Kesha: Motherfucking Woman

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Foto: O. Bee

Der Auftritt von Kesha Sebert ist an Dramatik schwer zu übertreffen. „Ich habe eine lange, lange kreative Reise hinter mir“, so die Sängerin vor Medien- und Plattenfirmenmenschen an einem warmen Juliabend in einem kleinen Klub mitten in London.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich überhaupt jemals wieder Musik machen würde. Ich musste mich erst wieder daran erinnern, ein Mensch zu sein.“ Bereits jetzt fließen die ersten Tränen, es werden weitere folgen in dieser knappen Stunde, in der Kesha (sie schreibt sich jetzt mit „s“, nicht mehr mit „$“) ihr drittes Album „Rainbow“ vorstellt. „Ich habe die stärkste, schönste und liebevollste Platte meiner Karriere gemacht“, nimmt sie den Faden wieder auf. „Der beschissene Sturm ist vorbei. Dies ist der Beginn der guten Phase.“

Kleine Rückblende zum besseren Verständnis: Kesha, als Tochter der Countrysong-Autorin Pebe Sebert in Nashville aufgewachsen, zieht es früh zum Pop. 2005, da ist sie 18, landet sie auf dem Label des Starproduzenten Lukasz „Dr. Luke“ Gottwald (Katy Perry, Britney Spears, Rihanna), der Vertrag geht über sechs Alben. 2010 erobert Kesha mit ihrer etwas pubertären Party-Electropop-Single „Tik Tok“ die Welt, weitere Tophits („Die Young“, „Timber“) sowie zwei erfolgreiche Alben schließen sich an. Dann der Bruch: Anfang 2014 begibt sich Kesha für zwei Monate in eine psychiatrische Einrichtung, um eine Bulimie-Erkrankung behandeln zu lassen, im Sommer verklagt sie Dr. Luke unter anderem auf „sexuellen und emotionalen Missbrauch“, sie will per Klage auch ihren Vertrag beenden, zudem soll der Produzent wegen abfälliger Bemerkungen schuld an ihrer Essstörung sein. Gottwald antwortet mit einer Verleumdungsklage. Inzwischen sind die wesentlichen Anklagepunkte entweder vom Gericht zurückgewiesen oder von Kesha zurückgezogen worden. Der Kompromiss in groben Zügen: Kesha muss ihren Vertrag mit Gottwalds „Kemosabe Records“ erfüllen, aber Sony, zu dem Kemosabe gehört, enthob Luke 2017 seines Chefpostens bei Kemosabe. Nun arbeitet sie also noch für seine Firma, aber nicht mehr direkt für ihren mutmaßlichen Peiniger.

Gewinner? Keine. Doch während Lukasz Gottwald vorerst wie vom Erdboden verschluckt ist, versucht Kesha jetzt den Neustart. Sie ist fraulicher geworden, die harten Jahre sieht man ihrem Gesicht an, und wie sie so allein da vorne voller Stolz und Nervosität ihre neue Musik vorstellt, möchte man sie in den Arm nehmen. Als Erstes spielt sie „Praying“, eine heftig persönliche Ballade („I am proud of who I am / No more monsters / I can breathe again“), mit der sie zwischen den Zeilen (kein Wort zum Prozess, weder auf dem Album, noch an diesem Abend), plakativ Position bezieht. Auch „Rainbow“ – eine schöne, von Ben Folds im Stil der Beach Boys orchestrierte Country-Ballade, an der die Mama mitgeschrieben hat – spielt auf Keshas Qualen an. „Ich war depressiv“, sagt sie, „lag total am Boden. Songs zu schreiben, war das Einzige, das mir helfen konnte. Ich habe jahrelang von dem Moment geträumt, an dem ich hier vorne stehen würde.“

Foto: O. Bee

Doch zum Glück ist „Rainbow“ keine reine Therapiesitzung. Allen voran „Woman“, die neue Single, macht dann doch schon wieder tolle Laune. Kesha („Ich war schon Feministin, bevor ich das Wort überhaupt kannte“) schrieb das Lied als Reaktion auf Trumps Muschigrapschkommentar, die Bläser stammen von den Dap-Kings persönlich, und der ganze Song ist berstend voller Funk, Soul und Kraft. Titelzeile: „I am a motherfucking woman.“ „Ich sang die Nummer lauthals an der Tankstelle, damit ich die Melodie nicht vergesse“, so Kesha, nun endlich lachend, „die Leute müssen gedacht haben, ich hätte einen Schuss.“

*Steffen Rüth

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