Im Rausch der Gerüche

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So wie uns der Duft von heißer Schokolade an unsere Kindheit erinnert, kann der Schweiß eines Mannes alles um uns in Vergessenheit geraten lassen und unsere Libido schaltet sich ein. Liebe geht nicht nur durch den Magen.

Von Joop! über Armani bis hin zu Issey Miyake ist das Angebot verschiedenster Düfte in Duty-free-Shops an Flughäfen weltweit unüberschaubar. Jahrelang habe ich mich hinreißen lassen von Marken und vor allen Dingen von den überaus günstigen Preisen. Wir sollen uns cool fühlen wie Brad Pitt, männlich wie Matthew McConaughey und unwiderstehlich wie das BOSS-Model. Wir können Düfte anlegen wie eine Krawatte, eine Lederjacke oder eine viel zu knappe Speedo. Erinnerungen aber lassen sich nur schwer in Flaschen abfüllen. Der Geruch, wenn ich früher in das Schlafzimmer meiner Mutter schlich? Nicht zu kaufen! Der maskuline Odeur meines Sitznachbarn im Zug auf dem Weg nach Venedig? Unbezahlbar. Natürliche und nicht im Labor hergestellte Düfte sind wie eine Zeitkapsel. Sie begleiten uns ein ganzes Leben lang. Unser Duft kann für einen anderen Menschen eine Erinnerung sein. Wie ein Fingerabdruck ist er einzigartig, genau wie unsere Fähigkeit zu riechen, Gerüche

zu unterscheiden, zu assoziieren. Das ist es auch, was den Geruchssinn von allen anderen Sinnen zu unterscheiden scheint: Er ist von allen Sinnen der wohl subjektivste. Riechen wir einen Mann und fühlen uns zu ihm hingezogen, gilt das nicht auch für unseren besten Freund. Der kann unseren neuen Partner unter Umständen so gar nicht riechen.

Unser Geruchssinn entwickelte sich vor tausenden von Jahren, als wir noch als Jäger und Sammler unser Überleben sicherten. Potenziell schlechte oder giftige Nahrung musste von essbarer unterschieden werden, Fressfeinde mussten frühzeitig erkannt werden, ein Partner musste gefunden werden. In dem Moment, in dem wir einatmen, treten unzählige Moleküle in unsere Nasenlöcher ein, olfaktorische Rezeptoren nehmen sie auf im Gehirn werden die Informationen ausgewertet. Der Mensch ist in der Lage, zwischen rund 10.000 verschiedenen Gerüchen zu unter- scheiden. Manchen Menschen allerdings fehlen bestimmte Gene, sodass ihr Geruchssinn eingeschränkt ist. Im Sommer in der U-Bahn vielleicht nicht das schlechteste Los.

SEXY AND I SMELL IT

2005 wies eine im National Geographic veröffentlichte Studie schwulen Männern eine ähnliche Reaktion wie Frauen nach, nachdem sie Männerschweiß gerochen hatten. Ein Cocktail mit vornehmlich dem männlichen Hormon Testosteron wird als Stimulator vermutet. Heterosexuelle Frauen wie schwule Männer haben in dem Versuch gleiche Hirnreaktionen gezeigt. Androstenon, ein Abbauprodukt des Testosterons, findet sich sowohl im Schweiß als auch im Urin und dem Speichel von Männern und ist vermutlich der entscheidende Faktor für die Sexualbereitschaft von Frauen. Und schwulen Männern.

Ein weiterer Beweis dafür, dass Homosexualität kein Produkt der Gesellschaft oder unserer Erziehung ist. We were born this way (danke, Gaga!). Ein Faktum, das dafür spricht, dass unsere sexuelle Orientierung biologischer Natur ist, schlussfolgert Dean Hamer von den National Institutes of Health in Bethesda, Maryland/USA, in dem Artikel im National Geographic. Obwohl der Genetiker an der Studie selbst nicht beteiligt war, stützt er die Ergebnisse dieser unter anderem in seinem Buch The Science of Desire: The Gay Gene and the Biology of Behavior. In Stockholm am Karolinska Institutet wurde besagte Studie durchgeführt. Dazu wurden heterosexuelle Männer und Frauen sowie homosexuelle Männer Duftmolekülen ausgesetzt, die in männlichen und weiblichen Hormonen gefunden werden das eine ein Zwischenprodukt von Testosteron, das auch im Schweiß enthalten ist, das andere ein östrogenähnliches Gemisch aus dem Urin von Frauen. Lange Zeit hielt man diese Moleküle für Pheromone, die den Sexualtrieb stimulieren. Andere Studien aber wie die in der New York Times von 2005 zeigen, dass die Ergebnisse noch keine solche Schlussfolgerungen zulassen. Die Hoffnung der Duftbranche, man könne schon bald damit werben, den Träger tatsächlich unwiderstehlich zu machen, war dahin.

Pheromone sind deshalb noch lange kein Hirngespinst. Der Geruch von Schweiß löst nachweislich körperliche Reaktionen aus. Diese müssen nicht immer darin enden, dass wir uns die Kleidung vom Leib reißen. Bewusst oder unbewusst kommunizieren wir mit unserem ganzen Körper. Schon 1986 wiesen Cutler und Preti in einer ihrer Studien den ganz realen Einfluss von Pheromonen nach. Frauen, die in einer Studentenverbindung oder beispielsweise gemeinsam in einem Kloster lebten, glichen irgendwann ihren Menstruationszyklus an den der übrigen Frauen an.

Pheromone finden sich im Speichel, Samen oder unserem Urin. Die meisten Untersuchun- gen behelfen sich aber mit Achselschweiß wohl auch, weil er am einfachsten zu extrahieren ist. Die Reaktion der Frauen und schwulen Männer auf Männerschweiß fand im Hypothalamus statt, also in der Region unseres Gehirns, die auch für unser Sexualverhalten verantwortlich ist.

EI ODER HENNE?

Hamer vermutet, dass die Hirnaktivitäten schwuler Männer als Antwort auf die Pheromone im Schweiß anderer Männer entweder Grund für die sexuelle Orientierung oder Folge dieser ist, betont jedoch, dass es eher unwahrscheinlich sei, dass das Hirn so massiv neu strukturiert, nur weil der Besitzer am gleichen Geschlecht interessiert ist. Selbst zwischen dem Körpergeruch anderer homosexueller Männer und Heteros unterscheidet das Gehirn. Laut National Geographic haben Wissenschaftler am Monell Chemical Senses Center in Philadelphia herausgefunden, dass homosexuelle Männer den Duft anderer Schwuler dem Heterosexueller vorziehen, während der Duft schwuler Männer von heterosexuellen Männern und Frauen als am wenigsten anziehend eingestuft wurde. Die Studie gibt zwar keine direkte Antwort auf die Frage, ob Sexualität nun in unseren Genen festgelegt oder erst später entschieden wird, wirft aber neue Fragen auf. Wade: Ist unsere sexuelle Orientierung in unseren Genen begründet oder sind die Hormone, denen wir in unserer Pubertät ausgesetzt sind, in der Lage, das Gehirn völlig neu zu verknüpfen?

Außer Frage steht, dass schwule und heterosexuelle Männer ihr Gehirn anders nutzen.

ANGSTSCHWEISS

Die im National Geographic 2005 veröffentlichten Ergebnisse dienten der norwegischen Parfümeurin Sissel Tolaas als Grundlage und Inspiration ihrer beiden Düfte Guy #1 und S&M; Guy. Auf der ganzen Welt sammelte Tolaas, die in Berlin lebt und arbeitet, bis heute über 7.000 Gerüche. Für ihre Ausstellung The Fear of Smell The Smell of Fear im MIT List Visual Arts Center bat sie neun Männer um ihren Schweiß. Einer von ihnen hielt sich zum Zeitpunkt Tolaas Ernte in einem Sexklub auf. Seine Nervosität und Aufregung diente als Basis für S&M; Guy und war auch Teil der Ausstellung. In ausgewählten Shops in Berlin kann Angst jetzt sogar in Flaschen gekauft werden.

Ich glaube an die Wirkung von Pheromonen, bin aber mehr an der Erforschung von Vorurteilen und Verhaltensmustern interessiert, erklärt Tolaas. Momentan arbeitet die Norwegerin, die an eine weibliche und moderne Version eines Süskind-Roman-Charakters erinnert, an einem Projekt mit Designer Kostas Murkudis. Letzterer wird ein Kleid entwerfen, für das Tolaas anschließend einen Duft kreiert. The Endless Dress The Endless Smell. Tolaas glaubt, dass wir mit unserem ganzen Körper, also von Kopf bis Fuß, riechen. Sie selbst trägt kein Parfüm. Ihr ganz eigener Körpergeruch sei viel interessanter als jeder Duft aus der Retorte. So würde sie auch alle Düfte um sie herum besser wahrnehmen können. Ein Verhalten, das sie vor allem unter schwulen Männern wiederfände.

DAS BOUQUET VON BERLIN

Gemeinsam mit der Grand Arts Gallery und dem City Museum erstellte Tolaas eine Duftkarte der amerikanischen Stadt Kansas. Besucher des Museums konnten auf einer anschließenden Erkundungstour nach eben diesen Gerüchen suchen. Ähnliche Projekte realisierte Tolaas auch in Paris, Mexico City, Kapstadt und Berlin. Mit ihrer Schnitzeljagd trifft die Norwegerin den Nerv der Zeit: Museen sind nicht länger Ausstellungsorte zahlloser Glaskästen, sie wollen vielmehr Raum für Erlebnisse sein. Tolaas entwickelt das Konzept einer Stadtriechfahrt deshalb weiter. Seth Johnson von der Grand Arts Gallery: Die Teilnehmer sollen verschiedene Lokalitäten

im Stadtzentrum ausfindig machen, zu Fuß und nur von ihrer Nase geleitet. Haben sie den richtigen Riecher bewiesen, werden sie mit einer Rubbelkarte belohnt, die einen typischen Geruch des besuchten Ortes wiedergibt. Die Grand Arts Gallery dient dabei als Stützpunkt, an den die Teilnehmer immer wieder zurück- kehren können, um sich miteinander auszutauschen. Eine eigens kreierte App versorgt mit Hinweisen und Informationen über die zu findenden Orte. Außerdem können die Spieler hier ihre eigenen Geruchserfahrungen niederschreiben und teilen.

Findige Produktdesigner haben uns schon so manche Lüge aufgetischt. Sie gaukeln uns vor, wie bestimmte Dinge zu riechen haben, erzählt Tolaas und meint damit so alltägliche Produkte wie unsere Zahnpasta, die nach künstlicher Zitrone oder Lavendel riecht. Tolaas glaubt, wir müssen unseren Geruchssinn öfter einmal herausfordern. Für das MoMA in New York und den Hamburger Bahnhof in Berlin hat Tolaas bereits Objekte entworfen, die unsere Geruchsgedächtnis auf die Probe stellen. Andere wieder stellten Gerüche heraus, die unser Schlafverhalten beeinflussen können. Unterstützt wurde sie dabei vom 4 Milliarden Dollar schweren International Flavors and Fragrances Fund, der unter anderem schon Düfte für Prada oder Calvin Klein hergestellt hat.

WIE EIN ZARTER BABYPOPO

Christopher Brosius ist ähnlich wie Tolaas ein echter Duftphilosoph. Der ehemalige Taxifahrer hat sich autodidaktisch die Herstellung von Parfümen beigebracht. Sein Unternehmen CB I hate perfume trägt seinen Namen nicht umsonst: Brosius ließ werbeträchtig verkünden, dass er Parfüm und alles stark riechende, egal ob gut oder schlecht, hasse. Berühmt wurde er außerdem mit Konzept-Düften wie Clean Baby Butt oder In the Library. Vor einigen Jahren dann entwickelte er ein Parfüm, das nach nichts riecht. Sein quasi unsichtbarer Duft entstand, als Brosius herausfand, dass einige Menschen nicht alle Gerüche unterscheiden oder mitunter gar nicht riechen können.

Seine Nase trainierte Brosius nicht wie andere Parfümeure im Labor. Er musste keine Produktionsstätten besuchen, um sein feines Näschen zu entwickeln. Es waren die Straßen von New York, die er in seiner Zeit als Taxifahrer zu riechen lernte. In seiner Tätigkeit für Barneys und Kiehls lernte Brosius dann mehr über die Welt der Düfte und die Herstellung von Parfüms. Irgendwann machte er sich mit einem Partner selbstständig. Im New York Magazine spricht er davon, wie Gerüche Erinnerungen in ihm hervorrufen und dass

es eben diese Momente wären, die ihn weiter antreiben, Gerüche und den Geruchssinn zu erforschen. Wo ihn seine Forschungen hinführen? Er wisse es nicht.

Einmal brachte er von einem Kurztrip aufs Land einen Sack frischer Erde mit. Der feuchte Boden, der da auf seinem Tisch verteilt war, hatte einen Duft, den Brosius einfach replizieren musste. So entstand Soaked Earth. Ein anderes Mal überreichte er Chandler Burr, einem ehemaligen Duftkritiker der New York Times, eine Phiole, um den Duft darin zu erkennen. Nach einigem Überlegen entschied der Kritiker, dass es sich bei dem Geruch nur um den Anus eines Mannes halten könne. Burr hatte sich nicht vertan. Brosius ist mehr ein Künstler als ein Parfümeur und versteht die Düfte, die er entwickelt, als seine Bilder. Die können mitunter eben nicht nur schön sein.

Seinen unsichtbaren Duft mischte er aus Jasmin, dessen Bouquet er zuvor fast völlig beseitigte, Sandelholz in kaum wahrzunehmender Konzentration, und nach einiger Zeit fügte er noch Sex hinzu. Gut, er begleitete dafür keinen Probanden in einen Sexklub wie Tolaas es tat er bediente sich eines nach- wachsenden Rohstoffes, dessen Molekular- struktur den Hormonen in unserem Schweiß nicht unähnlich sind: Harz. Sein Bild vom Nichts trägt einen nicht weniger poetischen Namen: Where We Are There Is No Here.

GOOD VIBRATIONS

Ob nun ein offenes Döschen Poppers oder schlichtweg der Schweiß hunderter Männer auf der Tanzfläche unser Geruchssinn spielt eine entscheidende Rolle für den urigsten unserer Triebe. Einen Duft zu kreieren ist nichts anderes, als Musik zu machen oder ein Bild

zu malen. Es ist Kunst, stellt Chandler Burr fest. In seinem Buch The Emperor of Scent beschreibt Burr das Leben und die Arbeit des Wissenschaftlers Luca Turin, der sich ganz und gar der Erforschung unseres Geruchssinns verschrieben hat und keine schlechten Aussichten auf einen Nobelpreis hat. Seit 1996 untersucht der Libanese die Vibrationen der Duftmoleküle, die er als eigentliche Ursache für einen bestimmten Geruch vermutet, und nicht die bloße Zusammensetzung. Noch muss seine Theorie bewiesen werden. Sollte es Turin aber gelingen, würde es unser Verständnis von Gerüchen und Pheromonen nachhaltig verändern. Bis dahin können wir es einfach hinnehmen, dass wir uns mehr von unserer Nase leiten lassen, als uns manchmal vielleicht lieb ist.

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