Die Politik von Drag

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Foto: M. Rädel

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Ist ein Mann in Frauenkleidern politisch? Und wer definierte eigentlich wann, was Frauenkleider sind? Und was macht den Mann zum Mann? Schreibt man über die Kunst der Travestie, kann man sich nicht der politischen Ebene verschließen.

Die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft mag es lieber, wenn Menschen mit Penis keine Kleider tragen. Und fühlen sich provoziert, wenn Menschen mit Penis sich selbst als genderfluid oder gar als weiblich definieren. Es wird online gehetzt und gepöbelt, es wird diskriminiert und es passieren immer wieder schreckliche Morde, weil ein Mensch wagt, so zu leben, wie er eben ist. Insofern tangiert Travestie immer auch die Politik und Gesellschaft.

Auch innerhalb der Szene ist Drag etwas Politisches: Dragqueens beobachten sich – vor allem in Zeiten von Social Media – mit Argusaugen, kreiden an, kritisieren und lachen aus. Andere Dragqueens wiederum scheißen auf Sachen wie Political Correctness und nehmen für einen derben Witz oder eine Schlagzeile auch mal Kollateralschäden und seelische Verletzungen der Angegriffenen in Kauf.

Foto: M. Rädel

Aber er ist nicht weg, der Zusammenhalt in der Drag-Community, das wollen wir hier auch nicht behaupten! Vor allem während der ersten Corona-Welle war es ganz wunderbar zu erleben, wie Drags, die Community im Allgemeinen sich gegenseitig half und supportete. Alte Grabenkämpfe waren vergessen, man rückte zusammen trotz Social Distancing. Und ja, Dragqueens waren schon immer die, die der Gesellschaft den Spiegel vorhielten, die sich Dinge rausnehmen durften, die man sonst nur schwer akzeptieren konnte.

Einst unterschied man innerhalb der Szene zwischen Tunte, das waren politisch-aktive Dragqueens und Transe, gemeint waren damit nicht Trans*, sondern bunte Queers, die nur auf Spaß und Glamour setzten, aber wenig(er) politisch waren. Mittlerweile sind aber weder diese Begriffe gebräuchlich, noch gibt es diese zwei Lager. Heute kann jede/jeder politisch wirken und auf Glamour setzen, das war in den späten 1990ern noch etwas anders, da achtete die Tunte durchaus darauf, „nicht zu perfekt, sondern etwas schangelig“ (Zitat Daphne de Baakel) auszusehen. Und Underground-Größen wie Juwelia Soraya bezeichnen sich selbst sogar (mitunter) als Scheusal. Das stößt uns vor den Kopf und das ist sicherlich beabsichtigt, denn die herzensgute Juwelia ist Künstlerin, kein Scheusal. Kein Mensch kann das sein. Ohne Zweifel spielt Juwelia aber dann – in ihrer Funktion als Tunte – darauf an, wie die Gesellschaft Menschen wie sie leider oft sieht.

Foto: M. Rädel

Zu diesen Gedanken passt hervorragend das Buch von Baffolo Meus, Mitgründer von „Travestie für Deutschland“, „Schminken mit Tschechow – Die Politik von Drag“, das beim Querverlag erschienen ist. „Travestie kann ein dringender Unterschlupf sein, die notwendige Dosis Humor, der Hafen am Ende einer stürmischen Woche oder genau der Superstar, der von jungen Menschen geliebt wird, weil sie sich selbst noch nicht lieben können“, ist dort zu lesen. Ein wunderbares Outro für diesen Text und ein toller Appetitmacher auf sein Buch. www.querverlag.de


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