Geschlechtsangleichende Operationen: München ist ein Mekka

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Trans* Personen nehmen einen langen Weg auf sich, um in der Rolle anzukommen, die sie für sich als die Richtige empfinden. Patricia Sophie Schüttler ist selbst trans* und assistiert bei geschlechtsangleichenden Operationen. Mit ihr haben wir uns über die körperlichen wie seelischen Aspekte solcher Eingriffe unterhalten.

Welche Operationen sind schwieriger: Mann zu Frau oder Frau zu Mann?

Pauschal ist das schwer zu sagen. Mann-zu-Frau-Angleichungen benötigen weniger Schritte und können mit zwei OPs beendet sein. Sie erscheinen mir aber auch gefährlicher, denn beim Anlegen der Neo-Vagina präpariert man tief in den Körper hinein.

Die Angleichung von Frau zu Mann hingegen ist mit mindestens fünf Schritten aufwändiger, kann aber auch deutlich mehr Eingriffe erforderlich machen: Es geht los mit der vermännlichenden Brust-Operation (Mastektomie), gefolgt von der Entnahme der Eierstöcke und Gebärmutter und Verschluss der Vaginalhöhle sowie Anlage eines Klitpen. Dann folgt der Aufbau des Penoids, modifizierende Maßnahmen und abschließend der Einbau einer Pumpe oder ähnlicher Systeme, die eine Erektion ermöglichen.

Welche gesundheitlichen Risiken gehen trans* Menschen ein?

Die klassischen Risiken wie Infektionen, Schwellungen oder Blutungen sind ja von anderen Operationen bekannt.

Für trans* Menschen beginnen die Gefahren allerdings schon viel früher mit der Einnahme von gegengeschlechtlichen Hormonen, was einen erheblichen Eingriff in den Stoffwechsel bedeutet.

Diese Hormone steigern beispielsweise das Risiko von Thrombosen, die zum Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können. Bei der Mann-zu-Frau-OP kann es zu Verletzungen von Darm oder Blase kommen, eine Inkontinenz oder die Unfähigkeit, einen Orgasmus zu empfinden, kann in seltenen Fällen ebenfalls eine Folge sein. Bei der Frau-zu-Mann-OP kann die Brust nach der Mastektomie taub werden, es bleiben große Narben an Arm oder Oberschenkel, weil man dort Hautlappen entnommen hat, aus denen später das Penoid gebildet wird – eine langwierige Physiotherapie ist anschließend an diesen Stellen nötig.

Ebenfalls treten bei trans* Männern häufig Fisteln oder Divertikel an der neu geschaffenen Harnröhre auf. Im schlimmsten Fall kann schwache Durchblutung gerade in der Anfangszeit zu einem (Teil-) Verlust des Penoids führen. Implantierte Prothesen bergen immer das Risiko von Infektionen und Abnutzungserscheinungen.

Exkurs: Welche Möglichkeiten hat ein trans* Mann, einen Penis zu erhalten?

Eine Möglichkeit ist der erwähnte Penoid-Aufbau. Dieser Aufbau ist für den Körper eine große Belastung und die Operation kann auch mal bis zu zehn Stunden dauern. Eine Alternative dazu ist der Klitorispenoid, kurz „Klitpen“: Hier wird die Klitoris, die schon durch die Hormoneinnahme meist an Länge zunimmt, etwas aus der ursprünglichen Befestigung gelöst, um noch mehr Länge zu gewinnen. Anschließend wird die Harnröhre durch Vereinigung der kleinen Schamlippen von der ursprünglichen Harnröhrenöffnung bis zur Spitze der Klitoris verlängert und bildet so einen (kleinen) Penis, der zwar ein Pinkeln im Stehen ermöglichen kann, jedoch keinen penetrativen Geschlechtsverkehr.

Können diese Operationen tödlich enden?

Mir sind keine Todesfälle bekannt, jedoch wie bei jeder OP nicht auszuschließen. Eingriffe im Genitalbereich, wo sich viele Nerven befinden, sind niemals harmlos und oft sehr schmerzhaft.

Daher verzichtet ein Teil der trans* Menschen auch auf diese OPs, wenn sie beispielsweise unter Grunderkrankungen leiden, die das Risiko deutlich vergrößern.

Oder sie lassen nur ganz bestimmte Eingriffe durchführen. Das kann ganz praktische Gründe haben, zum Beispiel, weil man seine Sportkarriere nicht aufs Spiel setzen oder keinen Geschlechtsverkehr will.

Wie sieht das Leben mit neuen Geschlechtsteilen aus?

Direkt nach der OP dürfen trans* Männer einige Tage nicht aufstehen, denn das Penoid muss erstmal in Ruhe anwachsen. Die Behandlung kann sich bis zum Abschluss aller OPs über mehrere Jahre hinziehen und erfordert viel Pflege und Geduld seitens des Patienten. Bei trans* Frauen steht das Dehnen der neuen Vagina („Bougieren“) im Vordergrund. In den ersten Monaten nach ihrer OP machen sie das zwei bis drei Mal am Tag. Die Frequenz wird im Laufe der Zeit weniger, aber bleibt im Prinzip ein Leben lang nötig - es sei denn, man ist sexuell entsprechend aktiv und ersetzt hierdurch das Bougieren.

Ist man denn anschließend körperlich „normal“?

Objektiv gesehen nein, optisch und funktionell werden Unterschiede immer spürbar bleiben. Eine trans* Frau hat beispielsweise keine natürliche Befeuchtung der Vagina, die zudem ein bisschen anders aussieht als natürlich gewachsen. Ein trans* Mann kann seine OP kaum verbergen, denn das Penoid kann farblich etwas anders aussehen, Narben werden immer sichtbar sein und eine Erektionsprothese muss man aufpumpen, wenn Geschlechtsverkehr gewünscht ist.

Ein wichtiger Punkt: Kein trans* Mensch kann auf natürliche Weise Kinder bekommen, es sei denn, es werden Sperma oder Eizellen frühzeitig eingefroren.

Wer sich früh auf den Weg der Transition begibt, muss sich also schon vor der Pubertät die Frage stellen: Will ich jemals Kinder haben? Allerdings möchte ich hier klar zum Ausdruck bringen: Jeder Mensch hat ein anderes Empfinden von „normal“. Diese Entscheidung liegt bei jeder*m selbst und das ist gut so.

Macht die geschlechtsangleichende OP glücklich?

Ich empfinde es als schwierig, wenn die Leute glauben, durch die OP werden sie zu einem „richtigen“ Mann oder einer „echten“ Frau. Das funktioniert so nicht. Selbst wenn du fertig bist, kann es passieren, dass dich die Gesellschaft weiterhin nicht akzeptiert. Dann kommt der Frust.

Das Bild, das manche trans* Menschen vom Wunschgeschlecht haben, ist ein Optimalbild des anderen Geschlechts und möglicherweise sogar sexistisch angehaucht.

Eine rein äußerliche Selbstoptimierung wird selten gelingen. Auch psychisch kann es passieren, dass dich dein Trans*-Thema ein Leben lang begleitet. Auch das kann belastend sein, denn eigentlich wollte man doch ankommen, man wollte fertig sein und stellt irgendwann aber fest, dass sich der Wunsch nach „Normalität" vielleicht nie zu 100 Prozent erfüllen wird. Nicht nur der Körper, auch die Seele muss sich der neuen Situation anpassen – und das kann dauern.

Das klingt aber sehr negativ …

Soll es gar nicht, denn ich bin überzeugt: Es überwiegen die positiven Aspekte! Doch man muss sich immer wieder klarmachen, dass am Ende der Transition nicht das Paradies wartet.

Man kann nicht alle persönlichen Eigenschaften ablegen, nur um den Rollenklischees zu entsprechen.

An diesen Klischees kann man kaputtgehen, weil man nicht von Kindheit an hineingewachsen ist. Mein Tipp: Nimm  alles in deine neue Rolle mit, was dir persönlich wichtig und für dein Leben entscheidend ist.

Kommt es vor, dass sich Menschen zurückoperieren lassen wollen?

Die Fälle einer sogenannten De-Transition liegen vermutlich im Promillebereich – glücklicherweise, sonst würden die Krankenkassen irgendwann nicht mehr mitspielen. Wer sich einer geschlechtsangleichenden OP unterzieht, ist sich in der überwältigenden Zahl der Fälle seiner Sache sicher und fühlt das auch.

Deswegen gibt es ja den Alltagstest, bei dem man sich über viele Monate in der neuen Rolle erproben soll, daher gibt es noch immer psychiatrische Gutachten und Indikationsschreiben. Das alles soll sicherstellen, dass der Weg für die Person der Richtige ist. Gerade für Eltern ist diese psychologische Begleitung eine Beruhigung, zumal sich immer mehr junge trans* Menschen für diesen Weg entscheiden.

Ist München ein gutes Pflaster für trans* Menschen und geschlechtsangleichende Operationen?

Definitiv. Wir haben drei Kliniken, die in beide Richtungen operieren und einen hervorragenden Ruf haben. Es gibt hier mehrere Selbsthilfegruppen, außerdem städtisch geförderte Institutionen wie die Trans*Inter*Beratungsstelle. Nicht zuletzt trifft sich in München der „Qualitätszirkel Transsexualität“, bei dem sich behandelnde Expertinnen und Experten untereinander und auch mit trans* Gruppen und Einrichtungen austauschen. Fazit: München ist nicht nur ein gutes Pflaster, es ist ein Mekka!


Foto: Sonja Lubos

Patricia Sophie Schüttler (48) ist gelernte Zahnärztin, arbeitet mittlerweile als OP-Assistentin in einem Münchner Klinikum, das seit 1997 über eines der ersten Transgenderzentren Deutschlands verfügt und rund 1000 Eingriffe an trans* Menschen pro Jahr durchführt. Patricia ist 2. Vorsitzende des überregionalen Vereins Trans-Ident e.V. und leitet dessen Münchner Selbsthilfegruppe. Außerdem engagiert sie sich im Aufklärungsprojekt München e.V., das an Schulen über LGBTIQ* informiert, und ist beim CSD aktiv. Patricia Sophie ist seit 2003 verheiratet, unterzog sich 2015 einer geschlechtsangleichenden Operation und lebt mit ihrer Frau in München.

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