Interview: Gelebte Vielfalt im St. Joseph-Krankenhaus

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Die Klinik für Infektiologie im St. Joseph Krankenhaus in Berlin-Tempelhof ist eine der wenigen stationären Einrichtungen in Deutschland, die sich auf das Gebiet der Infektionsmedizin spezialisiert hat. Nun wurde der Station zudem das Gütesiegel „Praxis Vielfalt“ verliehen.

"Patient*innen werden aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung oder schlichtweg aufgrund ihrer Herkunft in Einrichtungen des Gesundheitswesens diskriminiert. Selbst wenn diese Diskriminierungen ohne böse Absicht erfolgen, etwa weil nicht ausreichend dahingehend sensibilisiert wurde. Fehltritte passieren überall, wir müssen uns dafür stark machen, dass diese nicht mehr vorkommen."

Diese Initiative der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) zeichnet Arztpraxen und Versorgungseinrichtungen aus, die Menschen mit HIV sowie mit vielfältigen sexuellen, sprachlichen und kulturellen Hintergründen willkommen heißen und eine diskriminierungsfreie Gesundheitsversorgung sicherstellen. Wir sprachen mit Chefarzt Dr. med. Hartmut Stocker, MBA.

Foto: Manuel Tennert

Wie sind sie dazu gekommen und welche Voraussetzungen muss man erfüllen, um das Siegel „Praxis Vielfalt“ zu erhalten?

Wir arbeiten bereits durch „Let’s Talk About Sex“ seit Anfang des Jahres eng mit der DAH zusammen und dadurch war das Thema schon die ganze Zeit präsent.

Für „Praxis Vielfalt“ waren wir eigentlich gar nicht vorgesehen, denn es handelt sich ja um ein Gütesiegel speziell für Praxen. Aber Inge Banczyk, die pflegerische Leitung der Tagesklinik, hat sich so ins Zeug gelegt, dass wir auch als Krankenhaus mitmachen durften. Wir sind jetzt das zweite Krankenhaus deutschlandweit, das diese Auszeichnung erhalten hat.

"Man ist mit seiner Sprache einfach manchmal sorglos und sagt Dinge, die automatisch beim Empfänger ein Bild von „der will mich da nicht haben“ entstehen lassen. Ein Sensibilisieren für derartige Belange ist daher enorm wichtig."

Es geht vor allem darum, zu lernen, wie man mit seiner Sprache und der ganzen Attitüde und dem Herangehen an die Menschen schon mal signalisiert: Wir verurteilen euch nicht, wir sind offen für eure Anliegen. Es ist uns nicht egal, was ihr macht, aber wir bewerten es nicht. Man ist mit seiner Sprache einfach manchmal sorglos und sagt Dinge, die automatisch beim Empfänger ein Bild von „der will mich da nicht haben“ entstehen lassen. Ein Sensibilisieren für derartige Belange ist daher enorm wichtig.

Wie kann man sich diese Art von Sensibilisieren vorstellen? Kommt ein Experte ins Team und klärt auf?

Das Ganze fand webbasiert statt, es gab viele Vorträge, aber mir mussten auch einige Aufgaben lösen und Rollenspiele machen. Die Ärztin wird also Pfleger*in und umgekehrt. Oder der Arzt nimmt die Rolle der/des Patient*in ein. Da werden dann verschiedene Situationen durchgespielt.

Welche Art von Situationen?

Ein Mann berichtet etwa der Ärzt*in, er lebe seit zwei Jahren in einer monogamen Beziehung, wobei sein Partner HIV-positiv auf Therapie unter der Nachweisgrenze ist. Der Mann sagt, sie haben seit zwei Jahren ungeschützten Sex, aber jetzt will er eine PrEP verschrieben bekommen. Als Ärzt*in stellt man sich die Frage, warum? Liegt es an der Frage der Monogamie, oder traut er seinem Partner nicht mehr zu, dass er regelmäßig seine Tabletten nimmt?

"Kann ich das thematisieren? Wie kann ich es thematisieren, ohne dass es blöd ist und der/die Patient*in sich unwohl fühlt und wieder geht?"

Aber die Frage lautet natürlich: Stellt man Patient*innen eine solche Frage überhaupt? Sie haben sicherlich einen Grund, aber geht mich das etwas an? Kann ich das thematisieren? Wie kann ich es thematisieren, ohne dass es blöd ist und der/die Patient*in sich unwohl fühlt und wieder geht?

Was sind die Themen, die hier im Krankenhaus auftauchen?

Wir behandeln Patient*innen mit Infektionskrankheiten, die teilweise schwer krank sind. Eben genannte Themen tauchen da zunächst nicht unbedingt auf. Aber diese Patient*innen werden irgendwann im Laufe des Krankenhausaufenthalts wieder gesünder. Da beraten wir natürlich wieder zu diesen Belangen. Daher sehen wir auch den großen Nutzen der Workshops. Es hat unserem gesamten Team geholfen und auch Spaß gemacht, besonders die Rollenspiele waren großartig.

Kommt es vor, dass zwar die Kolleg*innen auf der Station geschult sind, aber es eventuell bei der Einweisung in der Notaufnahme zu Schwierigkeiten, Diskriminierung oder Stigmatisierung kommt?

Die Pflicht zum Abbau von Diskriminierung und Stigma zieht sich durch alle Bereiche der Gesellschaft. Und der Prozess ist auch keiner, der irgendwo und irgendwann einmal am Ende angelangt ist. Sobald man den Fuß vom Gaspedal nimmt, fährt das Auto langsamer oder wieder zurück.

Wir sehen es durchaus als unsere Aufgabe, den anderen Abteilungen hier im Krankenhaus unsere neuen Erkenntnisse weiterzugeben. Vielen Menschen ist nicht unbedingt klar, dass diese Art von Sensibilisieren wichtig und berechtigt ist. Es stimmt halt nicht, dass bereits alles gut läuft und es keine Schwierigkeiten gibt.

Patient*innen werden aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung oder schlichtweg aufgrund ihrer Herkunft in Einrichtungen des Gesundheitswesens diskriminiert. Selbst wenn diese Diskriminierungen ohne böse Absicht erfolgen, etwa weil nicht ausreichend dahingehend sensibilisiert wurde. Fehltritte passieren überall, wir müssen uns dafür stark machen, dass diese nicht mehr vorkommen.

Welche Krankheiten werden hier im St. Joseph Krankenhaus behandelt?

Wir behandeln alle Art von Infektionskrankheiten. Infektionen gab es schon immer und sind mit Sicherheit der häufigste Grund, warum Menschen sterben. Bakterien und Pilze leben auf und in uns und sie gehören zu uns wie die Leber und das Herz zu uns gehören. Der humane Teil des Menschen macht sogar einen kleineren Teil des Körpers aus als der Teil, den die Bakterien ausmachen.

Es gibt ein perfektes Zusammenspiel zwischen denen und uns. Für die meiste Zeit herrscht also Liebe, Man kann sagen, dass wir eine Art Wohngemeinschaft sind. Irgendwann, aus Gründen die nicht ganz klar sind, entscheidet sich einer der Mitbewohner*in dazu, Eigenbedarf anzumelden und sich seines menschlichen Lebensraums zu entledigen. Das ist dann manchmal eine End-Of-Life-Situation und sie ist unabwendbar. Meistens schaffen wir Infektiolog*innen es aber, diesen Angriff aus dem Inneren abzuwehren, und die Infektion in den Griff zu bekommen.

Den Sieg über die Infektionskrankheiten, der in den Sechzigerjahren ausgerufen wurde, wird es aber trotzdem nie geben. Und was wir gerade erleben, zeigt ja auch, dass immer wieder neue Infektionskrankheiten auftauchen, die uns zu schaffen machen. Soviel zum Hintergrund unserer Arbeit. Wir behandeln hier alle möglichen Infektionskrankheiten, wobei wir in HIV-assoziierte und nicht-HIV-assoziierte Infektionskrankheiten unterteilen. Es können Herzklappenentzündungen sein, Gehirnentzündungen,Entzündungen oder Infektionen der Knochen.

"Viele Infektionen lassen sich nämlich durch Antibiotika alleine nicht entfernen, sondern müssen weg-operiert werden. Bei den HIV-infizierten Patient*innen ist es so, dass immer noch viel zu viele AIDS bekommen und dadurch erkranken."

Es geht immer darum, den Patient*innen so wenig Antibiotika wie möglich zu geben, um den bakteriellen Kosmos, der auf und in uns lebt, so wenig wie möglich zu beinträchtigen. Infektiologie bedeutet vor allem ein Management des gesamten Krankheitsprozesses. Eine Infektion ist immer ein systemisches Krankheitsbild.

Wenn die Bakterien im Blut sind, weil man sich in den Finger geschnitten hat, muss ich wissen, wo sich diese Bakterien überall ablagern können, um eine Entzündung zu behandeln, oder bestenfalls zu verhindern. Wir sind also diejenigen, die lesen können, wie eine Infektion verläuft. Wir holen dann gezielt andere Fachärzt*innen dazu, die uns bei der Behandlung unterstützen.

Viele Infektionen lassen sich nämlich durch Antibiotika alleine nicht entfernen, sondern müssen weg-operiert werden. Bei den HIV-infizierten Patient*innen ist es so, dass immer noch viel zu viele AIDS bekommen und dadurch erkranken.

Trotz Therapie?

Wir gehen davon aus, dass etwa 2000 Menschen in Berlin HIV-positiv sind, ohne dass die Diagnose gestellt wurde. Sie wissen also nichts von ihrer Infektion. Etwa 1000 Menschen sind positiv

und machen keine Therapie. Und nochmals 600 Menschen, bei denen die Therapie nicht anschlägt. Diese drei Gruppen haben ein hohes Risiko, AIDS zu bekommen,  und AIDS-assoziierte Erkrankungen zu entwickeln. Zum Teil sind das extrem seltene Erkrankungen. Nur ein Beispiel: In Berlin bekommen jedes Jahr von

den insgesamt 15000 HIV-infizieren Menschen etwa acht Patient*innen eine Krankheit, die bis heute nicht so richtig verstanden ist: Morbus Castleman. Dabei handelt es sich um eine eigene Tumorart, die in der Brusthöhle, dem Bauchraum, dem Bauchfell und den oberflächlichen Lymphknoten auftritt.

Fast Track Cities: Um zu erreichen, dass bis 2030 niemand mehr an Aids erkrankt, wollen die Vereinten Nationen bis 2020 die 90-90-90-Ziele erreichen. Das heißt: 90 Prozent aller Menschen mit HIV sollen entsprechend diagnostiziert sein. 90 Prozent der Menschen mit einer HIV-Diagnose sollen eine lebensrettende antiretrovirale Therapie machen. Und 90 Prozent der Menschen mit einer HIV-Therapie sollen eine Viruslast unter der Nachweisgrenze haben, um zu verhindern, dass HIV beim Sex übertragen wird.

Dazu gibt es wenig wissenschaftliche Literatur. Hier kommt unsere Erfahrung ins Spiel. Wir haben über die Jahre so viele Patient*innen damit erfolgreich behandelt, dass wir eines der größten Zentren auf diesem Gebiet geworden sind.

Jede einzelne dieser Erkrankungen ist sehr selten, aber in der Summe berlinweit und weltweit betrachtet eben immer noch sehr viel. Deshalb ist es so wichtig, die Fast-Track-City*-Ziele von 90-90-90 zu erreichen.

Welche Vorkehrungen können Patient*innen treffen, dass erst gar kein so schwerer Krankheitsverlauf eintritt?

Wir sprechen jetzt von Infektionskrankheiten, die nicht unbedingt mit HIV zu tun haben, sondern bei allen Menschen auftreten können und durch die Bakterien ausgelöst werden, die zu unseren Mitbewohner*innen gehören wird. Der eben genannte Eigenbedarf wird dann angemeldet, wenn irgendetwas anderes im Körper nicht mehr gut funktioniert.

"Ich denke da an Pneumokokken und Impfungen gegen Lungenentzündungen. Oder HPV, wobei das ab einem gewissen Alter zu spät ist. Da ist es wichtig, dass sich besonders junge Menschen impfen lassen. Aber in Deutschland herrscht eine recht schlechte Impfdisziplin, auch weil viele Menschen denken, das sei alles Blödsinn."

Wenn man etwa aufgrund eines Herzinfarkts ins Krankenhaus eingeliefert wird, wenn man zu viel getrunken hat, und die Leber kaputt ist. Oder wenn die Lunge vom zu vielen Rauchen zerstört oder von einem Virus wie Corona geschädigt wurde. Dann kommen die Bakterien und breiten sich im Körper aus. Das ist zwar nicht immer, jedoch meistens so. Schützen kann man sich insofern, als dass man gesund lebt.

Oder auch durch Impfungen, die vermeiden, dass gewisse Bakterien und Viren den Körper gar nicht erst befallen können. Ich denke da an Pneumokokken und Impfungen gegen Lungenentzündungen. Oder HPV, wobei das ab einem gewissen Alter zu spät ist. Da ist es wichtig, dass sich besonders junge Menschen impfen lassen. Aber in Deutschland herrscht eine recht schlechte Impfdisziplin, auch weil viele Menschen denken, das sei alles Blödsinn.

Interview: Torsten Schwick


Infektiologische Tagesklinik 21 A

Wüsthoffstraße 15, 12101 Berlin

Montag-Freitag 8:00–17:00 Uhr

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Tel +49 30 7882 2121

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