Wir leben die Diversität des Lebens

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Foto: AGAPLESION MARKUS DIAKONIE

Seit zwei Jahren ist Tom Dörr Diversitätsbeauftragter des Altenpflegeheims Agaplesion Schwanthaler Carrée in Frankfurt. Das 2009 eröffnete Haus gehört zur Markus Diakonie und ist mit 49 Plätzen das kleinste von drei Agaplesion-Altenpflegeheimen in Frankfurt. Im Gespräch erzählen Tom Dörr und die stellvertretende Hausleitung Carolin Zimmer, welche Veränderungen das im Haus gebracht hat.


Tom, du bist seit zwei Jahren der Diversitätsbeauftragte im Schwanthaler Carrée. Im Leitbild von Agaplesion kommen Werte wie Vertrauen, Respekt und Miteinander schon vor; wie kam es da zur Entscheidung, das Thema Diversität nochmal gesondert in den Fokus zu rücken?

Foto: AGAPLESION MARKUS DIAKONIE

Tom: Das relativ neue Leitbild, von September 2022, an dessen Erstellung rund 200 Mitarbeiter*innen, Führungskräfte und Gesellschafter*innen, in verschiedenen Workshops und Teams, beteiligt waren, nimmt diese Themen konkreter auf. Personalvorständin Constance von Struensee unterstützt Diversity und deren Abbildung in den Einrichtungen mit einem extra hierfür gegründeten Netzwerkteam inklusive einer Referentin aus dem Bereich Personal. Es gibt zum Beispiel für unsere Mitarbeiter*innen eine Art Kompass, der sie anhand von Fragen, die sich an unseren Werten und Tugenden orientieren, in unsere Unternehmenskultur einführt. Als Beispiel: Beim Thema „Respekt“ gibt es Fragen wie „Ich habe keine Toleranz bei Intoleranz“. Das ist ja eine große Diskussion, und da ist unsere Linie ganz klar „Bei Intoleranz hört die Toleranz auf“; natürlich lässt man unterschiedliche Meinung gelten, dass ist klar. Aber bei Intoleranz hört die Toleranz auf.

Davon unabhängig wurde das Diversitätsprojekt in unserem Haus schon vor drei Jahren ins Leben gerufen. Das kam selbstständig aus der Einrichtung heraus. Wir sind hier im Vergleich zu anderen Häusern, was die Pflegekräfte anbelangt, sehr bunt. Unsere Pflegedienstleitung CorneliaSciborskihat entscheiden, dass man daraus etwas machen muss. Nur bunt zu sein, ist eine Sache. Aber daraus wirklich etwas Konstruktives zu schöpfen, eine andere. Und so hat sie das Diversitätsprojekt vor drei Jahren ins Leben gerufen. Ich bin jetzt seit zwei Jahren dabei.

Carolin: Mit Tom hat das Projekt echt Fahrt aufgenommen. Es ist sehr umfangreich, was er für die Mitarbeiter*innen die Bewohner*innen macht. Man lernt sehr viel und ist im Arbeitsalltag viel sensibler geworden. Es gibt Fortbildungen mit externen Partnern oder auch von Tom selbst. In so einem Haus wie hier, mit so vielen unterschiedlichen Personen, ist das schon echt super. Ein Projekt, das immer weiter vorangetrieben wird und sich weiterentwickelt, immer wieder mit neuen Aspekten, die einbezogen werden.

Könnte das auch Vorbild für andere Agaplesion-Einrichtungen in Frankfurt sein? In unserem Vorgespräch hattest du erwähnt, dass man ja niemanden zum Diversitäts-Management zwingen kann.

Tom:Ein Punkt, den wir erkannt haben, ist: Freiwilligkeit ist ganz wichtig. Studien bestätigen, dass Diversity-Management nicht so erfolgreich ist, wenn es von oben vorgegeben wird. Das hat dann eher einen gegenteiligen Effekt. Daher möchten wir eher diejenigen ermutigen, die Lust auf das Thema haben, um sie dann zu unterstützen, aus eigener Kraft etwas zu entwickeln, ohne etwas vorgeben zu müssen. Als Beispiel fällt mir dazu das Heimathaus in Darmstadt ein. Dort arbeitet eine entfernte Kollegin von uns, die dort Diversitäts- und Antidiskriminierungsbeauftragte ist. Das hat sich dort einfach entwickelt, sie hat die Idee mitgebracht und das Haus macht da gerne mit. So ergibt sich das ganz oft.

Foto: AGAPLESION MARKUS DIAKONIE

Warum ist das Thema Diversitätsmanagement eigentlich immer noch eine solche Besonderheit oder so ein Herausstellungsmerkmal für ein Unternehmen? 

Foto: AGAPLESION MARKUS DIAKONIE

Tom: Das ist eine gute Frage! Wir sind ja alle irgendwie unterschiedlich, und das verursacht immer auch Reibung. Deswegen wäre es gut, wenn das Thema Diversität überall etabliert wäre. Aber nichtsdestotrotz finden Menschen sich auch immer in Gruppen zusammen, die zueinander passen. Wie in unserem Haus, mit diesem – wie ich es gerne nenne – „bunten Haufen“, der abseits irgendeiner „Norm“ ist. Ich bin ja selbst schwul und geoutet, wir haben schwule Pfleger, trans Schüler*innen sowie genderfluide und bisexuelle Mitarbeitende. Zusätzlich haben über 50% der Mitarbeitenden eine Migrationsgeschichte – wir leben also hier in jeglicher Hinsicht die Diversität des Lebens.

Ein anderer, wichtiger Aspekt zum Thema Vielfalt in der Pflege ist der Fachkräftemangel. Da haben wir schon beobachtet, dass in der Pflege maßgeblich Menschen arbeiten, die einfach auch ein stückweit vielfältiger sind. Daran sollte man als Arbeitgeber auch denken. Ich finde, mit den Diversitätsthemen hat man ganz oft ein Problem, weil es häufig als nicht besonders geschäftstüchtig dargestellt wird. Aber man muss auch einfach mal sehen, dass es auch monetär ein relevanter Faktor ist, gerade wenn es um Fachkräfte geht, die einfach nicht da sind. Und vor allem in der Pflege. Da muss man sich als Arbeitgeber überlegen, was ich den potenziellen Bewerbenden anbieten kann. Und warum sollte ich als bunte Persönlichkeit bei euch arbeiten? Werde ich da gesehen oder werde ich getreten? Da sollte man umdenken, sonst gibt’s irgendwann ein böses Erwachen.

Carolin: Was mir aufgefallen ist: Auch die Bewohner*innen sind superneugierig auf das Thema und wie wir diese Offenheit leben, auch wenn es vielleicht früher gar nicht so thematisieren wurde. Wir haben durch Tom viel gelernt, die Mitarbeiterschaft im Umgang miteinander als auch zwischen den Bewohner*innen und dem Team.

Tom, kannst du ein paar Beispiele deiner Arbeit nennen?

Tom: Ich habe vor allem ein riesiges Fortbildungskonzept für das Personal entwickelt und im Bereich der Angebote für die Bewohner*innen einfach mal was Neues ausprobiert.

Auf der Mitarbeiterebene kooperieren wir mit Prof. Müller von der FH Frankfurt, der dort einen Lehrstuhl für Pflege hat. Der hat uns auch schon vor meiner Zeit geraten: Alles fängt bei den Mitarbeitenden an! Sie leben gegenüber der Bewohnerschaft vor: Wir haben hier einen Rahmen, wo man sein kann, wie man ist, und dass man das auch zeigen kann, ohne irgendwelche Konsequenzen zu fürchten. Und wenn das nach außen hin vorgelebt werden kann, dann kommt das genauso bei der Bewohnerschaft an, und die öffnet sich.

Aus meiner früheren Arbeit bei der AIDS-Hilfe Frankfurt habe ich mitgenommen: Ein Zwangsouting ist keine gute Maßnahme. Wir sprechen die Themen so direkt auch gar nicht an, weil wir nicht wissen: Triggern wir da jetzt unsere Bewohnerschaft? Wollen die das überhaupt thematisieren? Aber sie selbst können es ansprechen, wenn sie wollen.

Es gibt einen Bewohner, der mir immer die GAB mitbringt. Kein Witz! Er sagt immer „Das interessiert Sie doch bestimmt“. Das ist sehr nett von ihm, ich weiß aber nicht, ob er mir damit was sagen möchte, ob das ein Wink mit dem Zaunpfahl ist. Ich habe gedacht, dass es vielleicht keine gute Idee wäre, ihn direkt drauf anzusprechen. Wir haben für die Bewohner*innen den Besuch der Rosa Paten der AIDS-Hilfe eingeführt, die Freizeitaktivitäten anbieten. Da würden wir ihm, wenn wir das Gefühl haben, das passt, einfach mal das Angebot machen, zu schauen und sich mit denen mal zu unterhalten. Das bleibt alles sehr subtil. Wir hatten auch schon einen geouteten Bewohner mit seinem Ehemann, die haben sich auch sehr wohl gefühlt.

Dann ist mir aufgefallen, dass unser Biografie-Bogen für neue Bewohner*innen gar nicht gut formuliert war. Er hat den Sinn, einen neuen Bewohner oder eine neue Bewohnerin besser kennenzulernen. Anstatt zum Beispiel zu fragen, „mit wem waren Sie verheiratet“, was bei vielen schwulen oder lesbischen Menschen oft gar nicht ging, fragen wir nun „gab es einen besonderen Menschen in ihrem Leben“?

Wir haben einmal im Jahr das Diversitäts-Café für Bewohner*innen und das Personal, zu dem ich vorletztes Jahr Christy Moon mit einer Show eingeladen habe. Wir haben auch ein neues Visual für unser Haus erstellen lassen, das einen Schwan mit regenbogenfarbenen Federn zeigt. Auch die Gestaltung des Wintergartens mit den Regenbogenwimpeln schafft Sichtbarkeit. Wir sind dabei, den Wohnbereich noch bunter zu gestalten. Wenn man das Juli-Roger-Haus vom Frankfurter Verband kennt, könnte es bei uns noch ein bisschen bunter sein! Es sind oftmals Kleinigkeiten, die mir persönlich schon gar nicht mehr so auffallen, weil sie bei uns inzwischen Standard sind. Leute von außen sagen oft: schon echt viel geschafft! Mein Gedanke ist immer, naja, es ginge noch mehr, oder? Ansonsten halte ich meine Augen und Ohren offen, was man weiter verbessern könnte. Da werden auch immer wieder Themen an mich herangetragen 

Mein nächstes Ziel ist, ist die soziale Betreuung noch mehr zu sensibilisieren. Das sind die Mitarbeitenden, die sich darum kümmern, wie sich die Bewohner*innen den ganzen Tag beschäftigen. Wenn wir das gut implementiert haben, steht der Zertifizierung durch den Regenbogenschlüssel eigentlich nichts mehr im Wege.

Foto: AGAPLESION MARKUS DIAKONIE

Zur Erklärung: Der Regenbogenschlüssel ist ein LSBTIQ*-Qualitätssiegel für die Altenhilfe und Pflege, Krankenhäuser und Pflegedienste, das zeigt, dass die Einrichtung, Leitung und Personal einen Verhaltenscodex haben und mit einer Selbstverpflichtung leben und danach arbeiten.

Tom: Genau. Die Idee des „Regenbogenschlüssels“ stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Der Frankfurter Verband ist zum Beispiel bereits mit zwei Einrichtungen zertifiziert. Wir hatten auch überlegt, das Qualitätssiegel „Lebensort Vielfalt“ der Berliner Schwulenberatung zu bekommen. Es wäre nicht schlimm, wenn wir beides hätten.

Sowohl das Unternehmen Agaplesion als auch das Haus Schwanthaler Carrée haben beide die Charta der Vielfalt unterzeichnet – wieso eigentlich zweimal?

Tom: Im Rahmen des letztjährigen Diversity Days konnten sich einzelne Häuser entschließen, das ebenfalls zu tun. Uns war es einfach als symbolischer Akt nochmal wichtig. Unserer Hausleitung Herr Scheib war es wichtig, die Unterzeichnung in einem festlichen Rahmen zusammen mit dem Personal zu gestalten, auch um zu zeigen, dass es wirklich ein offizielles Statement hier vor Ort ist. Wir haben das als Fest im Rahmen unserer Veranstaltung „Frühlingserwachen“ getan. Uns war es einfach wichtig, im Beisein aller, die Charta der Vielfalt zu unterzeichnen, unser neues Visual vorzustellen und alle zusammen die Erfolge der letzten zwei Jahre zu feiern.

Stehen in der Charta der Vielfalt, ähnlich wie beim Regenbogenschlüssel, konkrete Anforderungen, oder ist das eher etwas Symbolisches?

Tom: Ja, da stehen auch Sachen drin, die man beachten soll. Tatsächlich ist man zum Beispiel gefordert, einmal im Jahr den Diversity Day in Form einer Veranstaltung auszuleben. Die Charta der Vielfalt ist ein Statement. Man müsste es nicht unterschreiben, aber wenn man es tut, dann liegt es an den Personen, das dann auch zu leben. Wir leben das ja tatsächlich schon, wir nehmen Geld in die Hand und wir nehmen Zeit in die Hand. Wir müssten keine Fortbildung betreiben, wir müssten keinen Diversitätsbeauftragten einstellen. Das müssten wir alles nicht tun, aber wir tun das! Bei uns war das alles schon da, bevor wir das Papier unterzeichnet haben, was das Ganze aber eben auch nochmal sichtbar nach außen trägt.

Gibt es auch öffentliche Veranstaltungen, an denen man das Schwanthaler Carrée kennenlernen kann?

Tom: Ja, wir wollen wieder am CSD teilnehmen, mit einem Stand auf der Infostraße und erstmals auch an der Demo. Am 27. September nehmen wir an den Aktionswochen „Älter werden in Frankfurt“ teil. Da planen wir eine Mischung aus „Tag der offenen Tür“ und einem „Markt der Möglichkeiten“, da werden wir auch noch mal Themen zur Diversität vorstellen. Da kann man einfach vorbeikommen und uns kennenlernen.


Agaplesion Schwanthaler Carrée, Schwanthaler Str. 5, Frankfurt, mehr Infos über www.markusdiakonie.de

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