Regenbogenfamilien: Ein Update 2020

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Foto: Anna Shvets, pexels.com, gemeinfrei

Ende August startet die Bar jeder Sicht eine Reihe mit Info- und Diskussionsveranstaltungen zum Thema Regenbogenfamilien. Dabei sollen nicht nur die rechtlichen Umstände geklärt, sondern auch die Lebensrealität von Regenbogenfamilien gezeigt werden. Frank Grandpierre vom Projekt Familienvielfalt von QueerNet Rheinland-Pfalz erklärt im Interview die aktuelle Situation für gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern oder Kinderwunsch.


Die kürzlich geplante Reform des Adoptionshilfe-Gesetzes wurde vom Bundesrat abgelehnt, da sich dadurch unter anderem die Situation für lesbische Mütter verschlechtert hätte. Was war das Problem und was wäre eine zufriedenstellende Lösung?

Foto: Frank Grandpierre

Das Gesetz wollte eine verpflichtende Beratung vor jeder Adoption einführen. Das hätte die ohnehin belastende Situation für lesbische Mütter, deren Kind in ihre Partnerschaft geboren wird, weiter verschärft. Denn die nicht-gebärende Mutter kann bisher nur rechtlicher Elternteil werden, indem sie ihr mit der Partnerin zusammen geplantes Kind in einer Stiefkindadoption adoptiert.

Eigentlich müsste das Abstammungsrecht so reformiert werden, dass beide Mütter von Anfang auch an auch rechtliche Eltern sein können. Ende Juli hat die Bundesjustizministerin zumindest eine Teilreform in diese Richtung angekündigt.

Sind im Fall der künstlichen Befruchtung lesbische Paare wegen fehlender gesetzlicher Richtlinien immer noch auf den „guten Willen“ der Kinderwunschzentren angewiesen, um überhaupt behandelt zu werden?

Ja, obwohl sich die Rahmenbedingungen etwas verbessert haben. Denn bis vor zwei Jahren drohte die Bundesärztekammer Ärztinnen und Ärzten, die lesbische Paare behandelten, mit berufsrechtlichen Konsequenzen. Seit 2018 sind die Richtlinien der Landesärztekammern maßgeblich: Die in Sachsen und im Saarland raten nach wie vor ab, Hamburg erlaubt es ausdrücklich, die übrigen überlassen es denÄrztinnen und Ärzten. Das sorgt natürlich für Unsicherheit. Es bräuchte eine klare gesetzliche Regelung, wie sie zum Beispiel kürzlich in Frankreich beschlossen wurde.

Welche sonstigen rechtlich legalen Möglichkeiten gibt es für homosexuelle Paare mit Kinderwunsch?

Viele lesbische Paare führen eine Insemination erfolgreich ohne ärztliche Hilfe durch. Wenn es einen bekannten Samenspender gibt, kann der eine Onkel- oder eine Vater-Rolle einnehmen oder auch nicht – die Vorstellungen aller Beteiligten sollten zueinander passen. Schwule und lesbische Paare können zusammen eine Queerfamily gründen, in denen vier Menschen für ein Kind sorgen. Bisher kann ein Kind aber nur zwei rechtliche Elternteile haben, eine Regelung zu Mehrelternschaft fehlt.

Sowohl bei einem bekannten Samenspender als auch bei einer Queerfamily empfehlen sich daher notarielle Vereinbarungen. Der LSVD hat einen guten Ratgeber dazu online gestellt, der auch die Stiefkindadoption behandelt. Rechtlich weniger kompliziert ist Co-Parenting: Eine lesbische Frau und ein schwuler Mann bekommen zusammen ein Kind, ohne eine Liebespaar zu sein.

Homosexuelle Ehepaare sind seit 2017 heterosexuellen gleichgestellt bei der gemeinsamen Adoption nicht-leiblicher Kinder, allerdings werden immer weniger Kinder zur Adoption freigegeben. Bei der Aufnahme von Pflegekindern durch schwule oder lesbische Paare gab es noch nie rechtliche Hürden. Die liegen vielleicht in den Köpfen des einen oder anderen Jugendamtes, aber wir beobachten, dass die Offenheit zunimmt. Zumal alle Studien zeigen, dass sich Kinder in Regenbogenfamilien genauso gut entwickeln wie in heterosexuellen Familien.

Seit 2011 führt QueerNet Rheinland-Pfalz das Projekt Familienvielfalt durch – um was geht es dabei?

Wir sind Teil des Landesaktionsplans „Rheinland-Pfalz unterm Regenbogen“, der auf allen gesellschaftlichen Ebenen Akzeptanz und Gleichstellung queerer Menschen voranbringen soll. Unser Auftrag ist in erster Linie, Fachkräften, die mit Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten, Infos zu queeren Lebensweisen zu geben und ihre Handlungs- und Beratungskompetenz zu stärken. Wie kann ich als Fachkraft zum Beispiel Coming-out-Prozesse gut unterstützen, wie zeigt meine Einrichtung ihre Offenheit für Regenbogenfamilien, wie läuft die Vornamens- und Personenstandsänderung bei Trans* ab? Wir gehen in die entsprechenden Teams und bieten regelmäßig Fortbildungen an. Natürlich vermitteln wir auch Kontakte zu queeren Gruppen oder Beratungsstellen, mit denen wir über QueerNet RLP landesweit vernetzt sind.

Seit 2014 verleihen wir eine Arbeitskiste für Pädagogen, den „Kita-Koffer Familien- und Lebensvielfalt“, der unter anderem kindgerechtes Material zum Thema Regenbogenfamilien enthält, kostenlos an Kitas in Rheinland-Pfalz. Mit dem neuen Schuljahr geht auch ein entsprechender Grundschulkoffer an den Start, der vom Pädagogischen Landesinstitut verliehen wird. Finanziert wird all das vom Land Rheinland-Pfalz.

Gibt es Untersuchungen oder Erfahrungsberichte über die gesellschaftliche Akzeptanz von Regenbogenfamilien?

Aktuelle deutsche Untersuchungen gibt es nicht, aber auch ältere Zahlen zeigen, dass Regenbogenfamilien von der großen Mehrheit als Familie akzeptiert werden, vor allem bei jüngeren Befragten. Schon 2012 lag die Akzeptanz bei den 20-39jährigen bei 88 Prozent. Sie dürfte weiter gestiegen sein, analog zur Zahl von Regenbogenfamilien – was ich schon mal erlebt habe, wird selbstverständlicher.

Das heißt aber nicht, dass Regenbogenfamilien überall automatisch mitgedacht würden. Sie müssen sich immer noch häufig erklären und erleben mitunter Fragen, die anderen Familien nicht gestellt werden. Häufig steht echtes Interesse dahinter, manche Frage kann aber auch übergriffig wirken. 2016 ging durch die Presse, dass einer Regenbogenfamilie der Familientarif in einem Schwimmbad einer rheinland-pfälzischen Kleinstadt verweigert wurde. Solche Fälle gibt es bis heute. Wir vom Projekt Familienvielfalt erleben immer wieder, dass zum Beispiel Kita-Anmeldeformulare davon ausgehen, dass Kinder eine Mutter und einen Vater haben – zwei Mütter können sich dann gar nicht eintragen ohne irgendwelche Verrenkungen. Aber eine Stadt wie Mainz hat das schon vor einigen Jahren geändert nach einer Intervention der Initiative lesbischer und schwuler Eltern (ILSE).

Auch die Angriffe und Fakten-Verdrehungen von rechts sind belastend. Ich bin trotzdem optimistisch, dass sie nicht zu einem dauerhaften Umschwung in der Akzeptanz führen, solange andere Parteien nicht mitziehen. Die Haltung der rheinland-pfälzischen Landesregierung ist da zum Glück sehr klar – sie unterstützt Regenbogenfamilien wie jede andere Familienform und hat das auch jüngst in einer Plakatserie gezeigt.


Veranstaltungsreihe Regenbogenfamilien in der Bar jeder Sicht

Vorträge, jeweils mit anschließendem Gespräch und Diskussion

27.8. Regenbogenfamilien – gleich und doch anders. Was sie ausmacht, was sie stärkt 

11.9. Lesung aus „Und was sagen die Kinder dazu? 10 Jahre später“ mit Stephanie Gerlach

14.10. Lesbische Mütter. Der Weg von der Geburt bis zur rechtlichen Anerkennung: Die Stiefkindadoption bei Zwei-Mütter-Ursprungsfamilien

30.10. Regenbogenfamilien – eine entwicklungspsychologische Perspektive

Dezember:Informationen des Kinderwunschzentrums der Universität Mainz 

Thema in der Planung: Pflegekinder

www.barjedersicht.de


Weitere Infos zu Regenbogenfamilien:

- Projekt Familienvielfalt und Kita-Koffer von QueerNet RLP: www.queernet-rlp.de/projekte

- Initiative lesbischer und schwuler Eltern (ILSE): www.ilse.lsvd.de

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