Sahra Wagenknecht im Interview

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Foto: © Lichtblick / Achim Melde

Selten gab es in den letzten Jahren eine so spektakuläre Parteiengründung wie das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW). Nicht nur, weil innerhalb kürzester Zeit eine Organisationsstruktur geschaffen wurde, sondern weil in diesem Fall die Spitzenkandidatin auch Teil des Parteinamens ist. Mit Sahra Wagenknecht sprach Olaf Alp.

Die Linke war immer ein Verbündeter der LGBTQ+ Bewegung. Wie wird es das Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit mit einer Unterstützung der queeren Community halten? Wir stehen für eine freie und tolerante Gesellschaft, in der Hautfarbe, Geschlecht, Herkunft oder sexuelle Orientierung für das eigene Fortkommen keine Rolle spielen. Um dieses Ziel zu erreichen, reichen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze nicht aus, sie sind aber natürlich ein wichtiger Baustein. Im Unterschied zu anderen Ländern sind wir in Deutschland in der glücklichen Situation, dass die gesetzliche Gleichstellung in nahezu allen Lebensbereichen vollzogen wurde.

Für das Bündnis ist das Thema also abgeschlossen? Leider nicht. Es gibt Stadtviertel, in denen sich Homosexuelle nicht auf die Straße trauen, es gibt gewalttätige Übergriffe. Es gibt Kinder, die in dem Irrglauben aufwachsen, dass Homosexualität eine Sünde ist und Frauen weniger Rechte haben als Männer. Wo Integration versagt, können sich solche Einstellungen verfestigen. Wir treten für eine aufgeklärte Leitkultur ein, die insbesondere an den Schulen, aber auch an anderen öffentlichen Einrichtungen vermittelt wird. Ich denke, wir waren in Deutschland zu lange zu duldsam gegenüber radikalen Spielarten des Islam. Man kann nicht akzeptieren, dass Imame in Koranschulen oder Moscheen Gedanken verbreiten, die sich gegen Grundwerte der Aufklärung und des Humanismus richten. Es braucht auch eine größere soziale Mischung in den Schulen und Stadtvierteln, damit sich keine Parallelgesellschaften herausbilden können. Ein anderes großes Thema ist die Sozialpolitik: Bestimmte Minderheiten haben es bei der Wohnungssuche oft noch schwerer als alle anderen. Dem kann man nur gegensteuern, indem mehr öffentlicher Wohnraum geschaffen und diskriminierungsfrei vergeben wird. Ein anderes großes Thema ist für uns die wachsende Altersarmut und der Zugang zu Pflegeeinrichtungen. Es gibt insgesamt zu wenig Pflegeplätze, aber es ist ein zusätzliches Problem, wenn in manchen Städten sämtliche Alten- und Pflegeheime in kirchlicher Trägerschaft sind. Anti-Diskriminierung darf nicht an den Türen eines Altenheims enden. Wir werden das am Ende allerdings nur durch einen Ausbau des Sozialstaats und gegenseitigen Respekt erreichen können. 

Foto: Nadine Dilly / Campus

Erstmals will das Bündnis zur Europawahl antreten. Traut man sich einen Start an anderer Stelle nicht zu? Das Bündnis wird in diesem Jahr nicht nur zu den Europawahlen am 9. Juni, sondern auch zu einigen Kommunalwahlen sowie zu den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg antreten, die im September stattfinden. Das ist eine große organisatorische und finanzielle Herausforderung, weil die Partei gleichzeitig Strukturen aufbauen und Wahlkämpfe führen muss. Um zur Europawahl zugelassen zu werden, mussten beispielsweise innerhalb kürzester Zeit 4.000 amtlich beglaubigte Unterschriften gesammelt werden. Dieses Ziel haben wir dank unserer Unterstützer weit übertroffen: In weniger als zwei Wochen kamen über 18.000 Unterschriften zusammen. Diese beeindruckende Resonanz zeigt, dass es in der Bevölkerung ein großes Bedürfnis nach einem politischen Neubeginn, nach einer Politik für wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit und Frieden gibt. Das BSW ist eine Alternative für alle, die mit der Politik der Ampel unzufrieden sind und die auch von der Union unter Friedrich Merz oder der AfD nichts Gutes erwarten. Wir bieten auch all jenen eine Alternative, die mit dem Zustand und der Politik der EU unzufrieden sind. Die EU darf nicht länger ein Eldorado für Lobbyisten sein. Wir wollen die Flut an bürokratischen Übergriffen auf Unternehmen und Bürger stoppen und die dirigistische Einmischung in die Belange von Mitgliedstaaten und Kommunen verhindern. Unser Motto lautet: Weniger ist mehr. Entscheidungen sollten so nah wie möglich an den Bürgern getroffen werden und nicht von Technokraten in Brüssel, die von den Problemen vor Ort oft keine Ahnung haben.

Das klingt mehr nach Bullerbü als nach Brüssel… Die EU sollte sich auf die Aufgaben konzentrieren, die auf europäischer Ebene gelöst werden müssen. Wir brauchen eine Re-Industrialisierung Europas, die Arbeitsplätze und Wohlstand zurückbringt, wir brauchen funktionierende europäische Verkehrsnetze und eine europäische Digitalstrategie, die uns von den US-Datenkraken ebenso unabhängig macht wie von chinesischen IT-Anbietern. Dringend wäre auch eine Politik, die dem Steuerdumping der Konzerne einen Riegel vorschiebt, sowie eine gemeinsame Technologie- und Umweltpolitik. In diesen wichtigen Bereichen dürfen Fortschritte nicht länger blockiert werden, wie es aktuell oft der Fall ist.

Welche anderen politischen Herausforderungen sieht das Bündnis in der Europapolitik? Seit zwei Jahren wütet in der Ukraine ein furchtbarer Krieg, der nicht nur für die Menschen dort, sondern für ganz Europa eine Katastrophe ist. Wir setzen uns dafür ein, dass dieser Krieg endlich durch Diplomatie beendet, statt durch Waffenlieferungen verlängert wird. Statt die eigene Sicherheit nur in Aufrüstung zu suchen, braucht es eine Rückkehr zur Entspannungspolitik und eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung. Europa muss wieder zu einem Friedensprojekt werden. Das wird aber nur gelingen, wenn wir unsere Abhängigkeit von den USA überwinden, auch im technologischen Bereich. Wir dürfen uns nicht in eine Spirale der Aufrüstung, in immer neue Handelskriege oder gar eine Blockkonfrontation mit China treiben lassen. Bei Kriegen und Handelskonflikten können wir aufgrund unserer geografischen Lage, unserer Abhängigkeit von Rohstoffen, Energieträgern und Exportmärkten nur verlieren. Auch deshalb brauchen wir faire und friedliche Beziehungen zu anderen Staaten.

buendnis-sahra-wagenknecht.de

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