Linke Beißreflexe: Die schrecklich nette Homophobie der Wagenknecht

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Nach der SPD hat nun also auch DIE LINKE ihren Lauf in Sachen Identitätspolitik. Ein Wort das genauso nutzungsambivalent ist, wie Cancel Culture. Ein Appell an alle progressiven Wähler*innen: Versemmelt nicht schon wieder eine Bundestagswahl!

Was macht eigentlich Boris Palmer gerade?

Als ein den Grünen nahestehender parteiloser Journalist und Queeraktivist, ist diese Frage für mich, noch viel mehr meistens ihre Beantwortung, mindestens mit einem deutlich genervten Zucken der linken Augenbraue, oft aber sogar mit einem Augenrollen verbunden, das gleichsam ein Hände-über-dem-Kopf-Zusammenschlagen ausdrücken könnte. 

Und um sie zu beantworten: Selbstverständlich springt der Tübingen-Napoleon in typischer Manier der ach so unschuldig ins Visier der bösen Homolobby geratenen Sahra Wagenknecht bei. Nicht ohne dabei auszuteilen gegen die Kritiker, die seltsamerweise die selben sind, die ihn immer und immer wieder durch sein gerade noch so olivgrünes Musterdorf jagen. 

Sahra verklärt die Welt, wie es ihr gefällt

Nein, es ist nicht falsch zu verstehen. Es ist auch nicht aus dem Kontext gerissen und den lauten und unnachgiebigen Widerspruch den folgende Zeilen hervorrufen, muss Sahra Wagenknecht ertragen, wenn sie ihn in ihrem narzisstischen Geltungsbewusstsein schon nicht annehmen will. Sie schreibt in dem ironischerweise mit „Die Selbstgerechten" betitelten neuen Buch ihre Gedanken zum Hot Topic Identitätspolitik auf. Zwar hatte sie bereits vor Jahren deutlich gemacht, dass sie einer ganz spezielle Form von Minderheitenpolitik nachgeht, die mit tatsächlicher solcher nicht viel am Hut haben will, aber so deutlich rassistisch, homo- und transphob hatte sie es sich bis dato noch nicht geäußert.

Sie, die Identitätspolitik laufe nämlich darauf hinaus, „das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden, durch die sie sich von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden und aus der sie den Anspruch ableiten, ein Opfer zu sein.“ Da sich an identitätspolitischen Diskursen allerdings kaum Arme oder Geringverdiener beteiligen würden, habe das noch niemanden gestört. Was für ein verbaler Tiefschlag gegen wirtschaftlich benachteiligt Queers und People of Color, die unter anderem wegen ihrer Minderheitenstellung noch mehr vom Wohlstandsgefälle betroffen sind, als Otto-Nomal-Bürger*in. 

Weiter dann: 

„Sexuelle Orientierung, Hautfarbe oder Ethnie dagegen funktionieren immer. Wer nun mal weiß und hetero ist, kann es behelfsweise über den Lebensstil versuchen, also etwa als Veganer gegen die Mehrheit der Fleischesser.“

Wer den aus diesen Aussagen der Sahra Wagenknecht herausfließenden, zutiefst spaltenden und verheerend antiemanzipatorischen Duktus nicht erkennen mag, der darf seine Zeit nun gerne anderweitig verbringen, denn die noch folgenden Absätze werden ihm keinen Erkenntnisgewinn zeitigen. 

Selbstgerechtigkeit vs. Gerechtigkeit

Ja, es ist anstrengend als progressiv denkender mündiger Bürger. Anders als die schwarzen bis blauen Vertreter*innen unserer Zunft, sind wir mit der moralischen Goldwaage unterwegs. Bei vielen von uns ist sie sogar irgendwie genetisch einprogrammiert und so fein justiert, dass sie da wo sogenannte Konservative und schlimmere völlig überrascht in den Hühnerhofmodus verfallen („Maskenaffäre") nur müde und leicht oberlehrerhaft mit dem Kopf schütteln. Wussten wir. Haben wir euch doch schon tausendmal drauf hingewiesen. Lobbyregister jetzt vielleicht? Dankfein. 

Noch anstrengender aber wirkt sich die Tatsache aus, dass selbstverständlich auch wir Bessermenschen eben nur Menschen sind, die sich auch von Gefühlen leiten lassen. Seit einigen Jahren besonders dann, wenn gewisse technische Hilfsmittel gewinnorientierter Unternehmen mit diesen Gefühlen Poolbillard spielen. Der vereinfachten und zuspitzenden Aufmerksamkeitsdynamik der neuen Medien haben auch wir leider nur mit viel Anstrengung etwas entgegenzusetzen. Das Beispiel Wagenknecht läuft aktuell Gefahr diesem Muster zu folgen.

Letzter Schwenk nach Rechts: Von Sarrazin bis Thierse

Sahra Wagenknecht ist trotz des jahrelangen Abarbeitens an der eigenen Partei und trotz der unmöglichen Aussagen in ihrem Buch, gestern zur Spitzenkandidatin der NRW-Linken gewählt worden. Trotz? Vielleicht doch eher wegen? Völlig egal! 61 Prozent sind ein Armutszeugnis für eine schillernde Queerfrontfrau ihres Formates – sie ist mindestens 80 Prozent gewohnt. Diesen Pyrrhussieg wird sie spätestens nach der Bundestagswahl im Parlament bedauern. Denn mitnichten ist DIE LINKE NRW stellvertretend für die Bundeslinke – im Gegenteil, noch ist dies die politische Haltung von Sahra Wagenknecht in ihrer Partei. Das hat auch der letzte Parteitag gezeigt, der für sie und ihre queerfröntlerischen Anhänger*innen ein Desaster war.

Es gibt auf Bundesebene der Partei DIE LINKE keine ihrer Vertreter*innen in Amt und Würden. Die Legislatur dürfte also für eine Frau Wagenknecht alles andere als ein Feuerwerk der guten Laune mit Kolleg*innen werden. 

Ganz ähnlich übrigens wie bei der guten alten Tante SPD, die nach dem jahrelangen Geschacher um Thilo Sarrazin, der immerhin einer der Hauptverantwortlichen für das Einsickern von AfD-Sprech ins sogenannte Bildungsbürgertum ist und nach einem im Bedeutungsverlust um sich wütenden Sigmar Gabriel erst jüngst auch noch den ehemals zweiten Mann im Staat in die Schranken zu zwingen suchen musste. Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fühlte sich in seiner bräsigen Denkfaulheit genötigt, völlig ohne Grund, weil nicht betroffen, die Cancel Culture Opferrolle auf dem Rücken sexueller Minderheiten ausbreiten zu müssen. LSVD-Vorstandsmitglied Alfonso Pantisano tat gut daran, sich konstruktiv an eine andere Grand Dame der SPD zu wenden, anstatt Energie an Vergangene zu verschwenden.

Dem Beißreflex widerstehen, oder: Om

Wenn jetzt also – wie beschrieben durchaus nachvollziehbar und verständlich, aber genauso drehbuchartig wie verheerend – DIE LINKE als unwählbar für LGBTIQ* niedergepostet wird, dann hat die einsame Queerfrontlerin Sahra Wagenknecht ihren Punkt gemacht. Sie sitzt auf einem sicheren Listenplatz, das Ansehen und Fortkommen ihrer Partei ist ihr im besten Falle egal. In einer durch ihre eigenen Taten und die Reaktion darauf so weit geschwächten Fraktion der Linken im neuen Bundestag, könnte sie mangels Machtoption dann vier weitere Jahre – zwar allein auf weiter Flur aber mit Mandat – wüten und Schaden anrichten.

Nicht passieren wird dies, wenn wir alle, damit meine ich jeden progressiven Menschen von liberal bis links, einen Schritt zurücktreten, die Lage betrachten und uns die Optionen anschauen:

Letztere gilt es mit vereinter Kraft zu befördern. Nicht zielführend ist es, sie wegen zugegeben verlockender und nachvollziehbarer Beißreflexe gegen den Feind im eigenen Bett zu torpedieren. Mit nichts könnten wir Sahra Wagenknecht und den vielen anderen genannten Gegner*innen des Wechsels besser die Laune verderben, als mit einer stabilen linken Bundestagsmehrheit, die ihre Quartalsquerulant*innen rechts liegen lässt. *Christian Knuth


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