„… das hat was verändert in mir“

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Foto: Sven Schiffauer

Seit sechs Jahren ist Comedian Malte Anders mit seinem Programm „Homologie“ auf Tour, um in Schulen über Themen wie Coming-out, queeres Selbstverständnis, Toleranz, Diskriminierung und Vorurteile gegenüber queeren Menschen zu sprechen.

Seine „Comedy eduGAYtion“ arbeitet mit Humor gegen Homophobie und Queer*feindlichkeit. Letztere hat Malte Anders vor einigen Wochen am eigenen Leib zu spüren bekommen: Neben Beschimpfungen wurde ihm unter anderem mit dem Tod gedroht: „du nuttenkind, was denkst du wer du bist nächste woch in frankfurt steck ich dir meine machete in den verwichsten rücken du hurenkind“ waren nur einer der Kommentare auf seinem Social Media Account. Wir haben mit Malte Anders gesprochen.


Malte, du hattest bislang positives Feedback bekommen. Was hat sich geändert?

Die Schüler*innen können mich nach der Show über meine Social Media Kanäle erreichen. Das wurde in den letzten Jahren eigentlich eher dafür benutzt, noch mal zu fragen, ob ich noch Tipps habe für das Coming-out bei den Eltern, oder wie man es der Klasse sagen soll oder ähnliches. Da gab es auch schon mal Hasskommentare oder mal ein „Schwuchtel“ oder so. In den letzten Monaten, seit ich nach den Coronabeschränkungen wieder in die Schulen gehen konnte, sind aber gerade online vermehrt richtig üble Sachen gekommen. Das ist nicht bei den einfachen Beleidigungen geblieben, sondern ist wirklich mehrfach in Gewaltandrohungen geendet.

Kannst du ein paar Beispiele nennen?

Einer schrieb, wenn ich nochmal in seine Schule auftauchen würde, würde er meine Jacke zerreißen, meine Mutter ficken und mich umbringen. Weil er die Schule genannt hat, konnte ich die Schule informieren und die konnten ihn tatsächlich ausfindig machen. Im November hatte ich eine Nachricht bekommen: „Du scheiß schwuler Bastard, ich hoffe, du stirbst an Aids“. Das war eine der Nachrichten, bei der ich dachte, das geht so nicht!

Ich habe bei dieser Nachricht rausgefunden, wo sie herkam, das hatte der Absender vergessen rauszulöschen. Ich habe dann den Schulleiter angerufen. Und er kannte den Schüler, er war aus seiner Klasse. Der Schüler wurde angesprochen und hat es dann auch zugegeben; die Geschichte dahinter war wohl, dass die in der Schule Wahrheit oder Pflicht gespielt haben, und seine Aufgabe war es, mir diese Nachricht zu schicken. Der Schüler hat alles gestanden und musste sich bei mir entschuldigen. Die Eltern wurden auch informiert und die gesamte Klasse hat das Thema noch nachbearbeitet. Und dann gab diese eine Nachricht, direkt vorm CSD. Ich hatte zuvor bei all meinen Veranstaltungen den CSD erwähnt und gesagt, dass ich dort auf der Bühne moderieren werde. Und dann kam die Nachricht mit einer ganz klaren Gewalt- und Mord-Drohung: „nächste Woche stecke ich dir meine Machete in deine verfickten Rücken“, da war wirklich eine Grenze erreicht!

Foto: Sven Schiffauer

Was hast du getan?

Ich habe mich zunächst an die Ansprechpersonen bei der Polizei Frankfurt gewandt. Die haben mich dann gebeten, das zur Anzeige zu bringen. Ich wollte das nicht auf die leichte Schulter nehmen, auch zum Selbstschutz, weil ich noch einige Shows vor mir hatte und eben auch Samstagabend auf der CSD-Bühne stand. Und nach all diesen Angriffen der vergangenen Monate rund um die Konstablerwache, das hat was verändert in mir. Ich habe es dann bei der Polizei in Bornheim erstmal online angezeigt, und die haben mich dann direkt angerufen und wollten, dass ich für eine Aussage vorbeikomme. Die haben das sehr ernst genommen und alles genau im Wortlaut aufgeschrieben. Einen Tag später hat mich dann der Staatsschutz angerufen und gesagt, sie schauen, was sie tun können. Man könne die IP-Adresse rausfinden. Ob sie das jetzt getan haben und dem nachgegangen sind, das weiß ich nicht, aber sie haben es zumindest auch an die Polizei beim CSD weitergegeben. Und gesagt, dass ich schauen soll: Wenn mich mein Gefühl irgendwie beunruhigt, soll ich tendenziell eher nicht auf die Bühne gehen oder einen Auftritt absagen; man soll sich da immer auf sein Bauchgefühl verlassen. Beim CSD wurde ich dann tatsächlich von einem Polizeibeamten angesprochen, dass sie informiert seien und das im Blick haben. Das war für mich schon ein gutes Gefühl.

Es wurde ja gerade viel Negatives über die Polizei gesagt, es gab diese Diskussion „No Cops beim CSD“ – und da muss ich ganz ehrlich sagen: Wenn du direkt davor so etwas selbst erlebt hast, dann bist du wirklich um jeden Polizeibeamten, der auf dem Platz ist, dankbar. Besonders nach all den Geschichten rund um die Konsti.

Es gibt sicher innerhalb der Polizei Rassismus-Probleme, die aufgearbeitet werden müssen. Trotzdem finde ich, dass gerade in unserer Gesellschaft, in der so viel Hass und Unmut unterwegs ist, der Schutz von queeren Menschen auf dem CSD oberste Priorität hat! Und dafür brauchen wir die Polizei. Reiner Aktivismus schützt mich nicht vor gewalttätigen Übergriffen. Und die sind ja real, wie wir in den letzten Wochen sehen konnten! In den Schulen begegnen mir immer mehr trans* Jugendliche, schwule oder lesbische Jugendliche, die sich küssen und nicht mehr verstecken. Toll dass das inzwischen vielerorts möglich ist. In meiner Schule in Herborn wäre das damals nicht möglich gewesen. Auf der einen Seite hast du eine offene Gesellschaft und auf der anderen Seite die Hater, die auch immer lauter werden!

Du meinst, es gibt einen direkten Zusammenhang? Es wird immer offener mit queeren Themen umgegangen, und daraufhin gibt es mehr Gegenwind?

Das ist zumindest das, was ich beobachte: ich sehe einerseits viel mehr queere Jugendliche in den Schulen, die das ausleben können oder die es einfach tun, ob sie es können oder nicht. Und ich erlebe auf der anderen Seite immer mehr Hass gegenüber diesen Jugendlichen. Und das ist auch die Rückmeldung von vielen queeren Jugendlichen, dass sie diesen Gegenwind jeden Tag in der Schule haben. Und die Beschimpfungen kommen nicht nur aus extremen religiösen Kreisen, wie viele es manchmal versuchen darstellen; die kommen aus allen Schichten, Kulturen und Bundesländern.

Nutzt du diese Erfahrungen für „Homologie?

Ja, absolut. Wir entwickeln das Programm ja ständig weiter und bauen genau diese Sachen rein. Wir überlegen sogar, ob wir diese Hassnachrichten ins Unterrichtsmaterial reinnehmen.

Diese Cyber-Hass-Geschichten bekommen Jugendliche heute ja ständig ab. Wenn ich eine solche Nachricht kurz vorm CSD bekomme, dann kann ich damit umgehen. Ich weiß, dass ich die Polizei anrufen kann und fühle mich weiterhin relativ sicher. Aber was ist, wenn du 14 Jahre alt bist, nicht weißt, ob du mit deinem Körper und deiner Sexualität im Reinen bist, und dann kriegst du eine Nachricht wie „nächste Woche hast du eine Machete im Rücken, du Scheiß-Schwuchtel“? Dann kommt es oft dazu, was mir leider auch immer häufiger an den Schulen begegnet: Eine Schule ruft an und sagt, wir hatten hier einen Suizidfall, und wir wollen jetzt für queere Menschen was tun. Gerade kürzlich hatte ich wieder einen solchen Fall. Und das kommt leider sehr häufig vor. Ich denke dann, das muss doch irgendwie mal aufhören, sich wegen eines solchen Themas umzubringen? Und es ist schade, dass das Bewusstsein für diese Probleme oft erst dann entsteht. An einer Schule haben sie’s mir noch nicht mal gesagt. Da stehe ich hinter der Bühne und die Schulleiterin kündigt mich an mit den Worten: „In Gedenken an Schülerin X, die sich vor drei Monaten das Leben genommen hat“, und ich höre das zufällig hinter der Bühne und ich denke: wollt ihr mich jetzt verarschen? Das kann mir doch mal einer sagen! Ich komm‘ hier gleich raus und mache dann flache Witze? Daran sieht man, dass selbst Lehrkräfte nicht wissen, wie sie mit so einer Situation umgehen sollen.

Alles in allem hat es dich und auch dein Programm bestärkt, weiterzumachen?

Absolut! Und es ist gefragter denn je, ich bin jetzt auch schon wieder bis zu den Herbstferien ausgebucht. Und das wird sich wohl auch nicht ändern. Maja Wolff und ich überlegen, im nächsten Jahr ein Casting zu machen und einfach neue junge Menschen casten, die sagen, wir haben Lust, mit so einem Programm auf Tour zu gehen. Homologie kann auch eine junge Lesbe spielen, oder eine trans Person. Die Themen sind ähnlich, man muss vielleicht neue Bilder und neue Szenen schreiben, aber das Grundkonzept können auch andere queere Menschen spielen. Und ich werde ja auch älter und möchte vielleicht irgendwann meine „Baby Born“ Geschichte nicht mehr erzählen, weil ich sie dann einfach auch oft genug erzählt habe. Glaub‘ mir, ich habe das Programm so oft gespielt, wenn ich irgendwann mal Demenz kriege, werde ich im Altersheim sitzen und rund um die Uhr Homologie spielen, weil das dann das einzige ist, das ich wirklich fest im Kopf habe!

Hast du Kontakt zu anderen Projekten, also zum Beispiel das Schulprojekt SCHLAU Hessen oder Bilel aus Frankfurt?

Ja, Bilel hatte mir geschrieben, weil der Name „Bilal“ in einer dieser Hassmails vorkam, und fragte, ob er gemeint sei. Aber es handelt sich um einen Charakter aus meinem Stück. Aber ich habe mich dann mit ihm kurz unterhalten. Mit SCHLAU bin ich ebenfalls immer mal wieder im Kontakt und habe mich schon in der Entwicklung von HOMOLOGIE mit ihnen zusammengesetzt. Es ging mir ja nie darum jemandem die Arbeit wegzunehmen oder etwas anzubieten, das es schon gibt. Ich wollte meine eigene Form der Aufklärung entwickeln. Ich habe auch mit den Mädels von LIBS gesprochen, die ja auch Schulaufklärung machen und auch in die Schulen gehen.

Davon wusste ich gar nichts?

Nein, ich auch nicht. Die Wilhelm-Merton-Schule hatte einen IDAHOBIT* organisiert, und da habe ich die kennen gelernt. Die gehen ebenfalls in Schulklassen und machen Aufklärung aus der lesbischen Perspektive, was ich auch ganz spannend finde, weil mein Programm doch eher von der schwulen Perspektive kommt. Ich finde es gut, dass man sich mit den Leuten, die hier eine ähnliche Arbeit machen, vernetzt. Ich habe auch überhaupt nicht den Anspruch, der alleinige zu sein, der Schulaufklärung macht. Da kann es gar nicht genug Projekte geben! Außerdem ist mit einer Aufführung von Homologie ja nicht der Weltfrieden hergestellt und es braucht mehr, um die Hartgesottenen zu überzeugen. Das ist eigentlich ein Thema, das man regelmäßig von verschiedenen Seiten aus beleuchten müsste. Damit man sagen kann, vielleicht hat es dann auch der Letzte mal verstanden.

Ich gehe mal davon aus, dass das Thema in der Schule noch weiter behandelt wird?

Foto: Thomas Berberich

Ja, das ist die Hoffnung. Meine Show ist ja doch sehr niederschwellig, da erreiche ich auch immer mal die harten Jungs, die sich das erstmal aus der Entfernung anschauen wollen. SCHLAU sind da ja doch sehr dicht dran und arbeiten mit den Schüler*innen sehr intensiv und in kleinen Gruppen. Eine perfekte Ergänzung also. 

Bei mir kannst du erstmal sitzen, zuhören und mich da vorne angucken. Das ist ja schon viel wert, dass sie mal 90 Minuten sitzen und sich überhaupt mal mit dem Thema beschäftigen und jemanden ausreden lassen. Und wenn es dann im Klassenzimmer regelmäßig nachbearbeitet wird: umso besser!

HOMOLOGIE klappt seit sechs Jahren sehr, sehr gut. Auch, dass die Zuschauenden anschließend ihre Fragen anonym per Zettel an mich stellen können und auf jede noch so blöde Frage ihre Antwort kriegen! Und das ist total notwendig. Und es ist auch gut, sie da zu kriegen, und sie auch ernst zu nehmen, selbst in ihrem Hass. Den trage ich, wenn er auf den Zetteln steht, auch auf der Bühne vor. Ich bin immer froh, wenn sie den Hass an dieser Stelle rauslassen, weil ich da noch was gegen machen kann. Da kann ich drauf eingehen und was dazu sagen.

Wichtig ist auch, dass man die erreicht, die mit ihrer Meinung in der Mitte sitzen und irgendwie noch gar keine Haltung dazu haben. Oder die, die denken es sei alles ok und alles super. Es denken ja auch viele in der Community, es gäbe keine Probleme mehr. Selbst viele meiner Freunde können sich gar nicht vorstellen, dass es heute überhaupt noch Probleme mit diesen Themen gibt. Die Leute, die in der Bubble sind, und nicht sehen, dass es Homophobie gibt. Ich bin am Anfang so oft gefragt worden, warum man sowas heute noch machen muss. Wir seien doch schon viel weiter und es gäbe doch gar keine Problem mehr. Und wenn ich dann heute diese Übergriffe auf der Konsti sehe, sage ich, um ehrlich zu sein: Ich habe das kommen sehen! 

Es ist also wichtig, die Menschen wieder zu wecken. Und dann ist es natürlich sehr wichtig, diejenigen, die es selbst betrifft, zu stärken und sie zu supporten. Und dann zu denjenigen, die homophobe oder queer*feindliche Ansichten haben, zu sagen: Stopp! Denk über deine Haltung und deine Ansichten nach!

In dieser Dreierebene werden im Übrigen auch die Lehrkräfte mitgenommen, denn die haben oft auch keine Haltung. Neulich kam eine Sozialarbeiterin zu mir und fragte, was sie denn tun solle, wenn es nach meinem Auftritt zu irgendwelchen Tumulten an der Schule komme? Also, Entschuldigung, aber sie ist doch die Sozialarbeiterin! Wenn nicht sie, wer soll es denn dann wissen, was zu tun ist?

Ich weiß jedes Mal, wenn ich auf den Schulen rausgehe, wofür ich da war. Und das seit sechs Jahren.


Kontakt zu Malte Anders und Homologie über www.art-q.net

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