BILBAO: Stadt der Überraschungen

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Wer bei einem Besuch in der Hafenstadt Bilbao im Norden Spaniens Tapas, Flamenco und Sangria erwartet, liegt falsch. Die größte Stadt des Baskenlandes überrascht mit einer ganz eigenen Kultur, Küche und großartigen Landschaften in unmittelbarer Umgebung.

Vor 22 Jahren änderte sich für die baskische Stadt Bilbao alles – praktisch über Nacht. Das Auge der Weltöffentlichkeit fiel auf die Stadt am Golf von Biskaya, der bislang dort unbekannte Tourismuszweig blühte auf, insgesamt wurden 10.000 neue Jobs geschaffen. Und das alles nur durch ein einziges Gebäude: das Guggenheim-Museum. Bilbao bietet neben Venedig mit der Peggy Guggenheim Collection das einzige Guggenheim-Museum Europas. Das erste, ursprüngliche Guggenheim-Museum wurde 1939 in New York gegründet und befindet sich dort an der Upper East Side von Manhattan. Das zurzeit Vierte weltweit ist in Abu Dhabi geplant. In den Museen wird vor allem zeitgenössische Kunst aus dem 20. Jahrhundert ausgestellt. 1997 wurde das Guggenheim in Bilbao nach vier Jahren Bauzeit am Ufer des Flusses Nervión eröffnet. Der dekonstruktivistische Baustil des Museums zog sofort die Aufmerksamkeit auf sich. Bereits fest ins Stadtbild integriert ist die eindrucksvolle, mit Blumen bewachsene Skulptur „Puppy“ von Jeff Koons, die sich an der Rückseite des Gebäudes befindet. Die Gegend, die noch vor zwanzig Jahren schmuddelig und heruntergekommen war, gilt jetzt als Aushängeschild und Touristenmagnet Bilbaos. Der Begriff „Bilbao-Effekt“ entstand in der Folge: Er bezeichnet die Aufwertung einer Stadt oder Region durch spektakuläre architektonische Bauten. Doch Bilbao und das Umland haben noch viel mehr zu bieten.

Foto: Leander Milbrecht

Der Stolz der Basken

Einerseits befindet man sich in Spanien – andererseits aber auch nicht. Bilbao liegt in Biskaya, einer der drei Provinzen der Autonomen Gemeinschaft Baskenland. Diese bezieht sich nur auf den spanischen Teil des kulturell definierten Baskenlandes, das sich auch über Teile Südfrankreichs erstreckt. Politische Autonomie besteht seit 1978 und umfasst auch steuerrechtliche Unabhängigkeit. Unter dem Einsetzen der Wirtschaftskrise 2008 litt das Baskenland weniger als der Rest Spaniens: 2015 gehörte die Region zur spanischen Spitzengruppe bezüglich Wirtschaftswachstum und Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Auch die Arbeitslosenquote und die Verschuldung der öffentlichen Haushalte lagen deutlich unter dem spanischen Durchschnitt.

Die Basken gelten als stolzes Volk. Sie sind stolz auf ihre Geschichte, ihre Herkunft, ihre Traditionen – und vor allem: ihre Sprache. Unter Frankos Diktatur war das Sprechen und Lehren von Baskisch verboten – beinahe wäre die Sprache dadurch ganz verschwunden. Doch Förderprogramme sorgten dafür, dass nun wieder mehr als 700.000 Menschen im Baskenland die Sprache beherrschen. Baskisch gilt als Europas älteste noch gesprochene Sprache und ist mit keiner anderen Sprache in Europa verwandt – ihr Ursprung wird noch immer erforscht.

Sergio Iriarte, ein schwuler Touristenführer aus Bilbao, ist zertifizierter Führer für das Guggenheim, bietet jedoch auch Touren, die Bilbao von einer ganz anderen Seite zeigen: „Ich weiß, dass wir in Spanien leben – aber historisch, kulturell und linguistisch betrachtet haben wir mehr mit Menschen aus Südfrankreich gemeinsam. Wir teilen mit ihnen Geschichte, Sprache und Sport.“ Apropos Sport: Pelota nennt sich die aus dem Baskenland in Teile Lateinamerikas exportierte Sportart. Wer gerne muskulöse junge Männer in engen Trikots sieht, die Bälle an eine Wand schmettern, sollte sich unbedingt ein Spiel anschauen.

Foto: privat

Für Sergio unterscheiden sich auch Denk- und Lebensweise der Basken und Spanier deutlich voneinander. „Wir trinken keine Sangria, wir kennen keinen Flamenco“, so der Fremdenführer weiter. Viele Touristen kommen in die Stadt, gehen in eine Bar und bestellen Sangria. Da sind sie jedoch an der falschen Adresse, wie Sergio lachend berichtet: „Wir hassen Sangria. Ich meine, es ist widerlich: Wein mit Zucker und Fanta. So etwas trinken wir nicht.“ Und wenn jemand nach Flamenco sucht, sieht Sergio ihn bloß an und sagt: „Honey, das hier ist das Baskenland. Es ist nicht Spanien.“

Foto: Leander Milbrecht

Kulinarik

Generell gibt es in Bilbao und dem Baskenland viele Restaurants mit Michelin-Stern und raffinierter Küche. Essen ist für die Basken jedoch immer etwas Besonderes, es wird zelebriert – nicht nur in teuren Spitzenrestaurants. Besonders zu empfehlen ist eine abendliche Pintxo-Tour durch die Altstadt. Pintxos? Jemand, der es sich mit sämtlichen Basken verscherzen möchte, würde vermutlich Pintxos und Tapas vergleichen. Unter Pintxos (spanisch: Pinchos, bedeutet Spieß) verstehen die Basken Häppchen, die man sich in einer der vielen Pintxo-Bars zu Bier, Wein oder Longdrink aussuchen kann. Meist handelt es sich, wie der Name verrät, um Spieße. Aufgespießt sind allerhand verschiedene mediterrane Köstlichkeiten: Oliven, Sardinen, Speck, Garnelen und vieles mehr. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Eine wunderbar knisternde Stimmung herrscht abends in der Altstadt. Eine Pintxo-Tour von Bar zu Bar sollte man sich hier nicht entgehen lassen.

Partyleben

Ein richtiges Schwulenviertel gibt es in Bilbao nicht. „In Bilbao treffen sich Schwule nicht mehr nur in bestimmten Vierteln“, erzählt Sergio. Da Homosexualität hier als normal gelte, treffe man Schwule fast überall. „In der Altstadt befinden sich jedoch besonders viele Bars, Cafés und zwei Klubs, die Schwule gerne besuchen“, so der Touristenführer. Die Stadt besteht aus vielen interessanten Vierteln. Sergios Touren konzentrieren sich vor allem auf die hippen, im Kommen begriffenen Stadtteile. Zu ihnen zählt Bilbao La Vieja – das Viertel wurde 1300 gegründet und ist somit noch älter als die Altstadt. Es liegt im fünften Bezirk am linken Flussufer. „Es ist ein modernes, trendiges Viertel mit vielen neuen Bars, die junge Leute anlocken – und sehr moderaten Preisen“, sagt Sergio. An den Mauern sieht man zahlreiche Graffiti und Kunstwerke. La Vieja ist auch der ehemalige Rotlichtbezirk Bilbaos. „Natürlich geht es an einigen Ecken immer noch rund“, lacht der gebürtige Baske. Das Partyleben unterscheidet sich von dem deutscher Großstädte. Ab 20 Uhr besuchen die Menschen hier die Pintxo-Bars, essen Häppchen und trinken Bier. Gegen Mitternacht zieht man weiter in Musikbars. Im Sommer halten die Menschen sich die meiste Zeit jedoch vor der Bar auf der Straße auf und quatschen miteinander. Die Türen sind offen – bis 3 Uhr nachts. Dann herrscht Nachtruhe auf den Straßen Bilbaos und die, die noch nicht müde sind, ziehen in die Nachtklubs weiter. Ein unter Schwulen sehr beliebter Klub ist „El Balcon de la Lola“ – hier wird vor allem elektronische Musik gespielt.

Foto: Bilbao Bizkaia Tourist Office

Ausflüge ins Umland

Von Bilbao aus kann man viele Tagesausflüge durchs Baskenland unternehmen. Wen Natur, Wein und Ruhe locken, dem ist ein Ausflug ins Urdaibai-Biosphärenreservat zu empfehlen. Eine Weinverkostung in der Bodega Berroja mit Blick auf die Weinberge entschleunigt. Der Hausherr erzählt mit glänzenden Augen von seinem Wein – sein absolutes Herzensprojekt. Um den traditionell baskischen Weißwein „Bizkaiko Txakolina“ kommt man aber auch anderswo in der Region nicht herum. Und nach Frankreich ist es nicht weit. Nur anderthalb Stunden dauert die Fahrt bis ins kleine, bezaubernde Küstenstädtchen Biarritz. Das ehemalige Fischerdorf entwickelte sich zum eleganten See- und Kurbad, nachdem Napoleon seiner Ehefrau dort 1854 eine Residenz erbaut hatte. Zwischen Biarritz und Bilbao liegt San Sebastián – auf Baskisch heißt die Stadt Donostia. Unter Schwulen ist der Ort an der Atlantikküste sehr beliebt. Hier ist die Dichte der Restaurants mit Michelin-Sternen besonders hoch und auch kulturell hat Donostia-San Sebastián viel zu bieten: Berühmt ist der Ort vor allem für das jeden September stattfindende Filmfestival, in dessen Rahmen der Preis „Die goldene Muschel“ verliehen wird – die Bucht, an der die Stadt liegt, heißt aufgrund ihrer malerischen Form auf Deutsch „Die Muschel“. Den besten Blick darauf hat man vom nahe gelegenen Hügel Monte Igueldo. Für Schwule hat das Städtchen aber auch im Rest des Jahres viel zu bieten: Es gibt diverse Schwulenbars und eine Sauna. Das Beste an der Stadt ist aber ihr Strand an der Promenade. Wer sich direkt nach dem Essen oder Shoppen also in die Wellen des Atlantiks stürzen möchte, sollte Donostia-San Sebastián einen Besuch abstatten.

Foto: Bilbao Bizkaia Tourist Office

Strände

Auch in der Nähe von Bilbao finden sich Strände. Mit der U-Bahn benötigt man nur zwanzig Minuten in die Region Sopelana. Hier gibt es mehrere Strände, bei Schwulen am beliebtesten ist „La Salbaje“. Es ist ein FKK-Strand, an dem sich auch viele Surfer herumtreiben. Die Stimmung ist immer gelöst und unterhaltsam, erzählt Sergio. „Die Gruppen akzeptieren sich, scherzen miteinander. Du siehst erst einen Nackten, im nächsten Moment einen hübschen Surfer und plötzlich einen Schwulen mit einer extravaganten, knallgelben Badehose. Alles ist gemischt.“ Surfen ist, auch wenn es überraschend klingt, eine der Hauptattraktionen der Region. Früher sei Surfen eher heterosexuell konnotiert gewesen, berichtet Sergio. Doch heute sei die Surfszene sehr schwul geworden. „Gutes Wetter und trainierte, braun gebrannte Körper – da bleiben die Schwulen nicht lange fort“, lacht er. Am Golf von Biscaya gibt es viele Surfing-Hotspots, die Gegend zählt zu einer der besten für Surfer in ganz Europa. Von April bis November kann man hier auch als Anfänger auf den Wellen treiben. Kurse bietet beispielsweise die Surfschule „Pukas“. Was für Surfer gut ist, kann für Touristen aber auch mal ärgerlich sein: Das Wetter in Bilbao ist unberechenbar. Auf die Vorhersagen kann man sich nicht verlassen, denn in dem zwischen Ozean und Bergen gelegenen Bilbao ist alles möglich. Einwohner empfehlen daher, immer etwas Langärmeliges einzupacken – sogar im Hochsommer. Das Gute ist: Auch an einem eigentlich grauen Tag kann man von plötzlichem Sonnenschein überrascht werden.

Alles erlaubt

Legendär ist das Sommerfestival in Bilbao, das immer in der dritten Woche im August abgehalten wird. Sergio schwärmt: „Es ist wundervoll – mit einer unglaublichen Schwulenszene“. Für zehn Tage ist hier alles erlaubt, Tag und Nacht, nonstop. Das Festival findet im Park auf der Spitze des Hügels Kobeta statt, von dem aus man Bilbao überblicken kann. Insgesamt fünfzig Gruppen und Organisationen sind für das Programm verantwortlich, jede kann entscheiden, was sie einbringen möchte. Abends gibt es Musik und Party, tagsüber auch schon mal eine Kochshow auf der Bühne. Viele der Organisationen sind queer, erzählt Sergio. „Die Leute arbeiten freiwillig, bekommen kein Geld. Deshalb ist beim Festival auch alles sehr günstig – es geht den Veranstaltern nicht um Profit.“ Ebenfalls zum Ende des Sommers, am 5. September, findet in der benachbarten Hafenstadt Lekeitio ein Fest statt, das schon lange viele Schwule anzieht: „Der Tag der Gänse“. Der Grund dafür, so Sergio, ist optischer Natur. „So viele hübsche, muskulöse Männer – es ist ein Paradies für Schwule“, erzählt er. Was passiert denn auf dem Festival? Einer alten Tradition folgend treten Fischerboote gegeneinander an, jeweils einer von der Besatzung muss ins Wasser springen, gegen andere wettstreiten und am Ende den Hals einer Plastikgans ergattern. „Ruderer und Fischer, alle fast nackt – es ist toll anzusehen!“, lacht Sergio. Das Festival sei eine große, schwulenfreundliche Party.

Bilbao ist eine Stadt freundlicher, toleranter Menschen – und der Überraschungen. Auch Sergio zufolge erzählen viele Touristen, was immer sie erwartet hätten, das sei es nicht gewesen. In Bilbao entdeckt man Dinge, von deren Existenz man nichts wusste. Und wenn man abreisen muss, fragt man sich, wie man künftig ohne Pintxo-Bars überleben soll. Ein Glück, dass man wiederkommen darf.

INFO

www.bilbaoturismo.net

HINKOMMEN

Vueling Airlines fliegt mehrmals pro Woche ab Berlin, Hamburg, Hannover und Düsseldorf über ihr Drehkreuz Barcelona nach Bilbao. www.vueling.com

ÜBERNACHTEN

Direkt in Bilbaos Altstadt liegt das Designhotel Tayko. Das zugehörige Restaurant und die Gastrobar werden von Martín Berasategui betrieben, der mit zehn Michelin-Sternen mehr besitzt als jeder andere spanische Spitzenkoch. www.taykohotels.com

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