Kommentar: Jens Spahn, der Motivierer

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Bundeskanzlerin Angela Merkel ist für zwei Dinge berühmt und gefürchtet: Stoische Ruhe und überraschende Hakenschläge. Im Dezember wird sie – überraschend – nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren. Annegret Kramp-Karrenbauer und Jens Spahn treten an.

Foto: BMG

Jens Spahn ist ein umstrittener Politiker. Besonders in den Anfangsjahren und dann noch einmal im Verlauf der Fluchtbewegung nach Deutschland ab 2015 hat er sich immer wieder gerne als konservativer Hardliner inszeniert und mit markigen Sprüchen die Grenzen des Sagbaren nach Rechts ausgelotet.

Dabei ist insbesondere sein Verhältnis zum sogenannten christlichen Markenkern der CDU ambivalent: Einerseits ist der schwule Katholik Spahn gegen „Werbung“ für Abtreibung und macht keine Anstalten, das vom Bundesverwaltungsgericht angeordnete Recht auf Sterbehilfe für Todkranke gesetzlich durchzusetzen. Andererseits überraschte er die sogenannten Lebensschützer beim Thema Organspende mit dem Vorschlag einer doppelten Widerspruchslösung. Er war zusammen mit Ursula von der Leyen einer der ersten Spitzenpolitiker in der Union, die sich öffentlich für eine Gleichstellung homosexueller Paare einsetzten. 

Als Bundesgesundheitsminister hat Jens Spahn in nur einem halben Jahr nicht nur den HIV-Heimtest ermöglicht, sondern auch die Übernahme der HIV-Prophylaxe PrEP durch die gesetzlichen Krankenkassen auf den Weg gebracht. Seine Ansätze im Bereich Pflege zeugen ebenfalls – ganz gegenteilig zu seinen diesbezüglich teilweise grenzwertigen Aussagen in Medien – von einem pragmatischen und lösungsorientierten Vorgehen ohne parteiideologische Blockaden.

Insgesamt könnte Jens Spahn für die CDU durchaus eine ähnlich motivierende Kraft werden, wie es Robert Habeck für die Grünen ist. Beiden geht es darum, die für ihre Zielgruppe drängenden Debatten anzustoßen und sie auch in die gesellschaftliche Öffentlichkeit zu tragen. Beide gehen dafür an die für ihre Klientel geltenden Schmerzgrenzen, sind auf ihre Art radikal. Robert Habeck sagte über diesen riskanten Weg, dass dieser auch hätte „grandios scheitern können“. Das kann auch Jens Spahn passieren. Er könnte aber auch die Antwort auf die orientierungslos erscheinenden Suche der CDU nach einem modernen Konservatismus sein. *Christian Knuth

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