Interview: Kerstin Marie Mäkelburg ist Marlene Dietrich

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Kerstin Marie Mäkelburg spielt die Dietrich so beeindruckend, dass der Mythos um die 1992 gestorbene Diva menschlich greifbar wird.

Fotos: Ingo Boelter

Mythos Marlene“ ist Ihr zweites Stück über die Dietrich nach „Alles Quatsch ...“?

Nein, es ist immer noch das gleiche Stück. Die Texte sind fast identisch, es sind nur ein paar neue Songs dazugekommen und ich habe es etwas umgestellt. Das Programm hat einen neuen Titel, da sich eine entscheidende Sache verändert hat, und es somit wie ein neuer Abend ist. Für mich und für das Publikum.

Welche?

Zuschauer, die vor 16 Jahren „Alles Quatsch“ gesehen haben, haben mir nach der Wiederaufnahme Anfang dieses Jahres gesagt, sie hätten das Stück völlig anders in Erinnerung. Viel weniger Text, nicht so eindringlich. Dann sage ich immer: Nichts ist anders, nur ich bin anders! Und wenn ich anders bin, ist auch das, was ich tue, anders. Mit Mitte dreißig ist man noch in einem Alter, in dem man sich vieles einfach so traut. Dass ich damals den Mut hatte, mich an solch eine Ikone, eine so starke Persönlichkeit heranzutrauen … das würde ich wahrscheinlich heute nicht mehr machen. Und wenn doch, dann anders. Als ich anfing, über eine Wiederaufnahme nach so langer Zeit nachzudenken, und dann in den Probeprozess gegangen bin, waren dort neben Freude auch Ängste und Zweifel.

Fotos: Ingo Boelter

Warum?

Ich bin oft gefragt worden, ob ich mal wieder „Marlene“ spiele, und nun war es so weit. Ich freute mich über dieses große Interesse, aber es erzeugte auch Druck. Ich wusste, dass ich es anders machen muss, weil ich nicht das nachmachen kann, was ich vor 16 Jahren gemacht habe. 16 Jahre gehen (zum Glück) nicht spurlos an einem vorbei. Menschlich und künstlerisch habe ich mich weiterentwickelt. Ich gehe heute völlig anders mit Texten um, habe zu Inhalten eine ganz andere Haltung. Oder überhaupt eine Haltung. Es steckt jetzt viel mehr Kerstin in dem Stück. Ich habe auch damals schon nicht versucht, Marlene Dietrich zu kopieren – wer das versucht, kann eh nur scheitern. Und doch war da mehr Duktus und Äußerliches. Mit dreißig Jahren braucht man noch ein wenig Halt. Ich habe mich jetzt von der Dietrich emanzipiert mit dem Resultat, sie besser spielen zu können. Das hat was mit Traute zu tun. Für mich war es ein Wagnis, das aufgegangen ist. Ich behaupte einfach die Dietrich zu sein, ohne sie zu kopieren. Und auf einmal ist sie lebendig. Wie ein Zauber … für mich und für das Publikum.

Was fasziniert Sie so an Marlene Dietrich?

Das erste Mal habe ich sie in „Edith Piaf – Revue eines Lebens“ gespielt. Oft habe ich gehört, ich solle das doch ausbauen, etwas Eigenes dazu machen. Irgendwie hat da was absolut gestimmt. (lacht) Marlene Dietrich war Preußin und hatte eine gewisse Art von Härte zu sich selbst und eine Mentalität, eine Veranlagung – ich will mich weiß Gott nicht mit ihr in eine Reihe heben, aber ich kann vieles sehr gut nachempfinden. Ihre Art zu reden, ihre Stringenz, ihre Radikalität und auch ihr Mut, ihr Perfektionismus – das sind alles Eigenschaften, die mir nicht unbekannt sind. Und auf der anderen Seite dieses Weiche und Familiäre … irgendwie verstehe ich das alles sehr gut. Gewisse Sachen lassen sich nicht erklären. Es ist ähnlich wie mit der Liebe: Niemand kann sagen, warum er sich verliebt. Und in wen. Das ist feinstofflich, eine Form von Seele, eine Verbindung, die sich nur fühlen lässt, aber nicht formulieren. Schön, wenn einem auch mal die Worte fehlen und man einfach vertraut!

Wie ist das Programm entstanden, wo haben Sie die Details ausgegraben?

Es ist erst mal ganz viel Recherche: Die Biografie ihrer Tochter Maria, die Musik, die Filme. Ich habe mich über eine sehr lange Zeit mit allen Infos über Marlene gefüttert. Und dann haben wir Interviews geführt, mit mir als Marlene, bei denen ich versucht habe, durch sie zu sprechen – mit meiner eigenen Kerstin-Haltung oder Färbung. Dann wurde natürlich vom Autor eine dramaturgische Handlung entwickelt, viel improvisiert. Das Stück ist über viele verschiedene Arbeitsschritte entstanden. Nicht zu vergessen die Musik: Damals war es eine Band, heute spiele ich es (nur) mit Pianisten. Das macht es noch mal intimer, direkter. Ich dachte, mir würde etwas fehlen, aber es funktioniert wunderbar.

Fotos: Ingo Boelter

Die Dietrich wird bis heute von lesbischen Frauen und schwulen Männern gleichermaßen verehrt. Wie „queer“ war Marlene Dietrich?

Das Wort „queer“ wird in der Gesellschaft meist sehr einseitig für schwul und lesbisch eingesetzt. Von der Wortbedeutung her ist es aber mehr. Es ist „von der Norm abweichend, außerhalb der Erwartungen an bestimmte Rollen“. Und natürlich ist Marlene für diese Zeit in ihrer Stringenz und Entwicklung queer. Nicht so sehr in der Anfangszeit im Berlin der 1920er-Jahre – da wurde ja viel mit Androgynität, mit Geschlechterrollen gespielt. Aber sie hat das weiterverfolgt, auch in den USA. Sie hat alle diese Normen für sich aufgeweicht, sich nie festgelegt, ob sie Frauen oder Männer favorisiert, obwohl sie ja auch verheiratet war und eine Tochter hatte. Sie hat Schubladen für sich abgelehnt, in ihrer Kunst, in ihrer Mode – das war schon prägend. Es heißt bis heute „Marlene-Dietrich-Hose“. Sie war es, die die Hose an die Frau gebracht hat. Aber auch insgesamt ist sie immer diese Frau geblieben, die sich nicht einordnen ließ, aber sich als selbst geschaffene Kunstfigur immer treu geblieben ist. Ich glaube, das ist der Kern einer jeden Verehrung. Verehrt man nicht oft das, was auch in einem selber ist? Oder was man sich wünscht? Im Falle von Marlene das Anderssein. Und dazu zu stehen. Komme was wolle. Schwule und Lesben – und ein Stück weit auch ich selbst – sehen in ihr ein Vorbild. Damals und insbesondere heute ist es wichtig, dass Menschen einander fühlen. Es ist ein Geschenk. Wenn ich dann am Abend „Paff“ singe und in feuchte Augen schaue, ist das so ein Geschenk. Die Dietrich, immer unerreicht und doch ganz nah!

*Interview: Christian Knuth

8.11. – 9.12., Mythos Marlene, Schmidtchen, Spielbudenplatz 21 – 22, Hamburg, S Reeperbahn, 19 bzw. 20 Uhr, www.tivoli.de

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