Ganz schön queer!

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Foto: H. Seibert

Seit 1997 schickt der Regionalsender Radio Darmstadt monatlich eine queere Sendung on air. Nach „Andersrum“ und „Rosa Welle“ ist die Show seit 2008 unter dem Namen „Ganz schön queer“ bekannt und wird seit 2010 von Jürgen Radestock gestaltet.

„Ganz schön queer“ ist heute die einzige deutsche queere Radiosendung, die von einem gemischten Doppel moderiert wird – seit vergangenem Jahr mit der neuen Co-Moderatorin Heike Greulich. Zu seinem 10-jährigen „Ganz schön queer“-Jubiläum haben wir mit Jürgen Radestock gesprochen.


Jürgen, kannst du dich noch an die Anfänge der queeren Sendung bei Radio Darmstadt erinnern? Wie bist du 2010 zu „Ganz schön queer“ gestoßen?

Irgendwann im Frühjahr 2010 sprach mich ein Kollege im Sender an und erzählte mir, dass das bisherige Team der queeren Sendung aufhören wird. „Ob ich das schon mitbekommen hätte?" fragte er mich. Das hatte ich tatsächlich. Dann meinte der Kollege „du bist doch auch so …“ und „ob ich nicht jemanden kennen würde, der diese Sendung übernehmen will“, damit dieses wichtige Thema on air erhalten bleibt. Das war eine extrem lustige Begegnung. Sofort dachte ich dabei an meine Freundin Gogo, die sich zu dieser Zeit mehr politisch engagieren wollte. So schlug ich ihr vor, diese Sendung zu übernehmen, vielleicht zusammen mit einer Freundin oder so.

Nach einiger Bedenkzeit sagte meine Freundin dann zu, aber nur mit mir an ihrer Seite. So hatte ich also letztlich zusammen mit ihr die Sendung geerbt. Und so begründeten wir damals das erste schwul-lesbische Team im Radio, was es sonst nirgendwo anders gibt. Entweder gibt es schwule oder lesbische Teams – aber keine gemischten. Darauf kann die Darmstädter Szene und vor allem Radio Darmstadt sehr stolz sein.

Den Namen „Ganz schön queer“ hatten unsere Vorgängerinnen schon ins Leben gerufen oder übernommen. Wir jedenfalls waren uns sicher, der Name ist perfekt – vor allem für ein gemischtes Team – und führten ihn weiter. Wenn man sich heute mal umschaut, dann ist fast alles queer – und nicht mehr schwul oder lesbisch, wie es früher oft betitelt wurde. Das ist super. Und vielleicht auch ein Verdienst von uns (lacht).

Wie setzt sich das Programm der Sendung zusammen? Setzt ihr ausschließlich auf Regionalthemen?

Seitdem ich diese Sendung betreue haben wir primär immer auf lokale Themen gesetzt. Es ist schließlich ein Lokalradio. Es gibt so viele Menschen, Vereine und Institutionen, denen wir hier im Radio schon eine Stimme geben konnten. An erster Stelle sind sicherlich die CSDs in der Region zu nennen, also Darmstadt, Frankfurt, Mannheim, Wiesbaden und Mainz. Also Orte, wo die Menschen aus Darmstadt hinfahren. Darmstadt ist ja szenetechnisch erst in den letzten Jahren stärker hervorgetreten. Es gab aber auch immer wieder Menschen, die neue Projekte gestartet haben, tolle Gruppierungen aus der Umgebung, die wir zu Wort haben kommen lassen und auch die ein oder andere Berühmtheit war schon bei uns on air.

Ob der Bürgermeister von Darmstadt, Jochen Partsch, Tatort-Kommissarin Ulrike Folkerts, Harald Blaul vom ehemaligen „Der andere Buchladen“ aus Mannheim, der Regisseur Jochen Hick („Mein wunderbares West-Berlin“), Chansonier Tim Fischer, das Vintage-Showgirl Aurora DeMeehl oder Kabarettist Malte Anders. Sie alle waren schon bei uns.

Aber auch die AIDS-Hilfe Darmstadt, das queere Filmteam vom Koki Weiterstadt, die vielen Mitarbeiter*innen-Netzwerke der großen Firmen, die Ansprechpartner*innen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen von der Polizei Hessen, es gibt so viele, die hier aufzuzählen sind … zum Beispiel hatten wir 2018 eine tolle Kooperation mit dem Theater Rüsselsheim zum Theaterstück „Somebody“. Wir bringen aber auch Themen ins Radio, die die Community im Allgemeinen beschäftigen. Der Global Pride im Corona Jahr, 50 Jahre Stonewall 2019, politische anti-queere Revolten in der Welt, die Veränderungen in den USA als Donald Trump Präsident wurde, die „Ehe für alle“, queere Rechte und Unterschiede in Europa – alles Themen die nicht lokal sind, trotzdem aber auch Menschen in Darmstadt und unserem Sendegebiet beschäftigen.

Gibt es zwischen dir und Heike unterschiedliche Schwerpunkte bezüglich der Themenfindung?

Ich denke schon. Sie ist lesbisch, ich schwul (lacht), Unterschiede gibt es. Das habe ich bereits damals mit Gogo gemerkt. Schwule und Lesben beleuchten Themen oft unterschiedlich und stellen andere Fragen. Das macht es in meinen Augen so wertvoll, ein gemischtes Team zu haben. Gewissermaßen also auch eine Form von lesbischer Sichtbarkeit. Ich persönlich liebe Kinofilme und Musik und bin darin gut informiert. Da finden sich oft fluffige, spannende Themen für die Sendung. Das soll aber nicht heißen, dass mir nicht auch schwere Themen, wie zum Beispiel die Ausgrenzung von HIV-positiven Menschen nicht auch liegen. Ich liebe die Abwechslung. Denn letztlich bringt jeder unserer Gäste ein eigenes Thema mit, worauf es sich einzustellen gilt. Das wird nie langweilig.

Heike fand, als sie vor einem Jahr dazu gestoßen ist, unsere Rubrik „Queer-Songs“ spannend und wollte gerne regelmäßig ein Thema aus Darmstadt präsentieren. Dabei ist es aber nicht geblieben. Stonewall 50 oder die ganzen Online-CSD-Veranstaltungen im Corona Jahr fanden wir beide sehr spannend. Da haben wir uns gut ergänzt und konnten in der Sendung viel darüber berichten. Das gab viel Lob von außen (also von unseren Hörer*innen).

Es ist zwar nicht immer einfach, doch letztlich versuchen wir, in der Sendung eine gute unterhaltsame Mischung hinzubekommen. Die kann mal lustiger, mal ernster sein. Im besten Falle sogar beides.

Gibt’s schon einen Ausblick auf die Themen der November-Show?

Wir sind gerade dabei Tim Frühling in die Show zu holen und werden auf jeden Fall über das 24. Queer Filmfest Weiterstadt berichten. Darauf haben wir ja im Oktober schon eingestimmt. Vielleicht wird es auch ein Interview geben zu einem Buch über lesbische Sichtbarkeit mit dem Querverlag. Mit ihnen haben wir seit Jahren einen sehr guten Kontakt. Welches Thema am Ende in die Show kommt? Das hängt zum einen davon ab, ob angefragte Gäste zum Termin der Sendung Zeit haben. Viele Themen gelangen andererseits erst ganz kurzfristig in die Show, da wir nach Möglichkeit aktuell sein wollen.

Eines unserer Highlights? Seit vielen Jahren präsentieren wir Queer-Songs – also geoutete lesbische, schwule, bisexuelle oder genderqueere Sänger*innen. Da sind neben Freddie Mercury und Melissa Etherdige – die kann jedes Kind aufzählen – über die Jahre schon sehr viele zusammen gekommen. Es gibt so unglaublich viele! Beispiel der letzten Sendung: King Princess.


Ganz schön queer, jeden ersten Montag im Monat bei Radio Darmstadt, 18 – 20 Uhr, DAB+ 103,4 mHz oder über www.radiodarmstadt.de

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