#SOUL: Solange „When I Get Home“

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Es ist bestimmt nicht einfach, die kleine Schwester der Königin zu sein. Queen Beys Schatten ist so groß, dass irgendwann sogar ihr Ehemann darin verschwand – das will nun wirklich etwas heißen. Wer kennt denn noch die Namen der anderen Damen aus Destiny’s Child? Entweder man hat also mit unerfüllbar großen Erwartungshaltungen zu kämpfen oder man legt es am besten gar nicht erst darauf an, in der gleichen Welt agieren zu wollen wie die unantastbare, göttliche Beyoncé.

Oder vielleicht ist es doch andersherum? Vielleicht hat man genau deswegen eben gerade keine Erwartungen zu erfüllen, weil unter diesen Umständen sowieso niemand etwas von einem erwartet? In ihrem Schatten hat man womöglich einfach seine Ruhe und kann genau deswegen ohne Eile machen, was man will. Vielleicht konnte Solange nur deshalb ein so eigenwilliges – wunderbares – Album wie „When I Get Home“ aufnehmen und veröffentlichen? Solange muss eben nicht das opulenteste, gewaltigste sowie populärste Werk abliefern, sie kann sich ganz darauf konzentrieren, so eklektisch zu sein, wie sie will. Sie muss nichts in die Charts hebeln und kann ein Album auch mal schon auf Jazz und anderen unkommerzielleren Genres basieren lassen … Sagen wir es ruhig: Sie hat die Freiheit, Kunst machen zu können.

Aber zugegebenermaßen hat es viele Jahre gedauert, bis ihr selbst das klar wurde. Ihr erster Soloversuch von 2002 war noch ein recht normales Unterfangen, das dementsprechend zu nicht viel führte, wie auch ihr zweites, an Motown orientiertes Werk. Erst als sie 2012 neu durchstartete und mit der EP „True“ etwas ablieferte, das man ein künstlerisches Statement nennen konnte, war sie auf dem Weg, sich selbst zu finden und frei auszudrücken. Kein Nachahmen mehr. Genau so schafft man es dann eben auch auf die Nummer eins: „A Seat At The Table“ etablierte sie 2016 als Star ihres eigenen Willens, klar politisch, musikalisch progressiv und ohne Sorgen um das, was der Rest der Welt sich denken mag. Man fühlte sich daran erinnert, wie sich klein Janet damals von ihrem großen Bruder (und dem Rest des Familienklans) emanzipierte – ebenfalls auf ihre eigene Art. Solange hatte nun endgültig die Kontrolle über ihre Musik und ihr Bild in der Öffentlichkeit. Sie hat sich selbst definiert – niemand sonst.

Aber natürlich hat sie sich trotzdem auch ein, zwei Sachen von ihrer großen Sis abgeschaut – wie zum Beispiel einfach mal so ein Album ohne Ankündigung herauszubringen.

Auch wenn ein Überraschungsrelease niemanden mehr überrascht – Erwartungshaltungen unterläuft man damit weiterhin problemlos. Und wenn man den Nachnamen Knowles trägt, macht man so etwas nicht, ohne multimedial zu denken – deshalb gibt es auch gleich einen halbstündigen Film zu „When I Get Home“, bei dem Solange ganz nebenbei noch die Regie übernommen hat. Solange analysiert auf diesem Album sich selbst und ihre Identität und rahmt diesen Blick in eine Hymne an ihre Heimatstadt Houston ein. Wenn man die Musik des Dirty South, wenn man Trap und psychedelischen Soul (und eben Jazz) miteinander verwebt, kann nur etwas Experimentelles herauskommen. Es sind Schnappschüsse, die inhaltlich doch zusammengehören. Obwohl die Liste an Gästen und Kollaborateuren geradezu endlos ist – Houstons Rap-Legende Devin the Dude, Tyler The Creater, Pharrell Williams, Devonte Hynes (Blood Orange), Gucci Mane, Sampha, Playboi Carti, Earl Sweatshirt –, ist hier ganz deutlich, dass Solange die Chefin, verwässert kein unmotiviertes Feature ihren eigenen Ausdruck.

Tja, dann muss man doch wieder an ihre Schwester denken, aber nicht, um sie gegeneinander abzuwägen, zu vergleichen, wer der bessere Popstar ist, sondern weil „When I Get Home“ an „Lemonade“ erinnert: zwei unterschiedliche Alben, die zeigen, wie beide mit sich selbst und ihrer Welt aufräumen und dabei musikalische Rahmen sprengen.

Dabei steht keine der Schwestern im Schatten der anderen – sondern beide treffen sich auf Augenhöhe. 

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