CSD-Berlin: Ein Interview über Inhalte und Anschuldigungen

„Ein Beginn, aber noch lange nicht das Ziel“

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Foto: Stefan Witt / Videokombinat

Berlin scheint ohne Shitstorm gegen seinen CSD nicht ruhig schlafen zu können. Dass damit immer wieder ehrenamtliches Engagement diskreditiert und Nachwuchsförderung verunmöglicht wird – egal. Hauptsache draufgehauen, so hanebüchen sich die Anschuldigungen im Nachhinein auch regelmäßig darstellen. Auch darüber sprachen wir mit dem Vorstand, im Vordergrund standen aber die Ergebnisse eines knappen Jahres Vorbereitung für den 45. CSD in Berlin.

Foto: Berliner CSD e. V.

Ihr habt die Wagenanzahl in diesem Jahr begrenzt. Warum?

Der naheliegendste Grund ist auch eine Verantwortung in Bezug auf den Fußabdruck des CSD Berlin. Als verantwortungsbewusster Verein ist es uns so möglich, weniger CO2 in die Umwelt zu stoßen. Darüber hinaus steigern wir durch Rabatte den Anreiz bei Fahrzeugen mit umweltfreundlichen Antrieben. Vielmehr ist uns allerdings wichtig, dass wir in Zukunft die Logistik, die Sicherheit, das Team und auch die Ziele unserer Demo in einen besseren Einklang bringen und verantwortungsbewusst eine sichere und sichtbare Demo umsetzen. Eine weitere Reduzierung bzw. Limitierung von Trucks ist dahingehend durchaus vorstellbar. Im Anschluss an unsere internen und externen Gespräche haben wir uns als Vorstand dazu entschieden, die Truckstartnummern für das Jahr 2023 auf 75 zu begrenzen und für das Jahr 2023 einen Anmeldeprozess im „First-Come-First-Serve“-Prinzip zu öffnen.

Wie nutzt ihr als Verein die Wagen in diesem Jahr, um den CSD politisch aussehen und klingen zu lassen?

In erster Linie richten wir den Fokus mehr und mehr auf unseren Pride Month Berlin, den Kuratorin Zoe Rasch nun bereits zum zweiten Mal zusammen mit einem erweiterten Team organisieren konnte. An dieser Stelle Danke an Stella, Ariel und Nora. Die Schwerpunkt-Themen der Demo haben wir im Vorfeld in einer großen Fotokampagne vom Berliner Fotograf Kiko Dionisio und unserem Vereins-Grafiker Denis bildlich in Szene setzen lassen. Passend zum Motto „Be their voice – and ours!“ wird mit dem extremen Untertitel „proud as fuck“ ein Querschnitt der Community auf unseren beiden Trucks Platz finden. Eingeladen sind Aktivist*innen, Teilnehmende unseres Forderungs-Forums sowie das Team des Pride Month. Unser zweiter Truck wird im Zeichen des Selbstbestimmungsgesetzes der trans, non-binary und Inter-Community stehen. Selbstverständlich werden wir auch viele Reden planen, welche u. a. auch auf jedem anderen Truck zur Pflicht wurden. Daher heißt das mindesten 150+ Reden am CSD Berlin.

Immer wieder wird dem CSD vorgeworfen, zu weiß und zu schwul zu sein. Wie stellt ihr das Programm in diesem Jahr auf?

Fast alle Vereinsmitglieder sind weiß und ein enorm großer Anteil ebenfalls männlich gelesen. Der Vorstand und die Inhalte des CSD selbst sind es nicht mehr. Mit unserer Vorständin Seyran konnten wir eine muslimische, bi+sexuelle Frau gewinnen, darüber hinaus Stella, welche als trans Frau die Community und Bedürfnisse nonbinärer Menschen in den Fokus rückt. Unsere Redner*innen der Jahre 2021, aber auch 2022 waren nahezu paritätisch besetzt. Das Programm 2022 hatte große Anteile nicht deutschsprachiger Acts und verstärkt das Bemühen, die BIPoC-Community zu integrieren. Ein Beginn, aber noch lange nicht das Ziel. Auch 2023 werden die Moderator*innen The Darvish, Saskia Michalski, Kaey Kiel, Frank Peter Wilde und BayB Jane für Diversität sorgen und unser Bühnenprogramm um iranische Künstler*innen, afrikanische Aktivist*innen, FLINTA* und Queers erweitern.

Foto: John MacDougall

Inklusion ist seit zehn Jahren Thema beim CSD, es gibt ein eigenes Team dazu – auf was können sich Menschen mit Behinderung besonders freuen?

Unser Sonderbevollmächtigter Ron von „Inklusion muss laut sein“ hat das Thema noch einmal neu angepackt. Wir werden neben unseren Rollstuhlpodesten am Potsdamer Platz und am Brandenburger Tor diesmal behindertengerechte Toiletten aufstellen, eine konkrete Kontaktadresse für die Belange von Menschen einrichten, eine bessere Wegeleitung probieren und auch die Integration von Menschen mit speziellen Belangen ausbauen. Auch Gebärdensprachdolmetscher*innen wird es wieder geben. Das Team ist unter inklusion@csd-berlin.de für weitere Vorschläge und auch Nachfragen erreichbar.

Seit rund zehn Jahren werden viele Demo-Trucks bei den CSDs in Deutschland und auch in Berlin durch die Agentur bluCom organisiert**. Hier wird einem Vorstand als gleichzeitiger Geschäftsführer dieser Agentur Vorteilsname vorgeworfen. Wie läuft die Vergabe und wer bezahlt wen?

Unsere Demoleitung und stellvertretende Demoleitung haben den Prozess der Bestätigungen, wie auch die Jahre zuvor, geleitet und waren im Jahr 2023 von Beginn an in den Prozess (technisch ein Forms-Link) der Anmeldungen und Startnummernvergabe involviert. Die Öffnung des Anmeldeprozesses war für alle über unsere Website, unsere Pressemitteilung und unsere Social-Media-Kanäle zur gleichen Zeit bekanntgegeben wurden. Alle Kategorien und Anmeldegebühren wurden ab dem ersten Tag nachvollziehbar auf der Website gelistet. Uns sind keine großen Nachfragen von Anmeldenden bekannt.

Seit mehreren Monaten berichten verschiedene Medien über Gerüchte und Vorwürfe gegen Teile des Vorstandes. Warum habt ihr so lange geschwiegen?

Wir schätzen die direkte Kontaktaufnahmen an den Verein oder Vorstand. Alle Anfragen werden zeitnah in Besprechungen bewertet und selbstverständlich auch beantwortet. So geschah es auch nach der medialen Veröffentlichung, welche Gerüchte und Vorwürfe enthielt.

Foto: John MacDougall

Es wird behauptet, Bargeldeinnahmen seien nicht korrekt eingezahlt bzw. deren Höhe verschleiert worden. Was sagt ihr dazu?

Alle erwirtschafteten Gastroeinnahmen des Vereins im Jahr 2022 wurden steuerrechtlich rechtzeitig eingezahlt, sind vollständig und korrekt.

Die Überweisungen auf ein Schweizer Konto sorgte für Mutmaßungen. Was hat es damit auf sich?

Hier wurde ganz einfach, wie in den Jahren vor unserer Vorstandszeit auch, ein freier Projektmitarbeiter im Team bezahlt, der seinen Steuersitz in der Schweiz hat und mit dem der Verein seit Jahren zusammenarbeitet. Daher können wir diesen, wie auch andere Vorwürfe nicht nachvollziehen.


Update 25. Juni 2023: Auch die Staatsanwaltschaft Berlin kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen

Laut Bericht des Tagesspiegel hat die Staatsanwaltschaft das wegen einer anonymen Anzeige aufgenommene Ermittlungsverfahren gegen Vorstandsmitglieder wieder eingestellt. Es habe an einem hinreichenden Tatverdacht gemangelt, erklärte die Staatsanwaltschaft die schnelle Entlastung des durch reißerisch aufgemachte Berichte und Meinungsbeiträge der Berliner Zeitung und queer.de unter öffentlichen Druck geratenen Gremiums. 


Foto: David Gannon / AFP

Zum Schluss eine persönliche Frage: Freut ihr euch eigentlich noch auf den CSD?

Absolut. Der CSD war selten wichtiger als heute. Wir sehen Rechtspopulisten im Zustimmungshoch, Angriffe und Gewalt gegen trans Menschen und Drags. Das geht so nicht und wir müssen uns gemeinsam dagegen wehren, anstatt uns gegenseitig zu blockieren.

*Interview: Christian Knuth


**Transparenzhinweis: Die bluCom ist eine Schwestergesellschaft der blu mediengruppe, in der auch männer.media publiziert wird.

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