Rechte Kita-Hetze und die Antwort der Zivilgesellschaft

Übermächtiger Gegenprotest und ein Plädoyer für geschützte Räume

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Am Lebensort Vielfalt, einem Projekt der Schwulenberatung Berlin am Südkreuz in Berlin-Tempelhof, soll Anfang 2023 eine queere Kita entstehen. Die Schwulenberatung beschreibt dieses für Berlin neuartige Projekt wie folgt: 

„In erster Linie wollen wir allen Kindern ein unbeschwertes und angenehmes Umfeld bieten: Hier sollen sie gemeinsam spielen, essen und mit Respekt für Mensch und Natur aufwachsen. Darüber hinaus möchten wir, dass die Kinder andere Lebensweisen und -welten kennenlernen. Erzieherinnen und Erzieher, die selbst LSBTI* sind, werden hier als selbstverständlicher Teil der Kitas und somit der Gesellschaft wahrgenommen.“

Hetzkampagne von Rechts

Diese Pläne passen der AfD und ihrer Jugendorganisation Junge Alternative allerdings nicht in die Agenda. Rechte Medien und beispielsweise Ex-Bildchef Julian Reichelt führten eine diskriminierende und ehrverletzende Hetzkampagne gegen die „Pädo-Kita“ und riefen zum großen Demo-Kampftag auf. Als vermeintlicher Skandal, wegen dessen sich die Anhänger*innen traditioneller Familienkonzepte zusammenfanden, wurden Vorwürfe gegen ein Vorstandsmitglied der Schwulenberatung konstruiert. Dass der besagte Rüdiger Lautmann, der sich in der Vergangenheit kontrovers zur Pädophilie geäußert habe, allerdings nie etwas mit dem Kita-Projekt zu tun hatte und zudem sofort nach den ersten Anwürfen den Vorstandsposten zum Schutz der Schwulenberatung aufgab, spielte keine Rolle mehr. Erinnerungen an ähnliche Kampagnen werden wach, im Netz mobilisierte sich ein wütender Mob. 

Mobilisierung der Community

Zur Gegendemo haben spontan mehrere LGBTIQ*-Organisationen wie der LSVD Berlin Brandenburg, LesLeFam, die Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld, das SchwuZ und viele andere aufgerufen (männer* berichtete). Auf der Demo war von den Grünen und den Linken bis hin zu Omas Gegen Rechts und Travestie für Deutschland ein breites Bündnis zu beobachten. Im obigen Video zu sehen ist ein Sprecher der Grünen, wie er sich direkt an die Organisation hinter dem geplanten Kita-Projekt richtet: 

„Liebe Schwulenberatung Berlin, ihr gehört nicht an den Pranger, ihr gehört auf ein Podest!“. 

Eine Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm beginnt zu rufen:

„Eure Kinder werden so wie wir, eure Kinder werden alle queer“.

Kurz darauf steigen die restlichen Protestierenden ein. Sowohl typischen Anti-Nazi Parolen wie „Nazis raus“ oder „Ganz Berlin hasst die AfD“ als auch queere Kampfrufe wie „We're here, we're queer, we're fabulous don't mess with us“ wurden lautstark in Richtung des rechten Aufmarsches gerufen. Als nach einiger Zeit verkündet wurde, dass auch die letzten Angehörigen der AfD gegangen sind, brach großes Jubeln aus. 

Deutliche Überzahl bunten Protests, geringe Mobilisierung bei den Gegner*innen

Die Polizei Berlin gab an, dass sich zur Kundgebung der AfD ungefähr 50 Menschen versammelten, während es circa 320 Teilnehmende auf Seite des Gegenprotests gewesen seien – und dies obwohl sich die queere Community in nur wenigen Tagen spontan organisieren musste. Auch deshalb für die Aktivist*innen ein wichtiger Erfolg, nachdem der Gegenprotest zum AfD-Marsch vor zwei Wochen in Berlin schockierend niedrig ausfiel: Während im Mai 2018 noch 25.000 Menschen gegen die AfD demonstrierten, waren es diesem Herbst nur 1.400. Die Anhänger*innen der rechten Partei konnten mit rund 10.000 Teilnehmer*innen fast ungestört durch die Hauptstadt marschieren. 


Hintergrund 

Warum eine Regenbogen-Kita?

Um den für viele überraschend aufgezogenen Sturm gegen das Kita-Projekt im Lebensort Vielfalt einordnen zu können, fragte männer* bei Stefan Hensel aus Hamburg an. Hensel und sein Team von der Pedia gGmbH / Pedia International gGmbH betreiben dort unter anderem den Deutsch-Chinesischen Kindergarten und dort eine regelmäßige schwul-lesbische Gruppe. Auch in Hamburg ein Novum, als es losging, allerdings ein offenbar wesentlich weniger umstrittenes.

Foto:: Arne Weychardt

Zum Streit um die Berliner Kita versucht Hensel zusammenfassend die eigenen Beweggründe und die Erfahrungen des Projektes so zusammenzufassen, dass sie verunsicherten Eltern Orientierung geben können:

„Wir hatten festgestellt, dass es in Hamburg keine Angebote für schwule, für lesbische Eltern, also LGBTIQ+ Eltern gibt. Wir bewerben unsere aus diesem Mangel entstandene Spielgruppe meist unter schwul-lesbisch, weil wir glauben, dass das Stigma schwul-lesbisch und auch das Schimpfwort schwul auf den Schulhöfen so stark ist, dass man das nicht verwischen sollte. Aber natürlich ist es ein Angebot für alle Queers. Die Spielgruppe wird total gut angenommen. Es gibt viele Eltern, die dort hinkommen, in unterschiedlichsten Konstellationen. Was dabei sehr deutlich wird ist, dass es Angebote braucht, in denen Eltern sich austauschen können. Tatsächlich ist es so, dass die meisten gar nicht vordergründig kommen, damit ihre Kinder spielen, sondern um andere Eltern kennenzulernen."

Räume, wo Familien sich nicht erklären müssen

„Wenn man mit diesen Eltern spricht, dann versteht man ziemlich schnell, dass es eigene Fragestellung gibt, wie man seine Kinder erzieht, aber auch wie man von anderen angesprochen wird zum Beispiel. Wenn es zwei Väter sind, gibt es immer wieder die Frage nach der Mutter. Es werden auch sehr persönliche Fragen gestellt werden, nach dem Adoptionsprozess oder nach der Leihmutterschaft oder was auch immer. Eigentlich sind das Grenzverletzungen, die wir in einem Kontext von einer Mann-Frau-Kind-Beziehung gar nicht erwarten würden. Deshalb braucht es solche Räume wo Familien sich nicht erklären müssen.

Zu dem pädagogischen Konzept der Kita der Berliner Schwulenberatung kann ich natürlich nichts sagen. Aber grundsätzlich ist es sinnvoll, Kinder nicht in einen Korsett zu stecken und ihnen schon früh vorzuschreiben, wie sie zu sein haben, wenn sie ein Mädchen oder ein Junge sind. Ihnen sollten Möglichkeiten geboten werden, sich durch Verhalten, Kleidung und Ausprobieren so zu entwickeln, wie es vielleicht vorgesehen ist. Natürlich gibt es auch Phasen bei Kindern. Und es ist auch gesund diese Phasen zu stärken. Deshalb haben wir ein Konzept mit einer Ausrichtung für schwule, lesbische Eltern bzw. auch Kinder, die eventuell schwul oder lesbisch sind. Obwohl ich persönlich glaube, dass man das in einem so frühen Alter noch nicht sicher festlegen kann. Aber hier sollte man nicht den Fehler machen, den man häufig macht: nur heterosexuelle Kinder – in Anführungsstrichen – in sein Konzept einzubeziehen.“

Kein unbekanntes Konzept

„Um es kurz zu machen: Ich glaube, dass jede Community gut daran tut sich um ihre Kinder zu kümmern und diese so erzieht, wie es ihren Wertvorstellungen entspricht. Das sehen wir woanders auch. Im Bereich der zweisprachigen Erziehung, das sehen wir im Bereich der konfessionellen Kindergärten. Das sehen wir aber auch bei Kindergärten analog ethnische Linien und ich finde das persönlich bereichernd. Dass das, was dort passiert vom Gesetz gedeckt ist, ist ja eh selbstverständlich. Und das scheint ja auch in Berlin gar kein Thema zu sein und deshalb hat die Schwulenberatung genauso wie jeder andere Träger das Recht, ein Angebot zu machen. 

Ich bin sehr gespannt zu sehen, was in ein paar Jahren daraus geworden ist. Persönlich denke ich, das wird ein ganz normaler Kindergarten sein, so wie wir den alle kennen. Mit einem Schwerpunkt auf Vielfalt und Selbstbestimmtheit. Übrigens etwas, was auch im Kinderschutzgesetz verankert ist: das Recht eines Kindes auf freie Entfaltung. Dementsprechend:

Good luck Schwulenberatung!“


Ein ausführliches Interview zum Hamburger Projekt führte die hinnerk  Redaktion im vergangenen Jahr:

➡️ #Interview • Gendergaga im Kindergarten: vorbildlich!

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