USA: Die Country-Musik hat ihren ersten offen schwulen Superstar

by

Ländlich, rückschrittlich, konservativ – und heterosexuell: Country-Musik und ihre Fangemeinde haben in den USA einen gewissen Ruf. Ändert sich daran endlich etwas? Die Szene hat nun einen großen Star gefunden, der öffentlich dazu steht, dass er schwul ist – und der bei einem großen Label unter Vertrag ist. T.J. Osborne, Sänger des Musikerduos „Brothers Osborne“ hat sich im Interview mit dem Time Magazine als schwul geoutet. Darin überlegt er auch, welche Auswirkungen sein Coming-out auf die Zukunft seiner Karriere – und vielleicht sogar des Genre selbst – haben könnte.

Für T.J ist sein Coming-out eigentlich keine große Sache: Er weiß seit seiner Jugend, dass er schwul ist – und seitdem wissen es auch seine Familie und Freunde. Der Sänger fühlt sich wohl damit, schwul zu sein. Dennoch gibt es ein Problem – und das ist sein Beruf: T.J. Osborne ist Country-Sänger. Das Genre gilt nicht gerade als progressiv oder modern. Das Time Magazine schreibt dazu:

„Wenn das liberale Hollywood dafür berüchtigt ist, eine fortschrittliche Agenda voranzutreiben, dann war die Country-Musik historisch gesehen ihr Gegenpol – ein sicherer Hafen für traditionelle 'Familienwerte'.“

T.J. steht für „Thomas John“, sein Bruder John heißt mit vollem Namen „John Thomas“. T.J. singt, John spielt Gitarre. 2012 gründeten die beiden die „Brothers Osborne“. Ihre Karriere startete schnell durch: Sie unterschrieben bei einem der größten Label, EMI Records Nashville. In den letzten acht Jahren haben sie drei Studioalben veröffentlicht. Seit 2015 waren die beiden jedes Jahr bei den Grammy Awards in der Kategorie „Best Country Duo/Group Performance“ nominiert. Bisher haben sie nicht gewonnen. Wird es dieses Jahr etwas? Das wird man am 15. März erfahren. 


Warum jetzt?

Die Corona-Pandemie, die Isolation – sie zwangen den 36-jährigen Country-Star zum Nachdenken. T.J. erkannte, dass er auf einen perfekten Moment für sein Coming-out wartete, einen Moment, der nie kommen würde – wenn er ihn nicht selbst erschuf. Er habe immer einen Teil von sich stumm gehalten und unterdrückt, bedauert der Musiker.  Nun endlich fand er den Mut, das zu ändern:

„Ich möchte auf dem Höhepunkt meiner Karriere ganz der sein, der ich bin.“

Bei Reaktionen auf Coming-outs von Personen des öffentlichen Interesses gibt es immer auch die Menschen, die fragen: Warum muss dies überhaupt öffentlich gemacht und thematisiert werden? T.J. betont, dass er das eigentlich genauso sieht – und dass er besorgt ist, sein Selbst-Outing könne aufmerksamkeitsheischend wirken und als Schrei nach PR missverstanden werden. Trotzdem sei es unumgänglich.

„[...] wenn ich bei einer Preisverleihung mit einem Mann auftauchen würde, würde den Leuten die Kinnlade herunterfallen. Es wäre nicht wie, 'Oh, cool!'.“


Wie geht es weiter?

Über die Zukunft seiner Karriere kann der Musiker zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren. Dass er ein berufliches Risiko eingeht, ist unbestreitbar. Zwar glaubt er nicht, dass er in großen Städten wie Chicago von der Bühne verjagt wird – doch was ist mit Auftritten in ländlichen Städten? Er sei gespannt, wie das laufen wird, so T.J.

Und was ist mit der Zukunft des Genres selbst? Wohin entwickelt sich die Country-Musik? Auch da sind alle Möglichkeiten offen. Vielleicht ist sein Coming-out ein großer Schritt auf dem Weg zur Öffnung des Dialogs. Unter Schwulen ist Country nicht das beliebteste Genre, gibt T.J. zu. Er regt aber auch an, die Beweggründe dafür zu bedenken:

„Aber liegt das nur daran, dass sie nie die Möglichkeit hatten, eine Beziehung dazu aufzubauen?“

Das Duo ist innerhalb des Genres schon länger für seine Progressivität bekannt, gab queeren Paaren in Musikvideos eine Plattform und mehr Sichtbarkeit. Auch sein Bruder John betont im Gespräch mit dem Time Magazine, die Homosexualität seines Bruder könnte sicher einige verwirren – wenn es in ihren Songtexten nur um Inhalte ginge wie 'Steig in meinen Truck, Mädchen'. Doch das sei nicht der Fall.

Könnte es also bald sogar einen kommerziellen Country-Hit geben, in dem eine schwule Liebesgeschichte eine wichtige Rolle spielt? T.J. gibt zu, dass er das nicht unbedingt plant – aber er schließt es auch nicht aus. Der Sänger betont:

„[...] das Schlimmste für die Kreativität ist es, Grenzen zu haben.“

Back to topbutton