Ungarn: Massenproteste gegen geplantes Verbot von „Werbung“ für Homosexualität

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Foto: AFP / Gergely Besenyei

In Ungarn haben tausende Menschen gegen ein geplantes Gesetz demonstriert, mit dem die Regierung von Ministerpräsidenten Viktor Orban „Werbung“ für Homosexualität oder für Geschlechtsangleichende Maßnahmen bei Minderjährigen verbieten will (wir berichteten). Vor dem Parlament in Budapest versammelten sich am Montag mehr als 5000 Menschen mit Regenbogenfahnen.

Die Abgeordneten werden dem Gesetzentwurf voraussichtlich am Dienstag zustimmen. Orbans Fidesz-Partei hatte den Gesetzentwurf am Donnerstag ins Parlament eingebracht. Bildungsprogramme zu Homosexualität oder Werbung von Großunternehmen, die sich mit Homosexuellen solidarisch erklären, sollen demnach künftig verboten werden, ebenso wie Aufklärungsbücher zu dem Thema. Sollte der Entwurf verabschiedet werden, würden die Meinungsfreiheit und die Kinderrechte in Ungarn massiv beschnitten, kritisierte ein Bündnis aus fünf Nichtregierungsorganisationen, darunter Amnesty International. Die Fidesz-Partei kopiere damit „diktatorische Modelle, die gegen europäische Werte verstoßen".

Foto: AFP / Gergely Besenyei

Ungarn war im Dezember mit einem Gesetzespaket gegen Homosexuelle und andere vorgegangen, das international auf Kritik stieß. Es schreibt unter anderem vor, dass das Geburtsgeschlecht nicht geändert werden kann, und untersagt es Homosexuellen, Kinder zu adoptieren (wir berichteten). Das Gesetz war in Teilen vom ungarischen Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden (wir berichteten).

Gegen das neue Gesetz wird der Protest auch im Ausland immer lauter:

Die niederländische Politikerin Lisa van Ginneken, die erste Transgender-Person, die ins Repräsentantenhaus des Landes gewählt wurde, schrieb auf Twitter: „Órban will LGBTI-Personen zum Schweigen bringen. Buchstäblich, denn seine Pläne werden Menschenleben kosten, wenn die Menschen keinen Ausweg sehen, um sie selbst zu sein.“ Sie versprach, am 2. Juli in Budapest zu sein, um ihre Unterstützung vor Ort auszudrücken.

Lydia Gall, eine auf Vergehen in Osteuropa spezialisierte Menschenrechtsanwältin der Organisation Human Rights Watch, mahnte das Vorhaben auf Twitter wiederholt an. Sie schrieb:

„Das ungarische Parlament stimmt heute über ein Anti-LGBT-Gesetz ab, das fälschlicherweise behauptet, dem „Schutz von Kindern“ zu dienen. Seit wann brauchen Kinder Schutz vor Vielfalt? Sie brauchen Schutz vor Hass und Intoleranz. Lehnen Sie das Gesetz ab!“

Philippe Dam, der Direktor für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch, wandte sich direkt an die EU-Kommission und ihre Präsidentin Ursula von der Leyen, indem er erklärte, der Gesetzentwurf sei ein weiterer Angriff auf die Meinungsfreiheit und ein Rückschlag für LGBT-Rechte, die beide geschützt werden sollten. Auch Helena Dalli forderte er in seinem Tweet direkt zum Handeln auf. Weder von der Leyen noch Dalli haben sich bis dato zu den neuen Entwicklungen zu Wort gemeldet.

Immerhin Dunja Mijatović, seit 2018 Menschenrechtskommissarin des Europarates, gab gestern ein Statement ab, in dem sie alle ungarischen Parlamentsabgeordneten aufforderte, gegen das Gesetz zu stimmen. Es sei irreführend und falsch zu behaupten, dass es eingeführt würde, um Kinder zu schützen. 

„Dies ist nicht nur ein Affront gegen die Rechte und Identität von LGBTI-Personen, sondern beschneidet auch die Meinungs- und Bildungsfreiheit aller Ungarn. Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen widersprechen internationalen und europäischen Menschenrechtsstandards.“

Unterstützung kam auch aus Großbritannien – dem Land, dessen Regierung sich eigenen Aussagen zufolge stärker mit Ungarn und Osteuropa verbinden möchte (wir berichteten). Die queere Abteilung der Liberal Democrats, der drittgrößten Partei im englischen Parlament, schrieb auf Twitter:

„Gesetze wie dieses haben keinen Platz in der EU oder irgendwo sonst auf der Welt. Solidarität mit der LGBT+ Community in Ungarn und mit allen, die Widerstand leisten.“

Unterdessen werden auch Stimmen lauter, die eine Reaktion vom DFB und der deutschen Nationalmannschaft fordern – diese spielt in der Europameisterschaft am 23. Juni gegen Ungarn. Grünen-Politiker Rasmus Andresen, Mitglied des Europäischen Parlaments, drückte auf Twitter seine Unterstützung für den Vorschlag von ARD-Journalist und Politmagazin-Moderator Georg Restle aus.

Andresen gab zudem eine ausführliche Stellungnahme als Mitglied der LGTBI-Intergroup im Parlament ab, in der er erklärte, das Gesetz müsse gestoppt werden, da es einen weiteren Rückschlag gegenüber Grund- und Freiheitsrechten von LGBTIQ-Personen darstelle. Die Intergroup fordere daher alle ungarischen Abgeordneten auf, gegen die offen diskriminierenden Änderungsvorschläge zu stimmen. Auch die EU-Institutionen müssten tätig werden und die anhaltenden und systematischen Angriffe der ungarischen Regierung auf die Menschenrechte queerer Menschen nicht nur scharf verurteilen, sondern im Rahmen des EU-Rechts auch dagegen vorgehen. Die Intergroup wünscht sich zudem ein deutliches politisches Statement bei der Europameisterschaft:

„Wir fordern, dass alle DFB-Vertreter*innen, auch Spieler, an diesem Tag sichtbar eine Regenbogen-Armbinde tragen sollten. Alle, die an demokratischen Werten und Menschenrechten interessiert sind, sollten ihre Unterstützung für LGBTIQ-Personen offen kommunizieren - bei jeder Gelegenheit!“

FOTO: MARIUS HOPPE

Foto: https://jbrandenburg.abgeordnete.fdpbt.de

Auch andere Stimmen aus Deutschland verurteilen das Vorgehen der ungarischen Regierung scharf, darunter Jens Brandenburg, LSBTI-politischer Sprecher der FDP-Bundestagsabgeordneten und Moritz Körner, FDP-Europaabgeordneter. Sie erklärten, sexuelle und geschlechtliche Aufklärung sei die Basis für einen selbstbestimmten Umgang mit dem eigenen Körper. Wer das verbiete, liefere Kinder und Jugendliche den Fanatikern aus. 

„Per Gesetz eröffnet Orbáns Fidesz eine mittelalterliche Hetzjagd gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten. Das ist erbärmlich und darf von der Europäischen Union nicht toleriert werden. [...] Auch die Bundesregierung darf nicht tatenlos zusehen, wenn Menschenrechte in Europa so sehr mit Füßen getreten werden.“

*AFP/ck/lm

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