Interview: Eine Operette im Schmidtchen

Ein Genre, das Schlager mit Oper verbindet. Das Emotion und Geist anspricht. Das leicht und gehaltvoll gleichzeitig ist. Und ein Genre, das ziemlich in Vergessenheit geraten ist, nur an wenigen authentischen Spielorten wie dem Hamburger Engelsaal noch präsent für eine eingeschworene Fangemeinde.

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Foto: Willem Deenik

Wäre da nicht ein in Trier geborener, vielseitig kreativer, rastlos an einem Utopia arbeitender, dafür feinsinnig begleitete, getextete oder vernetzte, brachial künstlerisch-aktivistische Anschläge auf die Grundfesten einer irgendwo zwischen Wilhelminischer und Bonner Ausprägung gefangenen deutschen Gesellschaft abfeuert. Das erste Mal schliff er eine (schwule) Institution, ein europäisches Heiligtum. Stefan Raab, Horst Köhler und eben jener Johannes Kram zerstörten die miefig-piefig-eingefrorene Liedershow, die wir wohl auch nur deshalb heute noch als ESC kennen und noch immer ... Ja, was eigentlich. ... Die einen hassen ihn seit dem, andere engagierten sich. Fanden Gefallen, gingen ein Stück mit und meinten zu verstehen, was er da tut. Entschuldigung. Die Frage ist berechtigt. Es sind beide. Der ESC und Johannes Kram gemeint.

Foto: popkabarett.de

Ein Seite-Eins-Stück über den Boulevard, ein Bestseller über strukturelle Homophobie der oben erwähnten Republik und einen Grimmepreis und zahllose Blogbeiträge und Queer-Kram-Podcasts später, nun also Johannes Krams (Autor) und Florian Ludewigs (Musik) „Operette für zwei schwule Tenöre“ ausgerechnet im Dunstkreis der Familie Schmidt, die für das Privattheater und die queere Emanzipation gleichermaßen bedeutend war und ist, wie die „Guildo hat euch lieb“-Truppe für die Geschichte des Grand Prix Eurovision de la Chanson. Ein Gespräch ohne doppelten Boden, geführt Anfang März 2023.

Foto: Stephan Noë

Johannes, Du hast  gerade noch etwas Trubel mit der zusätzlichen Besetzung der nun ja zwei Spielorte. Magst Du den Leser*innen die Problematik erläutern?

Aufgrund der großen Nachfrage haben wir dieses Jahr in Berlin und Hamburg noch zehn Spielblocks und deswegen sind wir seit einiger Zeit dabei, alle Rollen doppelt zu besetzen. Das tut dem Stück sehr gut, weil immer wieder neue Dynamiken entstehen. Trotzdem ist das natürlich nicht so einfach, weil ja alle Darsteller nicht nur besondere Stimmen haben müssen, sondern auch als Schauspieler mehr herausgefordert werden als in den meisten Musiktheaterstücken.  Und wir suchen natürlich besondere Typen, die anders als sonst oft im Musical, eben nicht gut ersetzbar sind, sondern markant und einzigartig. Jeder bringt hier eine Menge von sich selbst mit ein.

Worauf müssen sich die Besucher in Hamburg denn einstellen? Du hattest Dich in Berlin ja für das BKA entschieden, nun also in Hamburg das Schmidtchen ..

Das Schmidtchen ist in Hamburg natürlich so wie das BKA-Theater in Berlin für ein solches Stück prädestiniert. Atmosphärisch, weil es beide einerseits Off-Theater sind, bei denen man ganz nah dran am Geschehen ist, aber auch weil sie so liebevoll und festlich gestaltet sind, dass man eben nicht nur Zuschauer ist, sondern sich von Anfang an Teil eines besonderen Abends fühlen kann. Und dann natürlichiauch inhaltlich, weil hier queere Stoffe zu Hause sind, weil man man hier zeigt dass es kein Gegensatz ist, unterhalten zu wollen und gleichzeitig sich etwas zu trauen.  Was die Leute von uns ,glaube ich, erwarten können, ist ein Stück, das sie so noch nicht gesehen haben. Natürlich ist es Operette. Auf der anderen Seite ist es natürlich auch ein Stück Musiktheater, das jeden und jede an einem bestimmten Punkt irgendwann abholt und man sich dann gemeinsam auf eine Reise macht, wo es auch zu ernsthaften Themen geht. Da ist sowohl ein großer Spaß, als auch das große Gefühl, als auch das, worüber viele Leute danach Redebedarf haben und ins Gespräch kommen. Wir haben einfach eine riesige Bandbreite an Publikum, das ist das für mich das besonders Schöne an diesem Stück.

Foto: Ingo Boelter

Magst Du das noch etwas erläutern. Ich befürchte ich brauch das konkreter. Ich mag weder Musical, außer Cats, noch Oper …

Das Stück versucht nicht, die Leute von irgendwas zu überzeugen. Wir haben natürlich Operettenfans, die sich freuen, dass es das jetzt endlich mal mit queerer, mit schwuler Handlung gibt und die dann vielleicht darüber diskutieren, ob das jetzt wirklich eine Operette ist und auf was das referiert. Und dann die, denen das alles egal ist, die mitbekommen haben, dass man da zusammen einen schönen Abend haben kann und sich mit Freunden verabreden. Und wenn all diese unterschiedlichen Menschen dann am Schluss durch die Musik und die Themen verbunden sind, das ist schon immer ein besonderer Moment.

Okay. Und was gibt es für Themen, die dann Leute dazu anregen, nach dem Stück reden zu wollen?

Natürlich zunächst eine schwule Liebe, die ja so viele Vorbilder noch nicht hat. Über die sagen viele Heteros nach dem Stück: ‚Oh, das habe ich so noch gar nicht betrachtet.‘ Weil in unserer Gesellschaft so vieles am schwul sein – in Anführungszeichen bitte – „normal“ ist, dass viele Heteros das Gefühl haben, dass man darüber ja überhaupt nicht reden müsse. …

24. – 27.5., 20. – 23.6., 25. – 28.10., „Operette für zwei schwule Tenöre“, Schmidtchen, Spielbudenplatz 27 – 28, Hamburg, tivoli.de

14. – 17..6., „Operette für zwei schwule Tenöre“, BKA-Theater, Mehringdamm 34, Berlin-Kreuzberg, bka.-theater.de

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