Letzte Minute: Frankreich und Deutschland unterstützen EU-Klage

Deutschland und Frankreich unterstützen eine EU-Klage gegen Ungarn wegen der Diskriminierung sexueller Minderheiten. Aus Berliner Regierungskreisen hieß es am Freitag, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron entschieden, dem Verfahren von Seiten der EU-Kommission gemeinsam beizutreten. Dabei geht es um ein ungarisches Gesetz, das „Werbung“ für Homo- oder Transsexualität verbietet. Die Mitgliedsländer hatten bis vergangene Woche Zeit, sich dem Vorgehen anzuschließen.

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Darum geht es

Aus Sicht von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist das Gesetz eine „Schande“ und verstößt unter anderem gegen Europas Grundrechtecharta und die Meinungsfreiheit. Ihre Brüsseler Behörde hatte die Klage gegen Ungarn vor dem Gerichtshof der Europäischen Union bereits am 13. Februar im EU-Amtsblatt veröffentlicht. Die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) basiert auf Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der es der Kommission erlaubt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedstaat einzuleiten, wenn dieser seiner Verpflichtung zur Umsetzung oder Einhaltung des EU-Rechts nicht nachkommt.

Foto: Ludovic Marin / AFP

Die Kommission wirft Ungarn vor, mit einem Gesetz zur Einschränkung von Informationen über sexuelle Minderheiten die Grundrechte und Werte der EU zu verletzen. Das beanstandete ungarische Gesetz verbietet Filme, Bildungsprogramme oder Aufklärungsbücher über Homosexualität ebenso wie Werbung von Konzernen, die sich mit sexuellen Minderheiten solidarisch erklären. Die Kommission sieht darin eine Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität sowie eine Einschränkung der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit.

Die Klage ist nur ein jüngster Schritt in einem langjährigen Konflikt zwischen der EU und Ungarn über die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in dem Land. Die EU-Kommission hat bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet, unter anderem wegen der Justizreform, der NGO-Gesetzgebung und der Asylpolitik. Der EuGH hat in einigen Fällen bereits zugunsten der Kommission entschieden und Ungarn zur Änderung seiner Gesetze aufgefordert. Sollte Ungarn sich nicht an die nun zu erwartenden EuGH-Urteile halten, drohen hohe Geldstrafen.

Die Unterstützenden

Nach einer AFP-Zählung unterstützen nun 15 Mitgliedsländer sowie das Europaparlament das Brüsseler Vorgehen gegen Budapest. Neben Deutschland und Frankreich sind dies Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Dänemark, Portugal, Irland, Spanien, Malta, Österreich, Schweden, Slowenien, Finnland und Griechenland.

Foto: photothek / Thomas Koehler

Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD) begrüßte die deutsch-französische Entscheidung: Der ungarische Regierungschef Viktor Orban benutze Minderheiten, „um von der Demontage der Demokratie und Korruption abzulenken“, schrieb sie auf Twitter. 

Der Grünen-Sprecher im EU-Parlament, Rasmus Andresen sagte:

Foto: Alex Flores

„Der Beitritt der Bundesregierung zur Klage gegen das hasserfüllte ungarische Anti LGBTI* Gesetz, ist ein wichtiges Signal. Neben 14 EU Mitgliedsstaaten hat auch das Europäische Parlament beschlossen der Klage beizutreten. Dies ist ein starkes Zeichen zur Unterstützung der ungarischen LGBTI* community, die wir in im Kampf für ihre Rechte und ein selbstbestimmtes Leben nicht alleine lassen dürfen. Die deutsche Unterstützung zeigt, dass man beim Einsatz für Menschenrechte und Freiheit nicht neutral sein kann, sondern Stellung beziehen muss.“ 

Deutschland zwischen den Stühlen?

Deutschland und Frankreich haben ein besonderes Verhältnis zu Ungarn, das historisch gewachsen ist. Beide Länder haben nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Ungarn bei seinem Weg in die EU unterstützt und sehen das Land als wichtigen Partner in Mittel- und Osteuropa an. Sie wollen daher nicht die Beziehungen zu Ungarn abbrechen oder eskalieren lassen, sondern versuchen immer wieder, einen Dialog aufrechtzuerhalten. Das bedeutet aber auch, dass sie manchmal Kompromisse eingehen oder Konflikte vermeiden müssen.


Orbans Ungarn und die EU-Werte im Fokus: 

HIER zum Überblick


So war die Frage der Rechtsstaatskonditionalität, also der Verknüpfung von EU-Geldern mit der Einhaltung von Rechtsstaatsprinzipien ein weitere Fall für diesen Dissens. Deutschland und Frankreich haben im Dezember 2020 einem Kompromiss zugestimmt, der die Anwendung dieses Mechanismus verzögert und verwässert hat, um einen Veto von Ungarn und Polen gegen den EU-Haushalt zu verhindern. Dieser Kompromiss wurde von vielen anderen EU-Ländern und vom Europaparlament kritisiert, die eine härtere Linie gegenüber den sogenannten „illiberalen Demokratien“ forderten. Auch die jetzt wieder auffallend späte Zustimmung wird kritisch kommentiert. 

*AFP/lob/pe

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