Schlau zu HIV mit der Aids-Hilfe Freiburg

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Erstmals in unserer Reihe mit Fachfragen zum Thema HIV und Aids haben wir uns diesmal nicht an eine Schwerpunktpraxis gewendet, sondern an eine Beratungsstelle. Diese liegt auch nicht in einer der Metropolen Deutschlands, sondern im kleinstädtischen Bereich. Dies hat einen besonderen Hintergrund: Oft wird vermutet, dass das Wissen über HIV eher in Großstädten sehr gut ist, Vorurteile und Stigmata in eher ländlichen Gebieten mangels Aufklärungsangeboten zunehmen. Ralph Mackmull von der Aids-Hilfe Freiburg mit leider nicht wirklich mutmachenden Antworten. 

Foto: Stefan Lamb

Berichten Besucher im Beratungsalltag von Stigmatisierungserfahrungen? Von welchen?

Leider berichten Menschen mit HIV im Kontext unserer Beratungsangebote immer wieder und immer noch von Stigmatisierungserfahrungen. Der große Schwerpunkt ist dabei der medizinische und pflegerische Bereich. Neuralgisch für viele Menschen mit HIV ist der Besuch beim Zahnarzt. Hier kommt es – trotz mehrerer gemeinsamer Kampagnen von der Deutschen Aidshilfe und der Bundeszahnärztekammer – immer noch sehr häufig vor, dass Menschen mit HIV entweder gar keinen Termin, oder einen am Ende des Tages erhalten – mit der Begründung von besonderen hygienischen Notwendigkeiten, was völlig absurd ist und schlichtweg nicht stimmt. Gekennzeichnete Patientenakten, Einzelzimmerisolierung im Krankenhaus, Kontakt mit Pflegenden nur mit Vollkörperschutz sind weitere Erfahrungen, die uns berichtet werden. Meist liegt die Ursache von solchen Maßnahmen in mangelnder Aufklärung bzw. mangelndem Wissen über den aktuellen Behandlungsstand einer HIV-Infektion: Funktioniert die Therapie, ist die Person nicht mehr infektiös – selbst nicht mehr beim Sex. Das wissen immer noch zu wenige Menschen. Auch in der schwulen Szene ist dieses Wissen noch nicht vollständig angekommen. Im Bereich der Arbeitswelt scheint seit der Einführung der Datenschutzgrundverordnung eine Sensibilisierung bezüglich der Verwendung von Gesundheitsdaten von Mitarbeitenden stattgefunden zu haben: Wir erleben, dass die Berichte von Stigmatisierungen oder unfreiwilligen Outings am Arbeitsplatz etwas abnehmen.

Welche Folgen haben diese Stigmatisierungen für die Betroffenen?

Erlebte Stigmatisierung ist eine enorme psychische und seelische Belastung. Zudem bewirkt Stigmatisierung meist einen sozialen Rückzug – und das ganz gleich, in welchem Bereich die Stigmatisierung stattgefunden hat. Sie wirkt sich meist negativ auf das gesamte Lebensumfeld aus. Gerade bei HIV ist eine latente Selbststigmatisierung oftmals stark verinnerlicht und schwächt das eigene Selbstwertgefühlt und damit die eigenen Möglichkeiten, sich gegen die Stigmatisierung von außen zur Wehr zu setzen. Wir erleben zudem, dass Menschen mit HIV mit kaum jemanden – auch nicht im Freundeskreis – über ihre Infektion, die Stigmatisierungen und ihre belastenden Auswirkungen reden. Der eigene Partner ist oftmals der einzige Mensch, der Bescheid weiß. Die Angst, Ausgrenzung zu erfahren, steckt tief. Für die AIDS-Hilfen ist klar: Es ist eine der wesentlichen Aufgaben, die Öffentlichkeit weiter aufzuklären – nicht nur über die allgegenwärtige Stigmatisierung von Menschen mit HIV und deren Auswirkungen, sondern auch über den Stand der modernen Therapien. Mit einer kleinen Tablette täglich lässt sich HIV wirkungsvoll behandeln, so dass das Virus nicht mehr im Blut nachweisbar ist und eine weitere Übertragung des Virus schlicht unmöglich wird. Wer sich dies vor Augen führt, begreift, dass die alten Bilder von HIV und AIDS aus den 90er Jahren heute nicht mehr gelten und überdenkt vielleicht auch das eigene ausgrenzende Verhalten.

Ist aus Ihrer Sicht, der Umgang mit der eigenen HIV-Infektion offener geworden?

Bisher würde ich diese Frage weiterhin verneinen, vor allem, wenn ich auf das Umfeld einer eher kleinen, regionalen AIDS-Hilfe schaue. Wir merken es daran, dass wir kaum Menschen finden, die bereit sind, im Rahmen unsere Informations- und Präventionsangebote aus eigener Erfahrung zu berichten. Erste zaghafte Outings von Promis sind aber ein kleiner Lichtblick. Wir respektieren es als persönliche Entscheidung, wie Menschen mit HIV mit dem Wissen um ihre Infektion umgehen. Gleichzeitig wissen wir aus unserer Beratungsarbeit, wenn wir Menschen mit einer neuen Infektion in Kontakt mit „alten Hasen“ bringen: Lebendige Beispiele von Menschen, die seit Jahren gut mit ihrer Infektion leben, lieben und arbeiten verändern die eigenen Bilder im Kopf, bauen Ängste ab und tragen zum Abbau von Diskriminierung bei.

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