Wissenschaft ohne Moral?

by

Foto: Martin Kaufhold

Als sich Jamie und Ava zum Tinder-Date treffen, ahnen beide nicht, dass der Abend ihre beiden Leben entscheidend verändern wird. Jamie ist der Enkel des berühmten Wissenschaftlers und Mathematikers Dr. Jacob „Bruno“ Bronowski, der in den 1970ern mit seiner beliebten BBC-Serie „The Ascent of Man“ („Der Aufstieg der Menschheit“) mit Vorträgen über die Errungenschaften menschlichen Fortschritts zum Medienstar wurde.

Jamie ist in der Stadt, um das Erbe seiner Großeltern zu verwalten. Abends trifft er sich mit der jungen Wissenschaftlerin Ava zu einem Blind-Date, beide landen im Haus von Jamies Großeltern. Jamie weiß: Im Haus befindet sich das „verbotene Zimmer“ mit geheimen Dokumenten seines Großvaters. Als Ava erfährt, wen sie zum Date getroffen hat, kann sie Jamie überreden, das „verbotene Zimmer“ zu öffnen. Als klar wissenschaftlich Denkende widerspricht sie den euphorischen Theorien Bronowskis, der daran glaubte, die menschliche Entwicklung habe immer die Tendenz, sich selbst zu verbessern; Ava hingegen glaubt, dass die Evolution der Menschheit in letzter Konsequenz dazu führen wird, die Menschheit auszulöschen. In den geheimen Unterlagen Bronowskis hofft Ava nun auf Informationen, die ihre eigene Karriere voranbringen könnten. Jamie und Ava entdecken allerdings ein äußerst düsteres Kapitel aus Bronowskis Biographie. Ava möchte die Unterlagen veröffentlichen, Jamie fürchtet um das Ansehen seiner Familie.

Foto: Martin Kaufhold

David Byrnes an wahre Begebenheiten und historische Figuren angelehntes Stück „Secret Life of Humans“ beschäftigt sich mit komplexen philosophischen Fragen zur Moral des Umgangs mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und weiß das komplizierte Thema unterhaltsam bis spannend zu verpacken. Im vierten Anlauf kann das English Theatre das Stück nun endlich aufführen – mit der glücklichen Fügung, dass Byrne persönlich die Regie übernimmt.

Foto: Martin Kaufhold

David Byrne – übrigens nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Mitglied der Band „Talking Heads“ – erzählt seine Geschichte in wechselnden Genres: Sie beginnt als unterhaltsame Wissenschafts-Comedy, wechselt zum komödiantischen One-Night-Stand-Sitcom, um schließlich in einer Art Historienkrimi zu enden. Bronowskis Geist lebt in seinem Haus im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal auf, in bühnentechnisch virtuos inszenierten Bildern und begleitet von historischen Filmdokumenten und Fotos. Das alles wird gezaubert mit wenigen, rollbaren Bücherregal-Elementen, zwei Stühlen, einem Tisch und einem pointierten Lichtdesign, die alle zusammen in einer eleganten Choreografie über die Bühne gleiten.

Dass man am Schluss zur Erkenntnis gelangt, dass Bronowskis utopische Theorien genau wie Avas dystopische Sicht der Dinge jeweils nur die halbe Wahrheit sind, mag vielleicht nicht überraschen; dennoch: Das intelligent geschriebene Stück, die virtuos inszenierten Bilder, der historische Bezug und vor allem das überzeugende Ensemble bescheren einen mehr als gelungenen Theaterabend mit Potenzial zum philosophischen Diskurs.

Noch bis 29.10., The English Theatre, Gallusanlage 7, Frankfurt, www.english-theatre.de

Back to topbutton