KOMMENTAR: Religion und Gewalt

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Foto & Produktion: The W Prague - Vratko Barcík & Daniela Pilná

Dass sich die monotheistischen Weltreligionen aus ähnlichen Quellen speisen, dürfte auch ohne Religionsunterricht bekannt sein. Abraham beispielsweise wird im Judentum, im Christentum und im Islam als Vorfahre angesehen. Die religiösen Kerngedanken sind sich, auch wenn es stark verallgemeinernd ist, nicht unähnlich. Gott, unser Schöpfer, möchte, dass wir nach gewissen Regeln leben, die einen im Großen und Ganzen akzeptablen ethischen Kurs abstecken. Diese Folgsamkeit wird mit dem Paradies belohnt.

Die geschichtlich älteste Variante, das Judentum, hat mit dem Alten Testament und anderen Texten eine recht archaische Vorstellung, wie das Zusammenleben geregelt wird. Dies reicht von der Unterdrückung der Frau bis hin zu grausamen Bestrafungen, die der Scharia nicht unähnlich sind. Das Auftreten von Jesus von Nazareth hätte zu einer Reformation des Judentums führen können, mündete allerdings in der Abspaltung und Gründung des inhaltlich verwandten Christentums. Aus der Reduktion der Gebote und Vorschriften auf einen zentralen Kern (Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst) führte es vom befreiten Urchristentum jedoch in eine immer formelhaftere Frömmigkeit, die von Luther wiederum reformiert und durch eine sehr existenzielle Definition bereichert wurde. Das, warum du etwas tust, das ist dein Gott, ruft er auch Atheisten entgegen.

Foto: M. Rädel

Der damit verbundene Begriff Reformationskriege zeigt schon, dass dieser Prozess mit Liebe und Toleranz wenig zu tun hatte. Er belegt, ebenso wie die Kreuzzüge, dass sich die Gnade Gottes im Verständnis seiner Gläubigen nur an die rechtschaffen Glaubenden richtete. Alle anderen waren bis ins Dritte Reich, und damit in die jüngste Vergangenheit des sogenannten christlichen Abendlandes, der Willkür ausgesetzt. Erst die westlichen Demokratien des 20. Jahrhunderts haben mit der Definition von Menschenrechten, die nicht an einen Glauben gebunden sind, die Reformation der christlichen und jüdischen Religion, zumindest für die Mehrheit der Gläubigen, vollendet.

Der Islam hat einen vergleichbaren Reformationsprozess nicht durchgemacht. Die Gründe dafür sind ungemein komplex. Zum einen war der Kernbereich des Islams von der frühen Industrialisierung ebenso abgeschnitten wie von der Technisierung des 20. Jahrhunderts. Erst die Entdeckung der Ölvorkommen hat in den arabischen Ländern zu einem rasanten wirtschaftlichen Veränderungsprozess geführt, der aber auch nach fünfzig Jahren noch keine Auswirkung auf die monarchischen Herrschaftsstrukturen zeigt. Das Nichtvorhandensein einer islamischen Reformation ist daher kein Zeichen für eine weniger fruchtbare Religionsauffassung, sondern in erster Linie der Abwesenheit der Aufklärung geschuldet. Zum anderen ähnelt der Islam in seiner Organisationsform eher dem Judentum, wo einzelne Rabbiner, ähnlich den Imamen, eine bedeutendere Rolle spielen als die Prediger im Christentum. Die päpstliche Zentralgewalt hat sowohl die Ausbildung einer gut organisierten Institution gefördert als auch einen adressierbaren Konfliktpartner im Reformationsprozess hervorgebracht. Eine Institution lässt sich leichter reformieren als dezentral organisierte Glaubensgebilde. Es ist der Aufklärung und der daraus resultierenden Demokratie zu verdanken, dass sich im christlichen Abendland die Trennung von Kirche und Staat durchgesetzt hat. Interessanterweise herrscht im größten muslimischen Land der Welt, Indonesien, ebenfalls eine demokratische Ordnung. Islam und Demokratie scheinen keinesfalls unvereinbar. Vielleicht liegt das Problem eher in dem beständigen Unterlegenheitsgefühl des arabischen Kulturkreises im Wettstreit mit Europa.

Der Arabische Frühling hat gezeigt, dass es ein Unbehagen großer Bevölkerungsschichten mit den diktatorischem Strukturen ihrer Länder gibt. Interessanterweise ist dieser Frühling in den Ländern ausgebrochen, die nicht unter der Herrschaft einer, die Staatsführung beanspruchende, Religionskaste steht, wie beispielsweise im Iran. Die Dominanz des Islams in einem Staat scheint in Zusammenhang mit der Möglichkeit von politischen Reformen zu stehen.

Foto: AltSylt, CC-BY-SA 4.0,

Insofern wird klar, weshalb die reichen arabischen Länder so viel Mittel aufwenden, um ein möglichst dichtes Netz von Koranschulen zu etablieren. Sogar Dubai, das im Vergleich zu anderen arabischen Staaten eine gewisse Weltoffenheit erkennen lässt, will sicherstellen, dass es niemand weiter als dreihundert Meter zur nächsten Moschee hat. In diesen sogenannten Schulen wird nichts gelehrt, außer dem kritiklosen Auswendiglernen des Korans. Es ist eine frühkindliche Gehirnwäsche, die dort praktiziert wird, da sie offensichtlich die Basis für ein obrigkeitshöriges Denken legt, welches sowohl den Potentaten als auch der religiösen Kaste nützt. Damit werden zornige junge Männer geschaffen, die nach den Freitagsgebeten leicht zu spontanen Demonstrationen zu manipulieren sind. Dass dabei immer wieder Monster entstehen wie die Taliban oder der IS, wird anscheinend in Kauf genommen. Diese Negierungen von Religion können im Zweifel dafür herhalten, den Westen von einem Vorgehen gegen die arabischen Diktaturen abzuhalten und weitere Waffenlieferungen zur Wahrung der eigennützigen Stabilität zu garantieren.

Diese politischen Zusammenhänge negieren keinesfalls die moralische Schuld der Gewalttäter. Ebenso wenig wie die häufig vorgebrachte Entschuldigung, dass auch andere Verbrechen mit der Berufung auf eine Religion verübt würden. Eine Gewalttat kann niemals durch andere Gewalttaten relativiert werden, und zurzeit ist das größte Problem der Fanatismus, der sich auf den Islam beruft. Selbst wenn es auch im europäischen Kulturkreis Verirrungen wie den Oslo-Attentäter Breivik gibt.

Die größte Herausforderung für die Mehrheit der Muslime wird darin bestehen, sich erstens derjenigen zu entledigen, die den Islam als Herrschaftsmittel missbrauchen. Zweitens müssen sie sich dagegen verwahren, dass Terroristen sich zur Begründung ihrer Taten auf den Islam berufen. Dass ihnen dieses Bekenntnis von der westlichen Welt abgefordert wird, ist zweifelsohne ein schwieriger Spagat. Selbst für einen modernen Muslim muss die westliche Kultur oftmals eine Zumutung sein. Sie erscheint schamlos, die Familie wird nicht geachtet und es gibt scheinbar kein Ehrgefühl. Demokratie und Toleranz sind sicherlich hohe politische Werte, aber ob sie einen kulturellen Konsens ersetzen können, der durch religiöse Werte vermittelt ist, bleibt abzuwarten. Samuel Huntington schreibt in seinem wegweisenden Buch Kampf der Kulturen: Zunehmend greifen Muslime den Westen nicht darum an, weil er sich zu einer unvollkommenen, irrigen Religion bekennen würde, die doch gleichwohl auf einer heiligen Schrift beruht, sondern darum, weil er sich zu überhaupt keiner Religion bekennt.

Insofern stellt der Islam auch eine Frage an uns, nämlich: Wo ist euer Gott geblieben?

*Olaf Alp



Fotograf & Produktion: The W Prague – Vratko Barcík & Daniela Pilná Styling: Stan Steiner Make-up: Sam Dolce

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