Wem gehört eigentlich die Regenbogenflagge?

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Viele Menschen in Großbritannien nutzen die Regenbogenflagge in der Corona-Krise als Symbol, um Mitarbeitern des Gesundheitssystems zu danken  das sorgt einerseits für mehr Sichtbarkeit, andererseits fürchten Mitglieder der Queercommunity einen Symbol-Diebstahl. Die Kraft des Symbols zeigt sich derweil in der Türkei: dort wird Kindern verboten, Regenbögen zu malen. Diese machen ja schließlich homosexuell.

Die Queercommunity in Großbritannien ist empört – aber was ist eigentlich geschehen? Seit Beginn der Corona-Krise werden in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, Bilder von Regenbögen in die Fenster gehängt. Dies soll in der schweren Zeit Zusammenhalt suggerieren und Hoffnung geben. Eine schöne Geste. Ebenso der Wunsch der Briten, dem britischen Gesundheitssystem NHS und allen Mitarbeitern zu danken. Allerdings ausgerechnet mit einer Regenbogenflagge. 

Während die Friedensflagge sich von der queeren Regenbogenfahne durch die Anzahl der Streifen und das Peace-Symbol unterscheidet, ist die „Thank you NHS“-Flagge absolut identisch mit der Pride-Flagge. Und nicht nur das: Es sind sogar exakt dieselben. Viele Onlineshops sollen einfach den Namen der Artikel geändert haben. Geschäftstüchtig, mag man meinen, schließlich finden dieses Jahr ja kaum pride events statt. 

Auf der Pro-Seite der Diskussion steht: Sichtbarkeit. Zählt es denn, warum Regenbogenflaggen hängen, wenn sowieso alle sie mit knutschenden Männern verbinden? Schadet Akzeptanz, wenn sie nichts davon weiß, was sie eigentlich akzeptiert?

Diesen Gedankengang unterstützt zum Beispiel der Post des Twitter-Users James – er zeigt die Regenbogenflagge, die sein nicht sehr homofreundlicher Opa in seinem Garten aufgestellt hat, um dem britischen Gesundheitssystem zu danken, weil er sich weigert, den queeren Kontext zu akzeptieren. Kein Problem, Grandpa. Danke trotzdem.

Allerdings kritisiert auch James die Menschen, die wissen, dass es sich um ein queeres Symbol handelt und es trotzdem benutzen – und meinen, schließlich könne die Flagge ja ab jetzt das Symbol für den NHS sein. Diese Menschen würden wirklich aktiv versuchen, die Flagge zu stehlen und das, so James, sei definitiv frustrierend. 

Nach seinem Post berichtet er bei Twitter dann auch von vielen Nachrichten von Menschen, die der Meinung sind, es sei in Ordnung, die Flagge neu zu verwenden – „weil sie alles sein kann was wir wollen“. Wieder andere wollten wissen, warum es nicht einfach bloß ein Regenbogen sein könne. Ja, warum eigentlich nicht? Dazu muss man 42 Jahre in die Vergangenheit reisen.


Die Geschichte der Regenbogenflagge

Am 25. Juni 1978 wurde die Flagge zum ersten Mal gesichtet – auf der Parade zum Gay Freedom Day in San Francisco. Der Künstler und Aktivist Gilbert Baker hatte sie für die Queercommunity entworfen, weil der Regenbogen ein starkes Symbol für Gemeinschaft und Zusammenhalt ist – schließlich verbinden sich all diese Farben zu einem großen Ganzen. 

Foto: Dirk Baumgartl

Ursprünglich hatte die Flagge acht Streifen, schon bald musste jedoch das Pink weichen. Als im Winter 1978 aufgrund der Ermordung des schwulen Politikers Harvey Milk das Interesse an den Flaggen in die Höhe schoss, war der pinke Stoff einfach schwer zu bekommen. Und bei der Parade in San Francisco 1979 verschmolzen Indigo und Türkis zu einem universellen Blau, weil eine gerade Anzahl an Farben besser zum Dekorieren geeignet war. Zurück blieb die Flagge, die heute alle kennen. 2015 stufte das Museum of Modern Art die queere Regenbogenfahne als international anerkanntes Symbol ein, das ebenso wichtig ist wie das Recycling-Symbol.

Niemandem gehört der Regenbogen – und in vielen Kulturen weltweit wird er für andere Zwecke verwendet, zum Beispiel Anti-Kriegs-Bewegungen. Allerdings unterscheiden sich die Flaggen oft auch in ihren Farben von dem queeren Symbol, wie man zum Beispiel an dieser Flagge erkennt, die den Wunsch nach Frieden im Nahen Osten ausdrückt und mit der hebräischen Schreibweise für Schalom und der arabischen für Salām gezeichnet ist.

Foto: Bernd Schwabe / CC BY 3.0 / wikimedia.org


Erdogan glaubt: Regenbögen machen schwul

Symbole können unglaublich mächtig sein – und dass die Macht des queeren Symbols ungebrochen ist, zeigt sich derweil in der Türkei. Dort hat die Anti-Queer-Bewegung neuen Aufschwung bekommen, seit der Führer der obersten Religionsbehörde zum Start des Ramadan gegen Queers hetzte (wir berichteten). In seiner Rede sprach Ali Erbaş auch davon, dass queere Menschen die nächsten Generationen beeinflussen und verderben.

Das führte nun dazu, dass Bildungsbeamte den Schulen befahlen, zu verhindern, dass Kinder Regenbögen malen. Man muss sich das einmal bildlich vorstellen: Da malen kleine Kinder, denen die Corona-Krise möglicherweise Angst macht, Regenbögen mit lächelnden Wolken, um anderen Mut zu machen – und die türkische Regierung verbietet es. 

Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man sich darüber freuen, dass die queere Community es tatsächlich geschafft hat, ein ewiges Naturphänomen dermaßen für sich zu beanspruchen. Da könnte man das Zweckentfremden der Flagge glatt verzeihen.

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