NEW YORK: Stadtgeschichten

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Mit dem WorldPride Ende Juni feierte New York City den Höhepunkt des Jubiläums des Stonewall-Aufstandes vor genau fünfzig Jahren. Doch auch, wer das Event verpasst hat, kann bei seinem nächsten Besuch jederzeit auf den Spuren der LGBTIQ*-Stadtgeschichte rund um die legendäre Schwulenbar The Stonewall Inn wandeln.

Foto: Dirk Baumgartl

Der Ort war schon immer einer Sammelplatz für Außenseiter. Wer heute über den Washington Square Park zwischen Manhattans West und East Village spaziert, mag sich kaum vorstellen, dass er sich auf einem riesigen Friedhof befindet. „Die Gegend rund um das Greenwich Village war schon im 18. Jahrhundert ein Ort für all jene, die in der New Yorker Gesellschaft keinen Platz fanden. Vor allem ehemalige Sklaven lebten in dem Dorf, das zu jener Zeit noch nördlich der damaligen Stadtgrenze lag.“ Die LGBT History Tour von Urban Adventures startet immer genau an diesem Ort. Stadtführer Josh, selbst schwul, ist ein Experte, wenn es um die Geschichte der Stadt geht. „Neben Afroamerikanern lebten hier auch Huren und andere Außenseiter – kein Wunder, dass bald auch Schwule und Lesben die Gegend für sich entdeckten.“ Schon in den 1890er-Jahren ist im New Yorker West Village eine schwule Bar dokumentiert. Der Slide Club in der Bleecker Street 157 galt als wohl verruchtester Ort der Stadt, in dem sich junge Männer prostituierten. Heute befindet sich in dem Gebäude die Weinbar namens Carroll Place, doch die aus dunklem Holz bestehende Inneneinrichtung, ein Hinterzimmer und ein schmaler Innenbalkon, der gegenüber dem Tresen liegt, sind bis heute erhalten. Nicht weit davon entfernt, unter der Adresse 457 Sixth Avenue, befindet sich die ehemalige Wohnung von Murray Hall. Der von seinen Mitbürgern durchaus geschätzte Anwalt und Politiker lebte Ende des 19. Jahrhunderts in New Yorks Greenwich Village und war mit der Lehrerin Cecilia Flores Lowe verheiratet. Sein größtes Geheimnis offenbarte sich jedoch erst nach seinem Tod im Jahr 1901, als sich herausstellte, dass sein wahres Geschlecht weiblich war. Der Fall, aufgegriffen von der New York Times, erregte internationales Aufsehen und war einer der ersten Berichte über eine Transgender-Person in den USA.

Foto: Dirk Baumgartl

Lesbische Liebe

Nördlich des Washington Square Park stößt man auf das Appartement von Eleanor Roosevelt. Kurz nach der Wahl ihres Mannes Theodore zum Präsidenten der Vereinigten Staaten im Jahr 1933 mietete sich die First Lady ein Apartment in der 20 East 11th Street, in dem sie sich mit ihrer Geliebten, der Journalistin Lorena Hickok, regelmäßig traf. „Viele Historiker drucksen immer noch herum, wenn es um das Lesbischsein von Eleanor Roosevelt geht, doch wer sich einmal den erhaltenen Briefwechsel der beiden Frauen durchliest, ist sich sicher.“ Professor Andrew Lear, Harvard-Absolvent, -Dozent und Gründer von Oscar Wilde Tours, bietet ebenfalls eine Stadtführung auf den Spuren von New Yorks LGBTIQ*-Community an und hat keinen Zweifel an der Homosexualität Roosevelts. Gleich um die Ecke wohnten weitere, stadtbekannte Lesben, die zu Roosevelts Freundeskreis zählten. Ebenfalls in der Gegend lag eine bekannte Lesbenbar. Die polnisch-jüdische Immigrantin Eva Kotchever, bekannt als „die Königin des dritten Geschlechts“, eröffnete als Eve Addams in der MacDougal Street 129 einen Teesalon für Frauen. Für Aufregung sorgte ein Schild, das sie am Eingang anbrachte: „Männer erlaubt, aber nicht willkommen.“ 1926 wurde Kotchever im Rahmen einer Razzia verhaftet und aufgrund ihrer Kurzgeschichtensammlung „Lesbian Love“ nach Europa ausgewiesen. „Unglücklicherweise wurde sie dann später als Jüdin in Paris von den Nazis 1943 verhaftet, nach Auschwitz deportiert und dort ermordet“, so Lear.

Foto: Dirk Baumgartl

Leere Gläser

Begibt man sich auf den Weg in Richtung Christopher Street, kommt man an New Yorks ältester noch bestehender Schwulenkneipe vorbei. Das Julius’ mit der Adresse 159 West 10th Street, war ein beliebter Treffpunkt der Szene und erlangte wegen eines dort am 21. April 1966 abgehaltenen „Sip-in“ eine gewisse Berühmtheit. „Man muss wissen, dass es Bars zu jener Zeit verboten war, Alkohol an schwule Gäste auszuschenken. Ansonsten drohte ihnen als ‚unordentlicher‘ Betrieb der Entzug der Lizenz“, erklärt Professor Lear. Die Mattachine Society, eine der ersten LGBTIQ*-Organisationen des Landes, forderte den Barkeeper heraus, indem sich einige Männer vor den Tresen stellten und sich als Homosexuelle, die sich „ordentlich“ benehmen, zu erkennen gaben. Der Barmann hielt seine Hand über die leeren Gläser mit den Worten: „Es ist mir nicht erlaubt, Sie zu bedienen.“ Das dabei entstandene und in den Zeitungen veröffentlichte Foto dieser letztendlich als PR-Aktion für LGBTIQ*-Rechte dienenden Szene gilt als einer der ersten öffentlichen Proteste vor dem Stonewall-Aufstand 1969.

Foto: Dirk Baumgartl

Gegenwehr

Eben jenes Gesetz, das Bars die Bedienung von „unordentlichen“ Schwulen untersagte, sorgte dafür, dass viele Gay Bars von der New Yorker Mafia betrieben wurden. So auch das Stonewall Inn in der Christopher Street. „Gepanschte Drinks zu überhöhten Preisen und geschmierte Polizisten sorgten dafür, dass die Mafia ordentlich Geschäfte machte“, erzählt Andrew Lear. Razzien fanden für gewöhnlich am frühen Abend und mit Vorankündigung statt, sodass der Betrieb möglichst wenig gestört wurde. Doch in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 war alles anders. An einem Freitagabend, zu später Stunde, rückten einige wenige Polizisten für eine Razzia in der vollen Bar an – und die Stimmung kippte. Die seit Jahren drangsalierte Community, darunter viele Dragqueens und Transgender-Personen, wehrte sich das erste Mal auch physisch gegen die Polizeiwillkür und schlug zurück. Die Stonewall Riots, die dem West Village über mehrere Tage eine Straßenschlacht bescherten, gelten vielen als Beginn der modernen LGBT-Bewegung. Zum Gedenken an diesen Aufstand organisierte die neu gegründete Gay Liberation Front am 28. Juni 1970 den ersten Pride March, der am Washington Place, zwischen Sixth Avenue und Sheridan Square gelegen, begann und bis zum Central Park führte – laut New York Times mit bereits mehreren tausend Teilnehmenden. Im Jahr 2015 wurde das Stonewall Inn von der Stadt zum New York City Landmark erklärt, bevor Präsident Barack Obama 2016 das Stonewall Inn und den davor liegenden Platz zum Stonewall National Monument erhob. Zum 50. Jahrestag von Stonewall feierte New York City zeitgleich den WorldPride mit insgesamt fünf Millionen Besuchern. Über zwölf Stunden dauerte die Parade, die sich von der Fifth Avenue in Richtung West Village aufmachte und auch am Stonewall Inn vorbeizog. Angeführt wurde die Parade dabei von Mitgliedern der Gay Liberation Front und Veteranen des Aufstandes von 1969. Ein wahrlich historischer Moment.

Foto: Dirk Baumgartl

INFO

www.nycgo.com/lgbtq

HINKOMMEN

Delta Airlines bietet täglich Nonstop-Verbindungen ab Frankfurt, Berlin (Sommerflugplan) und Zürich. Ab November führt die US-Airline ein neues Service-Konzept in der Economyclass auf internationalen Flügen ein, das unter anderem Begrüßungscocktails und eine größere Auswahl an Gerichten beinhaltet. www.delta.com

ÜBERNACHTEN

Südlich vom Greenwich Village gelegen, ist das Arlo SoHo ein guter Ausgangspunkt zum Erkunden der Stadt. Das Lifestyle-Hotel verfügt über 325 modern eingerichtete Zimmer, darunter die mit einer Außendusche ausgestatteten Queen Terrace Rooms. Von der Bar auf der Dachterrasse schaut man über den Hudson River und für Gäste gibt es täglich eine kostenlose Happy Hour. www.arlohotels.com

Foto: arlohotels.com

TIPP

Gegründet von Professor Andrew Lear, hat sich die Firma Oscar Wilde Tours auf Stadtführungen zum Thema LGBT in Europa und den USA spezialisiert. In New York stehen eine zweistündige Tour durch Greenwich Village sowie die außergewöhnliche „Gay Secrets of the Metropolitan Museum“-Führung auf dem Programm. www.oscarwildetours.com

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