LGBTIQ*-Gemeinde in Griechenland: Totschweigen war gestern

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Lange war das Thema sexuelle Vielfalt tabu in Griechenland. Immer noch versuchen Konservative und die Kirche, das Land im sexuellen Mittelalter zu halten. Doch mehr und mehr Menschen trauen sich an die Öffentlichkeit – und bringen Hellas in puncto Menschenrechte einen wichtigen Schritt weiter.

Wenn man in Griechenland nach zwei Männern oder Frauen Ausschau hält, die Hand in Hand über die Straße gehen, dann sucht man zumeist vergeblich. Immer noch hängt das Land stark an den Traditionen und Werten der christlich-orthodoxen Kirche. Noch 2013 verkündete der Metropolit von Thessaloniki – eine Art Erzbischof im orthodoxen Christentum – mit Blick auf den Gay Pride, dass es in Griechenlands zweitgrößter Stadt gar keine Schwulen gäbe – die wären alle aus Athen gekommen.

Auch Dragqueens kaufen Kippen

Über diese und ähnlich realitätsferne Aussagen kann Thanos Vlahogiannis nur lachen. Er ist organisatorischer Leiter des Gay Pride in Thessaloniki – einer von insgesamt fünf Pride-Veranstaltungen in Griechenland. Für ihn gehörte die Auseinandersetzung mit homophoben Stimmen lange zum Alltag. Doch gerade im Verlauf der letzten sechs Jahre, in denen der zweitgrößte Pride Griechenlands bereits stattfindet, habe sich viel verändert. „Am Anfang war man in Thessaloniki noch sehr skeptisch. Inzwischen haben Hoteliers, Restaurantbesitzer und Kioskbetreiber verstanden, dass feiernde Schwule und Lesben auf den Straßen unserer Stadt kein Problem darstellen, sondern ein Mehrwert sind.“

Und tatsächlich ist der Gay Pride in Thessaloniki einer der größten Events in Nordgriechenland, mit Besuchern aus dem gesamten Balkan und der Türkei. „Ich habe nichts gegen Schwule und Lesben“, kommentiert die 42-jährige Verkäuferin an einem Kiosk gegenüber dem weißen Turm, dem Wahrzeichen der Stadt. Hier beginnt der große Umzug und ab Mittag tummeln sich an der Strandpromenade Anhänger der LGBTIQ*-Gemeinde, Menschenrechtler und Feierwütige. „Immer mehr Menschen kommen zum Pride und zeigen sich ganz offen“, freut sich Thanos Vlahogiannis. „Das ewige Versteckspiel nimmt langsam, aber sicher ein Ende.“ An den Tagen des Pride seien die Umsätze enorm, berichtet die Kioskbesitzerin, während sie einer Dragqueen auf überdimensionalen High-Heels Zigaretten verkauft.

Die Angst vorm Nachbarn

Natürlich denken längst nicht alle Menschen in Griechenland so wie sie. „Allgemein hat sich die Lage entspannt, aber gerade Transmenschen werden häufig diskriminiert und teilweise sogar bedroht“, erklärt die 37-jährige Filippa Diamanti, Lehrerin und LGBTIQ*-Aktivistin. Doch seit einigen Jahren gebe es Unterstützung. „Eigentlich kann man sich inzwischen überall in Griechenland bei LGBTIQ*-Gruppen informieren. Bei Problemen oder schweren Krisen wird aktiv geholfen. Man ist nicht mehr allein.“

Auch das Internet sei ein wichtiges Medium – schon, um mit Menschen in Kontakt zu treten. Für Filippa Diamanti ist die größte Errungenschaft der letzten Jahre, dass man sich auch öffentlich mit dem Thema auseinandersetzt. „Das war vor wenigen Jahren noch anders. Man hatte das Thema sexuelle Vielfalt einfach aus dem öffentlichen Diskurs verbannt. Deswegen haben sich viele Menschen geschämt und hatten Angst.“ Angst im Regelfall aber nicht vor den Eltern, die sich heute zumeist mit der sexuellen Identität ihrer Kinder arrangieren könnten, sondern vor dem sozialen Umfeld.

Der Grund ist folgender: In Griechenland gibt es kein funktionierendes Sozialsystem. Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch bei über 20 %, die Jugendarbeitslosigkeit bei etwa 50 %. Das fehlende soziale Netz wird durch Familie und Freunde kompensiert – und das erzeugt Abhängigkeiten. „Den meisten Eltern geht es vor allem darum, dass die Nachbarn nichts erfahren, einfach weil sie befürchten, ausgeschlossen zu werden“, erklärt Diamanti. Dies bestätigt auch der auf die LGBTIQ*-Gemeinde spezialisierte Psychiater Stavros Boufidis: „Viele Betroffene fühlen sich wie in einem Gefängnis. Das kann zu schweren psychischen Störungen, Depressionen und sogar zu Selbstmord führen.“

Endlich schwule Polizisten

Schwierig sei die Situation auch nach wie vor für LGBTIQ*-Geflüchtete. „Viele von ihnen sind durch den Krieg traumatisiert und zusätzlich aufgrund der Probleme der Umwelt mit ihrer sexuellen Identität. Sie werden von Mitflüchtenden ausgeschlossen, diskriminiert oder misshandelt“, berichtet Boufidis. Auch die griechischen Behörden würden häufig mit Diskriminierung gegenüber Schutzsuchenden aus der LGBTIQ*-Gemeinde reagieren. Gerade die Polizei sei bekannt für ihre Homophobie, wobei sich auch hier viel getan habe.

„In diesem Jahr hat zum ersten Mal eine offizielle Gruppe der Polizei bei unserem Umzug für Menschenrechte mitdemonstriert,“ berichtet Andrea Gilbert, Hauptorganisatorin des Pride in Athen. Leiter der Gruppe ist Michalis Lolis, Griechenlands erster Polizist, der offen zu seiner Homosexualität steht. In Griechenland, einem Land, in dem die Kirche mehr oder minder offen zu Gewalt gegen Homosexuelle aufruft, ist das eine Sensation.

Immer mehr Menschen in Griechenland erkennen, dass sexuelle Vielfalt alles andere als ein Randthema ist. Ministerpräsident Tsipras hat dem schwulen Magazin „Antivirus“ ein Interview gegeben, immer mehr hochrangige Politiker sprechen der LGBTIQ*-Gemeinde ihre Unterstützung aus, der Athener Pride begann dieses Jahr erstmals auf dem berühmten Syntagma-Platz direkt vor dem Parlament, und die Medien berichten überwiegend positiv. Seit letztem Jahr gibt es die eingetragene Partnerschaft, und die linke Syriza-Regierung verabschiedet Anti-Diskriminierungsgesetze. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns“, weiß Filippa Diamanti. Doch die ganz dunklen Zeiten sind vorbei. *Florian Schmitz

Der Autor: Florian Schmitz studierte Komparatistik, Spanisch und Lateinamerikanistik in Berlin und Madrid. Seit 2013 ist er freier Autor und Griechenlandkorrespondent, u. a. für die Deutsche Welle sowie die Radiosender von ARD und ZDF. Im Mai 2017 erschien im RIVA-Verlag sein erstes Buch „Erzähl mir von Deutschland, Soumar.“

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