Wrabel: „Mein Coming-out war quälend“

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Foto: Yazz Alali

Stephen Wrabels Stern funkelte lange im Verborgenen. Jetzt veröffentlicht der Pop-Singer/Songwriter nach vier EPs sein erstes komplettes Album „These Words Are All for You“.

„Ausnahmslos alle meine Songs kommen aus der Tiefe meines Herzens“, erzählt Wrabel via Zoom. „Wenn dir jemand sagt „Tut mir leid, aber es fühlt sich nicht so passend an für uns, was du da geschrieben hast“, dann war das jedes Mal ein Stich ins Herz. Ich bin in meiner Karriere und in meinem Leben nicht selten verletzt worden. Aber hier bin ich. Und hier bleibe ich jetzt auch.“ Der Weg bis hierher war kein einfacher für Stephen Wrabel, 32, aus Los Angeles. Zwei fertige Alben landeten im Giftschrank der Plattenindustrie, er litt lange unter der einschneidenden Trennung von seinem ersten richtigen Freund, und noch dazu schleppte er lange ein Alkoholproblem mit sich herum. Seit sechs Jahren lebt er abstinent. Und jetzt ist er endlich gekommen, der Moment, in dem aus Wrabel, dem ewigen Talent und nicht eingelöstem Versprechen endlich Wrabel, der funkelnde Popstar wird. Auf seinem Debütalbum „These Words Are All for You“ nimmt er uns mit in seine Welt. Und die besteht aus epischen Refrains, schillernden Arrangements, aus dramatischen Popballaden und ganz kleinen, traurigen Songs wie „Pale Blue Dot“. Aber auch aus euphorischen Liebesbekundungen im Stil der aktuellen Single „Nothing But Love“. „Einige der Songs auf meiner Platte, etwa „Love Is Not a Simple Thing to Lose“, sind schon fast zehn Jahre alt. Aber ‚Nothing But Love“ war das finale Mosaiksteinchen. Ich wollte die Tatsache, dass ich glücklich verliebt bin, in breiten, fetten Buchstaben auf diesem Album in die Welt hinausposaunen.“

Wrabel kommt aus Houston in Texas. Seit zehn Jahre lebt er in Los Angeles. Er ist offen schwul und hat sein eigenes Label „Big Gay Records“ getauft. Ein Statement. „Meine sexuelle Identität ist ein großer Teil von mir, und sie ist somit auch ein großer Teil von dem, was ich kreiere. Auf diesem Album schaue ich mir die Welt durch meine eigene Linse an. Natürlich wünsche ich mir, dass sich alle mit diesen Liedern verbunden fühlen, die jemals verliebt, verlassen, himmelhoch glücklich oder am Boden betrübt waren. Aber ich versuche, die Gay-Community so gut ich kann zu vertreten, und ich gehe echt offenherzig mit den Erfahrungen um, die ich durchgemacht habe. Mein Anliegen ist, dass sich niemand allein fühlt, völlig gleichgültig, wer er ist, wen sie liebt, wie er oder sie sich identifiziert.“

Wrabel selbst wusste mit zehn, dass er auf Jungs steht, hielt seine Sexualität aber privat, bis er Anfang, Mitte 20 und nach LA gezogen war, um dort seinen Fuß in die Musikbranche zu bekommen. „Ich wuchs in der Kirche auf. Ich bin gläubig, und ich komme aus einer gläubigen Familie. Mir wurde beigebracht, dass es unnatürlich und sogar böse ist, homosexuell zu sein. Heute kann ich zurückschauen und mich an meine Jugend erinnern, ohne in Tränen auszubrechen. Ich weiß, wie es ist, im Versteck zu sitzen und zu denken ‚Etwas ist fundamental falsch mit mir‘. Mein Coming-out war langsam und quälend. Bis ich 20 war, konnte ich nicht mal laut zu mir selbst sagen, dass ich schwul bin.“

Zur Musik findet Wrabel, als er mit 15 das Album „Strange And Beautiful“ von Aqualung alias Matt Hales für sich entdeckt. „Diese Platte war mein sicherer Zufluchtsort und meine Rettung. Nie zuvor oder danach habe ich Musik gehört, die mich so berührte.“ Inzwischen ist er mit Hales befreundet, aber auch mit Kesha oder P!NK, die beide schon den einen oder anderen seiner sensiblen, wunderbaren Songs eingekauft und aufgenommen haben. Wrabels bis zum Album größter Erfolg aber war der 2017 veröffentlichte Song „The Village“ über einen Teenager, der im falschen Geschlecht lebt. Ich schrieb „The Village“, nachdem ich auf meiner ersten Tour zwei Transkids kennengelernt hatte. Meine ersten Fans! Dieser Song bedeutet mir wirklich extrem viel. Ich kenne Leute, die „The Village“ ihren Eltern oder Großeltern vorgespielt, um ihnen mitzuteilen, wozu ihnen bis dahin die Worte gefehlt hatten.“

*Interview: Steffen Rüth

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