Interview • Weltpremiere: Transparência

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Gerade erst wurde einmal mehr deutlich, welch unsäglicher staatlicher Diskriminierung Transsexuelle und Transgender in Deutschland weiterhin ausgeliefert sind. Der Entwurf zur Reform des Transsexuellengesetzes der Großen Koalition wurde von Verbänden und Aktivisten sowie der Opposition in der Luft zerrissen – er wollte die menschenrechtsunwürdige Praxis einer Gutachtenpflicht beibehalten und sogar im Falle einer Ehe die Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister von der Zustimmung des Ehepartners abhängig machen. Der Vorschlag wurde vorerst gestoppt, die Probleme in der Lebenswirklichkeit von Transpersonen bleiben. Im Kulturbereich, besonders beim Tanztheater, stehen Nonbinäre und Transidente besonderen Herausforderungen gegenüber, weshalb sich 2016 in Hamburg das Transparence Theater (TSP) gründete, das im Juni sein erstes Stück ans Theater Lüneburg bringt. hinnerk traf sich mit Wallace Jones (Choreograf) und Kolja Schallenberg (Regisseur und Produzent), zwei der drei Gründer des Projektes.

Aline de Oliveira ist die dritte Gründerin und Trans*. Könnt ihr bitte an ihrem Beispiel erklären, was eigentlich das Problem für transsexuelle Tanzende ist?

Kolja: Aline ist als klassischer männlicher Balletttänzer ausgebildet worden. Sie hat auch als solcher gearbeitet. Nach ihren geschlechtsangleichenden Maßnahmen haben die Theater und künstlerischen Leiter sie nicht mehr gebucht. Das hieß dann einhellig: „Nein, wir wollen einen Mann haben, der als Mann tanzt, und nicht eine Frau, die als Mann tanzt.“

Wallace: In genau dieser Zeit hatte ich Aline nach langer Zeit – über zehn Jahren – in Hamburg wiedergetroffen. Es war wirklich ein Tiefpunkt für sie. Eigentlich gerade endlich mit ihrem Körper im Reinen und dann der totale Absturz, was Engagements angeht. Gerade der klassische Tanz ist aber strikt in Zweigeschlechtlichkeit geteilt. Es gibt männliche und es gibt weibliche Tanzschritte. Du kannst nicht einfach mal wechseln. Was wir hier tun, ist tatsächlich noch niemals gemacht worden – nie. So reifte die Idee, es einfach zu tun.

Foto: Kozycki

Wie seid ihr bei der Konzeption vorgegangen?

Kolja: Wallace kam auf mich zu und hatte die Idee, verschiedengeschlechtliche Bezeichnungen in unterschiedlichen Sprachen zu nutzen, um sich künstlerisch zu nähern. Beispiel: Sonne und Mond, die im Deutschen die und der sind, im Französischen umgekehrt der und die. Aus dieser Idee ist bei einem ersten Treffen zwischen uns dreien dann in einer langen Nacht der Wille entstanden, nicht nur eine kleine Choreografie zu machen, die bei irgendeinem Tanzfestival im Nebenprogramm läuft, sondern eine Trans*-Theaterproduktion. Es hat danach über zwei Jahre gedauert zu planen und vor allem überhaupt ein Theater zu finden, das mitmacht – zum Glück hat das Theater Lüneburg mitgemacht und uns vollständige künstlerische Freiheit gelassen. Seit Januar ist dann alles auf einmal sehr schnell gegangen: Wir haben mit der Zweiten Bürgermeisterin von Hamburg, Katharina Fegebank, eine großartige Schirmherrin gefunden und werden sogar im Rathaus beim Senatsempfang zur Pride-Woche spielen.

Vorher gibt’s aber die große Premiere in Lüneburg. Was erwartet uns?

Wallace: Ich habe einen großen Teil der Transition von Aline miterlebt. Wir haben uns gedacht, warum nicht genau das erzählen: die Hormone, die Gefühle, die Operation. Das Stück ist sozusagen eine komplette Transition live auf der Bühne, das Schlüsselthema dabei ist Selbstakzeptanz und die Suche nach der eigenen Identität. Es ist ja nicht so, dass du eines Morgens aufwachst und sagst: „Ab heute bin ich ein anderes Geschlecht.“ Du schmeißt – wie eben erzählt – dein komplettes altes Leben hin und fängst von vorne an. Es war eine Herausforderung, als Choreograf mit den vorherrschenden beiden Stilen Mann und Frau zu brechen und zu einer neuen Art der Bewegung zu kommen.

Wie setzt ihr das um?

Kolja: Wir haben ja keinen Vergleich. Es gab so was noch nicht. Es wird verschiedene Abschnitte geben, viel Tanz, Erzählungen ... Ich kann es kaum erklären, weil man sich nicht vorstellen kann, wie anders die Ausdrucksweisen von transsexuellen Tänzern und Tänzerinnen auf der Bühne sind, als wenn du einen jungen klassisch ausgebildeten Balletttänzer oder eine Tänzerin siehst. Ich glaube, das wird wirklich einen Impact in der Kulturszene haben.

*Interview: Christian Knuth

14. – 17., 25. + 26.6., Transparência, Theater Lüneburg, An den Reeperbahnen 3, Lüneburg, 20 Uhr, www.transparencetheatre.com

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