JENNIFER ROSTOCK im INTERVIEW

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Das erfolgreiche Abschneiden der rechtspopulistischen Partei bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern hat auch die aus Usedom stammende Band Jennifer Rostock mit ihrem millionenfach angeschauten Anti-AfD-Video nicht verhindern können. Aber wer weiß, vielleicht ist beim einen oder anderen mäßig interessierten Jennifer-Rostock-Fan aufgrund der klugen und richtigen Aussagen der Band ja hängengeblieben, mit was für einer Partei man es da zu tun hat. Zurück im Alltagsgeschäft positionieren sich die angriffslustigen Pop-Punks um Sängerin Jennifer Weist nach rund zehn Jahren Bandgeschichte auch auf dem fünften Album „Genau in diesem Ton“ wieder sehr deutlich – für mehr Menschlichkeit und weniger Scheuklappen. Wir unterhielten uns mit Jennifer Weist, Keyboarder Joe Walter und Bassist Christoph Deckert in Berlin.

Ihr seid jetzt an und um die 30. Macht sich das Alter bemerkbar, gibt es schon Verschleisserscheinungen?

Walter: Der Verschleiß hält sich glücklicherweise noch im Rahmen, allerdings habe ich seit zwei bis drei Jahren das Gefühl, dass ich nicht mehr zu den jungen Leuten gehöre. Andererseits ist man berufsbedingt immer noch nah dran an diesem jungen Gefühl.

Ist „Berufsjugendliche“ ein doofes Wort?

Walter: Ja, das ist ein doofes Wort. Aber wir sind wohl welche. Durch die Art, wie wir unser Leben leben, verlieren wir an Sicherheit und gewinnen an Freiheit. Wir wissen heute eben nicht, wie wir Ende des Jahres die Miete bezahlen können, auf der anderen Seite müssen wir auch keine Bürojobs im Anzug machen, mit denen wir nicht zufrieden wären.

„Wer seine Jugend nicht verschwendet, der hat sie verpasst“, singst du, Jennifer.

Weist: Wir sind keine Menschen, die sich gut mit etwas abfinden können. Ich verstehe auch diese Leute nicht, die so alt sind wie wir und die ganz entschieden sagen, dass die Schulzeit die schönste Zeit ihres Lebens war. Fürchterlich! Als wenn man danach das Leben nur noch verwaltet und über sich ergehen lässt. Wir sind jedenfalls immer noch froh, dass wir uns nach der Schule für diese Band entschieden haben und uns immer wieder neu für diese Band entscheiden. Wir haben einen wirklich tollen Job.

Ist „Nicht von hier“ mit Zeilen wie „Wir teilen uns diese Erde, komm, wir teilen uns noch’n Bier“ euer Anti-Ausgrenzungs-Statement?

Walter: Uns war klar, dass das Thema auf das Album gehört, weil es uns seit Jahren sehr beschäftigt. Früher hätten wir den Text wohl kryptischer formuliert, aber die aktuellen gesellschaftlichen Umstände bewirken, dass wir uns klarer und unmissverständlicher ausdrücken wollten.

Fühlt ihr eine Verantwortung gegenüber euren Hörern? Wollt ihr die Leute aufklären?

Weist: Ich würde die Frage bejahen. Wir haben nicht die Pflicht, irgendjemanden aufzuklären, aber wir wollen das gerne. Ich finde es schade, dass man 2016 noch Songs veröffentlichen muss, in denen es um Toleranz, gegen Rassismus und für ein positives Miteinander geht. Für normal denkende Menschen, zu denen ich uns zähle, sind diese Werte doch Selbstverständlichkeiten. Wo ist das Problem dabei, mit Flüchtlingen zusammen hier zu leben? Wo ist das Problem dabei, dass alle Menschen dieselben Rechte haben? Dass niemand aufgrund von was auch immer ausgegrenzt wird. Ist es wirklich naiv zu glauben, dass alle Menschen gleich sind?

Was ist die Aussage des Liedes „Silikon gegen Sexismus“?

Walter: Im Rahmen unserer vierwöchigen Selbsteinsperrung haben wir sehr viel über Feminismus gesprochen. Ob man den Begriff überhaupt noch braucht, ob man das nicht vielleicht anders nennen müsste, mit welchen Klischees wir aufgewachsen sind, was Frauen vermeintlich leisten müssen, was eine gute Frau ausmacht – mit all dem setzt sich der Song auseinander.

Jennifer, Du hast dich vor einem Jahr beschwert, als eine Boulevardzeitung beim Konzert aufgenommene Oben-ohne-Fotos von dir abgedruckt hat. Das wirkt etwas widersprüchlich. Wenn du deine Brüste nicht in der Presse sehen willst, kannst du einfach dein Shirt anbehalten.

Weist: Ich habe das Recht, leicht bekleidet auf der Bühne zu stehen, wenn ich das möchte. Dafür muss ich mich weder rechtfertigen, noch muss ich mich deshalb runtermachen lassen. Ich bin in manchen Dingen Vorbild, in manchen auch nicht, und wenn mich jemand total beschissen findet, ist das auch okay. Ich will mich aber nicht auf meine Brüste reduzieren lassen. Man darf mir ja auch nicht an den Arsch grapschen, nur weil ich einen kurzen Rock trage.

•Interview: Steffen Rüth

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