#Kommentar: Hat Heidi es drauf?

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Foto: ProSieben / Martin Ehleben

Am Anfang der Sendung weint Heidi Klum sich bei den Drags über den Shitstorm aus, der nach Bekanntgabe des Formats über sie hereinbrach. Sie spricht darüber, dass es Diskriminierung wäre, sie von vorneherein auszugrenzen, nur weil sie eine „Biofrau“ sei. Genau das versuchte eine Petition, die über 27.000 Unterschriften sammeln konnte. Der Tenor: Ein international erfolgreiches, weißes und heterosexuelles Topmodel hat von Queerness keine Ahnung. 

Foto: Hall Entertainment Group / P. Hall

Hat Heidi es drauf?

Ich war zerrissen: Einerseits fand ich es heuchlerisch, dass eine Community, die sich ständig über Ausgrenzung beschwert, selbst jemanden ausgrenzen will. Andererseits konnte ich Heidi Klum seit der ersten Folge von Germany's Next Topmodel nicht ausstehen. 

Nach gestern Abend bin ich vor allem eines: Überrascht. Eine Folge von Queen of Drags reichte aus, um 14 Staffeln Topmodel zu revidieren. Heidi ist ja nett. Menschlich. Süß! Heidi hält die Klappe. Heidi tröstet. Heidi weiß eigentlich gerade nicht so genau, was sie machen soll. Und vor allem: Heidi will niemandem wehtun. Sie wählt ihre Worte mit sehr viel Bedacht, weil sie Angst hat, etwas falsches zu sagen.

Man stellt fest: Die Kritiker hatten Recht. Dies ist nicht Heidis Welt. Aber sie hatten auch Unrecht. Denn Frau Klum ist als Frontfrau die Idealbesetzung. Dies ist keine Nischensendung auf einem Kultursender, es ist Mainstreamfernsehen zur Primetime. Hausfrau Helga, die nebenbei bügelt, und Bauarbeiter Jürgen, der es sich nach der Arbeit auf dem Sofa bequem macht, brauchen Heidi. Sie brauchen jemanden, mit dem sie sich identifizieren können. Jemanden, der fast genauso wenig Ahnung von alldem hat wie sie und mit dem gemeinsam sie die Welt des Drag kennenlernen können.

Foto: Davis Factor

Worauf steht eigentlich Bill? 

Auch Bill Kaulitz wurde im Vorfeld kritisiert. Er habe seinen Weltruhm nie genutzt, um sich öffentlich als queer zu bekennen und dadurch für mehr Akzeptanz zu sorgen.

Für all die, die (wie ich) hofften, Bill würde die erste Folge nutzen, um sein Coming-out zu haben: Das war wohl nix. Aber man meint, in seinem verschmitzten Lachen das ein oder andere Mal genau das herauszulesen: „Pech, lasst mich doch. Ich bin ein Buch mit Sieben Siegeln.“ Das wird spätestens deutlich, als er Kandidatin Candy Crash für ihren Auftritt als leblose Sexpuppe lobte und gestand: „Ich fand's geil!“

Wieviel Drag Race steckt in Queen of Drags?

Natürlich gibt es die üblichen Charaktere: Die Schüchterne, die es nicht schafft, ihre Unsicherheit bei ihren Jeans im Umkleideraum zu lassen. Die Ältere, die weiß wie der Hase läuft. Die Jüngere, die emotional überfordert ist. Die narzisstische Bitch, die am Ende von mehr Selbstzweifeln geplagt wird als alle anderen. Irgendwie schließt man sie (fast) alle schon nach ein paar Minuten ins Herz.

Was RuPaul's Drag Race so besonders macht, ist die Art und Weise, wie es die Charaktere darstellt. Wie es sie an die Hand nimmt und ihre Geschichte erzählt – ohne dass es im Ansatz an gruseliges Reality-TV erinnert, das nur der Belustigung der Zuschauer dient. Ich hätte nicht gedacht, dass auch Queen of Drags das schafft. Ich wurde eines besseren belehrt. Chapeau!

Die queere Community wird für Hausfrau Helga und Bauarbeiter Jürgen genauso bunt und liebevoll verkorkst dargestellt, wie sie im Kern auch ist. Und das ist eine Erleichterung, denn das Ganze hätte auch anders ausgehen können.

Wer muss gehen?

Nach den Auftritten der Queens muss die Kandidatin mit den wenigsten Punkten am Ende die Show verlassen. Diesmal trifft es Janisha Jones, die bitterlich weint. Ach Mensch! Tröste dich, Janisha: Dass es um den Sieg am Ende nie wirklich geht, zeigte bereits das amerikanische Vorbild. Für viele Teilnehmer*innen war die Show ein Sprungbrett in eine noch erfolgreichere Karriere.

Queen of Drags ist so grotesk und queer, wie es lustig ist. Mega! Genau meine Form von Abendunterhaltung, donnerstags um 2015 Uhr auf ProSieben!

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