eine Weile abzuschalten.“

Die musikalischen Ideen, so Theo, hätten sich dann nach geraumer Zeit von sich aus gemeldet. „Adam und ich sind die Arbeit entspannt angegangen. Das Einzige, was wir wussten, war: zurückzugehen zur Essenz von Hurts.“ Das heißt, nach dem ungewohnt fröhlichen „Desire“-Album, „haben wir uns der Anziehungskraft von dunkler, introspektiver und melancholischer Popmusik sehr bereitwillig hingegeben.“ So gibt es auf „Faith“ (der Albumtitel bleibt der Ein-Wort-Tradition treu) mit „Slave To Your Love“ und „Someday“ zwar durchaus auch Uptempo-Stücke, doch das balladeske „Darkest Hour“, das einfach nur wunderschöne, zerbrechlich klingende und brutal offene „All I Have To Give“ und das von einer unheilvollen sexuellen Verstrickung handelnde („Der Text ist das Destillat einiger meiner schlimmsten Erfahrungen mit Ex-Freundinnen) „Suffer“ sind die drei beeindruckendsten Lieder auf „Faith“. Dass Theo Hutchcraft gerade auf dem abgründigen „Suffer“ stimmlich mehr denn je so klingt wie Dave Gahan von Depeche Mode? „Ist kein Zufall. Ich liebe diese Band über alles und so sehr, dass ich auf einem Festival mal zu viel Angst hatte, sie zu treffen. Ich kneife nicht generell vor großen Stars, hatte zum Beispiel mal einen herrlichen Abend mit Elton John, aber die Jungs von Depeche Mode sind für mich Heilige. Da halte ich lieber Abstand.“ Und das kann ja gerade in diesen Zeiten auch nicht schaden.


Back to topbutton