Ein Treffen mit RuPauls Töchtern auf der DragWorld 2019

by

Travestie war noch nie so populär, wie heute. Während die meisten Theaterleiter hierzulande wegen des Mangels an Nachwuchs klagen, scheint die Travestiekunst im angelsächsischen Raum eine neue Blütezeit zu erleben. Was steht aber hinter dem glänzenden Schein: die Liebe zum Theater oder ein unersättlicher Zwang zur Theatralik? 

Zum dritten Mal wurde vom 16. – 18. August die große Travestiemesse und Ausstellung DragWorld in London organisiert. Im Mittelpunkt stand jedoch nicht die „allgemeine Travestiekunst“ (wenn es sowas überhaupt gibt). Das schillernde Wochenende basierte viel mehr auf der populären Fernsehshow RuPaul’s Drag Race. Die Reality der berühmten amerikanischen „Drag Mother“ feiert nächstes Jahr schon ihr 10. Jubiläum. Keine Form vom Theater kann so ein breites Publikum erreichen wie die, die im Fernsehen zu sehen ist. Dank des Internets sind die besten Momente jederzeit abrufbar. So hatte das Londoner Event eher den Charakter von einem langen Meet & Greet, wo man die aus dem Fernsehen bekannten Promis live treffen kann, deren Persönlichkeit eine viel wichtigere Rolle spielt, als das, was sie auf der Bühne tun. Und das ist weit weg davon, was man in Deutschland „Travestie“ nennt. 



Das Thema ist vielseitig: was ist Travestiekunst und was kann man überhaupt Theater nennen? Gibt es einen Unterschied zwischen einem Travestiekünstler und einer Drag Queen, und wer will überhaupt heute noch Karten kaufen, um sowas zu sehen? Eins ist sicher: die Epoche der Fummeltanten ist vorbei. Es ist wahr, dass es zahllose Darsteller gibt, die jeden Abend in ein Frauenkostüm schlüpfen, um das Publikum zu unterhalten, und auch, dass es deutschlandweit sehr viele Lokalitäten gibt, wo man auch eine Travestierevue sehen kann. Allerdings gibt es insgesamt nur sechs Travestietheater, wo man ausschließlich diese spezielle Form des Varietés sehen kann, in Berlin, Dresden, Hamburg, Köln, Nürnberg und Mühlheim am Main.



Diese Shows werden natürlich, wie es im Varieté üblich ist, manchmal mit anderen Einlagen ergänzt, z. B. mit Striptease (jeglicher Art) oder sonstiger Kleinkunst. Diese Theater unterscheiden sich manchmal, was die Struktur, das Programm und die Ausstattung betrifft, sie sind sich aber ebenfalls sehr ähnlich. Im Zentrum steht das Prinzip, dass es lustig ist, wenn ein Mann im Frauenkleid ist, vor allem, wenn die typischen Merkmale einer Revuetänzerin weit überspitz werden. So tragen diese Künstler oft riesige Perücken, unmöglich verzierte Kleider und Make-up, die keine Frau tragen würde. Es ist witzig, wenn plötzlich Cher oder Tina Turner auf die Bühne kommen, und das Publikum jubelt, bevor der Techniker auf den Playknopf drückt. Travestie ist Verwandlung, und viele von den Profis zeigen ihr wahres Ich am Ende der Show, denn ist es für einen Mann richtig große künstlerische Leistung, die schönste Frau zu sein. 

Warum braucht man diese Desillusionierung? Ein gutes Theaterfoto ist dasjenige, wo man nicht nur die Bühne, sondern auch das Portal sieht, die Lampen und den Rahmen um die Bühne, wo die Zauberwelt endet. So kann man sofort wissen, dass es eine perfekte Darstellung einer realen Situation ist, aber man zeigt, dass es Theater ist, „nur“ Kunst, und Kunst ist künstlich.  



Die Wurzeln dieser Verwandlungskunst gehen hauptsächlich ins 19. Jahrhundert zurück, obwohl Männer auf der Bühne in Frauenkleid schon in Shakespeares Zeit und noch früher, in der griechischen Antike, zu sehen waren. Die englischen Music Halls und die Pariser Varietés waren die Orte, wo die uns heute bekannte Form der Travestie geboren ist. Der deutsche Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld schrieb schon am Ende des 19. Jahrhunderts im Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen über Damenimitatoren, und schon dort steht, dass manche diese Tätigkeit nur als Theater ausüben, und das hängt nicht mit ihrer wahren sexuellen Neigung zusammen. Klar, oft ist es doch so, aber man Darsteller und Rolle trennen muss. Nichtsdestotrotz sind die meisten Künstler in diesem Genre homosexuelle Männer.


Bei der Londoner Veranstaltung bestand das Publikum zu 80% aus Frauen ab 15 bis 35, die selbst gerne extreme Kleider, Perücken und Schminke trugen. So hatte man das Gefühl, dass sie eher nicht um zu sehen, sondern um gesehen zu werden da sind. Das ist wieder ein Unterschied zu den Shows hierzulande, wo die Zuschauer meistens Frauen über 30 sind, die kein Bedürfnis haben, irgendwelche Kostüme oder sonstige theatrale Ausrüstung zu tragen. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es eine Blütezeit für Travestie in vielen deutschen Städten, und schon ab der Mitte der 1950er Jahre sind die Fummeltanten wieder in der Nacht erschienen – obwohl sie diese schöne, etwas veraltete Benennung erst in den 70ern erhalten haben.



Für das deutsche Publikum war vor allem das Duo Mary & Gordy sehr entscheidend, denn durch Ihre Erscheinung im Fernseher erreichte die Travestiekunst eine sehr breite Popularität. Und genau das ist es, was heute in RuPauls Show in den Vereinigten Staaten und in London passiert: Leute, die nichts mit Theater und nichts mit der schwulen Community zu tun haben, genießen die Travestiekunst. Auf der Bühne der Ausstellung traten nicht nur RuPauls Töchter auf, sondern hatten die weit weniger bekannten Drags Donna Trump, Mary Poppers, Oedipussy Rex und Rococo Chanel ebenfalls die Möglichkeit, ihre Tanz- und Gesangsfähigkeiten zu zeigen. Die Qualität dieser Darstellungen waren so unterschiedlich, wie das Publikum selbst: genauso vielfältig, wie das Farbenspektrum eines Regenbogens ist. *Andras Borbely


Back to topbutton