Michelle: Anders ist super

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Foto: A. Janeva

„Anders ist gut“ heißt nicht nur ihr neues Album, sondern ist auch die Lebensmaxime von Schlagerkönigin Michelle.

Ausbrüche sind im deutschen Schlager weder an der Tagesordnung noch gern gesehen. Wer in diesem Geschäft mithalten und sich bestenfalls auf Dauer etablieren möchte, der tut gut daran, nicht allzu heftig mit den Hörgewohnheiten des teilweise doch eher konservativen Publikums zu spielen. Und wer sich einmal erfolgreich positioniert hat, pflegt fortan die Marke und zieht sein Ding durch, manchmal über Jahrzehnte. Deutsche Schlagerstars sind deshalb in der Öffentlichkeit nicht selten ein bisschen langweilig, ihre Musik ohne größere Überraschungen, Privates bleibt privat. Michelle, geboren vor 48 Jahren als Tanja Gisela Hewer in Villingen-Schwenningen, sticht aus diesem eher angepassten Umfeld doch recht deutlich heraus.

Foto: M. Rädel

Ihr Leben war immer schon für mehr Drama, krassere Wendungen und steilere Wiederaufstiege gut als das der meisten Kolleg*innen. Michelle, die 1993 ihr erstes Album veröffentlichte, 2001 für Deutschland beim Eurovision Song Contest in Kopenhagen mit „Wer Liebe lebt“ auf den achten Platz kam, drei Töchter von drei Männern bekam, sich mehrfach wegen körperlicher und seelischer Schmerzen aus dem Schlagerbusiness zurückziehen musste, zwischendurch in Köln einen Hundesalon eröffnete, ist: anders. Und „Anders ist gut“. So heißt ihr neues Album, und so ist es ja auch. „Wir leben in einer Zeit, in der das Andere oft nicht akzeptiert wird“, sagt sie. „Ob du hell, dunkel, lesbisch, schwul, groß, klein, dick, dünn bist – ganz egal. Jeder Mensch ist komplett einzigartig. In dem Lied „Anders ist gut“ geht es um Akzeptanz. Ich denke, wir sollten uns als Teile der Gesellschaft nicht von anderen distanzieren und abgrenzen, sondern den Zusammenhalt stärken.“ Michelles Publikum tauge dabei als positive Blaupause. „Meine Fans sind eine unglaublich bunte Mischung.“ Es sei alles dabei, was man sich vorstellen könne.

Und diese Fans dürften begeistert sein von „Anders ist gut“. Äußerlich kommt Michelle natürlicher, brünett und abgeschminkt daher, und auch in ihren Songtexten macht sich die Sängerin für Schlagerverhältnisse ganz schön nackig. Bei der Ballade „Ich zieh’ das jetzt durch“ hält man geradezu den Atem an, Michelle erzählt hier quasi ihre Lebensgeschichte und singt darüber, sich nichts mehr sagen und sich nicht mehr beirren zu lassen. Aufrecht und selbstbestimmt möchte sie durch ihr Leben gehen, sagt sie. „Meine Erfahrungen haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Deshalb würde ich alles wieder genauso machen.“ Sie habe zu sich gefunden, so Michelle, habe Frieden geschlossen mit Ereignissen aus der Vergangenheit und stehe einfach mit beiden Beinen im Leben. In „Heldin“ spricht sie über den Spagat zwischen Muttersein und Beruf, mit dem auch Michelle sich auskennt. „Brief an meinen Vater“ ist eine zumindest in Ansätzen versöhnliche Aufarbeitung von Kindheitstraumata – Michelle erlebte Gewalt in der leiblichen Familie und kam mit neun Jahren zu Pflegeeltern.

Die Produzenten und Songschreiber von „Anders ist gut“ sind zwei absolute Großmeister des ehrlichen und mitreißenden Pop: Peter Plate und Ulf Sommer – bekannt und begehrt durch ihre Arbeit für Rosenstolz, Helene Fischer, Sarah Connor – haben mit Michelle Themen und Texte gesetzt sowie für ein modernes, fetziges und dem Pop nahes Klangbild gesorgt. Auch durch die Arbeit mit den beiden habe das Album die Tiefe und Intensität bekommen, die es Michelles Ansicht nach brauchte. „Der Zeitpunkt, an dem meine Songs noch mal eine andere Sprache und eine andere Qualität bekommen sollten, ist jetzt genau der richtige.“

*Interview: Steffen Rüth


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