Brittens „Der Tod in Venedig“ im Stream

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Foto: Oper Stuttgart

Zur ästhetischen Reflexion der gegenwärtigen Krise empfehlen belesene Kreise häufig die Lektüre von Thomas Manns „Der Tod in Venedig“. Logisch, denn der Tod tritt im hässlichen Gewand der Cholera ins Dolce Vita der Bewohner und Touristen.

Im Kern jedoch setzt sich die autobiografisch angehauchte Novelle mit der erwachenden Homosexualität eines alternden Künstlers auseinander; ein spätes Coming-Out indes musste im Erscheinungsjahr 1911 noch tragisch, beinah grotesk enden: Gustav von Aschenbach stirbt, herausgeputzt und geschminkt wie ein eitler Geck, einsam in einem Liegestuhl am Strand sitzend – zuvor wirft er noch einen letzten Blick auf Tadzio, den zarten polnischen Knaben, der ihm den Kopf verdrehte.

Foto: Oper Stuttgart

Weitaus differenzierter rezipierte Benjamin Britten den Stoff in seiner letzten, 1973 uraufgeführten, Oper. Brittens Lebensgefährte, der Tenor Peter Pears, sang Gustav von Aschenbach, Tadzio tritt als stummer Tänzer auf. Das Coming-Out findet in Form eines Apollo-Traumbildes statt, wodurch sich die Thematik über eine rein pädophile Lesart hinaus entwickeln konnte.

Jenes Traumbild gerät auch zur Schlüsselszene in der viel beachteten Inszenierung der Staatsoper Stuttgart in Kooperation mit dem Stuttgarter Staatsballett von 2017 (gab berichtete). Regisseur und Choreograph Demis Volpi zeigt die Begegnung zwischen von Aschenbach und Apollo als Pas de deux, am Schluss der Oper sinkt ein erschlaffter Apollo – bar jeder Göttlichkeit – in von Aschenbachs Arme.

Foto: Oper Stuttgart

Der Tenor Mathias Klink erhielt für seine darstellerische Leistung den FAUST-Preis und wurde von der Zeitschrift „Opernwelt“ zum „Sänger des Jahres 2017“ gewählt. David Moore, Erster Solist am Staatsballett Stuttgart, verkörperte in der Premierenserie Apollo. Eine Wiederaufnahme sollte im Mai stattfinden und musste abgesagt werden.

Umso erfreulicher, dass die Staatsoper einen Mitschnitt von „Der Tod in Venedig“ im Rahmen ihres „Oper trotz Corona“-Programms im Stream zur Verfügung stellt. Auf der Website kann die Aufzeichnung ab dem 22.5. um 17 Uhr abgerufen werden und ist bis zum 29.5. verfügbar.

22.5., www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/oper-trotz-corona/, 17 Uhr (der Stream ist bis zum 29.5., 17 Uhr, abrufbar)

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