Familie ist da, wo das Herz ist

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Familie. Kaum ein anderes Wort weckt derart viele Emotionen. Denn Familie bedeutet uns viel.

Foto: Kurt Löwenstein Educational Center / ws'08 (3), CC BY 2.0 /commons.wikimedia.orgcurid=3626507

Die Vermächtnisstudie des infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Kooperation mit der Zeitung „Die Zeit“ ergab, dass eine große Mehrheit auch zukünftiger Generationen wünscht, in Familien zu leben. Und es scheint keinen Generationenkonflikt zu geben: In der Shell Jugendstudie ist Familie den 12 bis 25-Jährigen am Wichtigsten - bedeutender als einen sicheren Job oder die eigene Karriere.

Diese Bedeutung spiegelt sich auch in der Politik wieder. Die Familie ist u.a. durch Artikel 6 Paragraph 1 im Grundgesetz mit besonderem Schutz der staatlichen Ordnug ausgestattet. Was das Grundgesetz dabei aber dezidiert nicht vorschreibt, ist, was eine Familie konkret ausmacht.

Familienverständnis im Laufe der Zeit

Erstmalig findet sich der Begriff familia in der römischen Antike. Zu der familia gehörten damals alle Personen und Gegenstände unter der Kontrolle eines Mannes. Im Mittelalter wurde unter familia die haushaltliche Organisationsstruktur untereinhalb eines Herrschers verstanden. Einer familia konnten somit tausende von Menschen angehören. Im 17. Jahhundert fand der Begriff Familie Eingang in die deutsche Sprache. Zunächst war Familie noch gleichbedeutend mit dem Wort Haus.

Die Fokussierung auf den Verwandschaftsgrad folgte mit dem Aufkommen des Bürgertums im 18. Jahrhundert. Die Kernfamilie wurde zum bürgerlichen Ideal und entsprach einer Mutter, einem Vater und ihren leiblichen Kindern. Hinter dieser bürgerlichen Wunschvorstellung der Kernfamilie trat auch die generationsübergreifende Mehrgenerationenfamilie in den Hintergrund.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts öffnet sich für viele Menschen der Begriff Familie und umschließt vielfältige Formen der Gestaltung des Zusammenlebens, beispielweise Alleinerziehendenhaushalt, nichteheliche Lebensgemeinschaft, kinderlose Ehe, getrenntes Zusammenleben, Wohngemeinschaft, Ehe, sogennante Regenbogenfamilie und Fernbeziehung.

Was konkret unter den Begriff Familie verstanden wird, ist also seit jeher im Wandeln, eine historische Bestimmung des Begriffs aus heutiger Sicht somit nicht möglich.

Was schafft Familie

Wir können uns der Familie auch durch die Frage nähern, welche Funktionen sie erfüllen kann. Familie kann zu Beginn des Lebens durch Geborgenheit und Wachstum die Sozialisierung in die Gemeinschaft fördern. Familie kann Weltanschauungen vermitteln. Sie kann der wirtschaftlichen Absicherung aller Familienmitglieder dienen. Durch die auf Dauer angelegten sozialen Beziehungen kann die individuelle Identität gestärkt werden. In Familien können Kinder gezeugt und groß gezogen werden. Familien können Verantwortung übernehmen und sich um auf Hilfe angewiesene Familienmitglieder kümmern. Durch die Familie kann ein Mensch politische Rechte und Pflichten erlangen. Beispielweise sind Staatsbürgerschaften in der Regel an familiäre Zusammenhänge geknüpft. Die Familie kann ein Ort für physische und emotionale Erholung und Selbstverwirklichung sein. Die Funktionen, die Familien erfüllen können, sind zahlreich und vielfältig.

Müssen alle potentiellen Funktionen erfüllt sein, damit von einer Familie gesprochen werden kann? Diese Frage beantwortet sich, wenn man sie mit der Realität konfrontiert. Löst sich eine Familie auf, wenn Eltern ihr Kind in die erste eigene Wohnung verabschieden? Verschwindet eine Familie, wenn das Familienmitglied, welches der Erwerbsarbeit nachgeht, den Arbeitsplatz verliert? Sie tut es nicht. Somit stellt sich die Frage, welche der Funktionen erfüllt werden sollten, damit eine Familie entsteht.

Foto: Hessischer Rundfunk

Für einen inklusiven Begriff Familie

Und mit diesem Gedanken vollziehen wir endgültig den Schritt in den Bereich der Subjektivität. Denn durch technischen Fortschritt und die Entwicklung von stärkeren gesellschaftliche Institutionen gibt es meiner Meinung nach keine Funktion mehr, die allein von einer Familie erfüllt werden kann. Somit ist es auch aus einer funktionalen Perspektive nicht möglich, Familien objektiv zu definieren.

In Gesprächen erlebe ich häufig, wie versucht wird, die Familie durch Kinder zu definieren. Familie sei da, wo Kinder sind. Meiner Meinung nach existiert Familie in der Tat häufig da, wo Kinder sind. Ich habe aber mit diesem Definitionsansatz drei Probleme.

Zum einen sind Kinder alleine keine Familie. Es benötigt Menschen, die Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig entsprechen verschiedene Konstellationen, wo keine Kinder präsent sind, dennoch meinem Verständnis von Familie. Das kann beispielweise ein erwachsener Sohn sein, welcher sich um seine älter werdende Mutter kümmert. Ähnlich sehe ich die Situation beispielweise bei den Mitgliedern einer vierköpfigen Wohngemeinschaft, die sich entscheiden haben, füreinander im Leben Verantwortung zu übernehmen. Diese Menschen möchte ich ebenfalls in dem Begriff Familie berücksichtigt wissen. Der Fokus auf die Anwesenheit von Kindern ist auch problematisch, wenn man sich die Entwicklung der Kinder vor Augen führt. Hört nach dieser Definition dann eine Familie auf, eine Familie zu sein, wenn aus den Kindern Jugendlichen oder Erwachsene werden? Ebenfalls geht dieser Definitionsansatz gleich von mehreren Kindern aus.

Ich werbe ich für einen inklusiveren Familienbegriff. Meiner Meinung nach ist Familie da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Diese Definition ist meiner Meinung nach flexibel genug, um auch Familienkonstellationen ohne Kinder zu berücksichtigen und gleichzeitig nicht derart unbestimmt, sodass letztendlich alles Familie ist.

Diesem Verständnis folgend kann Familie in vielen Formen existieren. Familie ist dabei auch nicht auf biologische Verwandschaft begrenzt. Familie kann das Ehepaar mit jungen Kindern sein. Familie kann das alte Paar sein, welches gemeinsam an das zusammen gestaltete Leben zurückdenkt. Durch dieses Verständnis von Familie wird niemandem etwas weggenommen und der Kern von Familien gestärkt.

Foto: Christian Maluck

Familie gegen Rechts verteidigen

Lass uns durch einen vielfältigen und inklusiven Familienbegriff gemeinsam den politischen Kräften entgegenstellen, die allen ihr eigenes enges Verständnis des Begriffs aufzwingen wollen.

Im gesellschaftlichen und parlamentarisch ist die Kernfamilienwunschvorstellung aus dem 18. Jahrhundert mit dem bestimmenden Mann, der alle Heimarbeit unbezahlt verrichteten Frau und möglichst vielen biologischen Kindern zurzeit wieder präsenter als in den Jahrzehnten zuvor. 

Wir sind seit der römischen Antike bereits soweit gekommen. Niemand versteht unter einer Familie mehr alle Personen und Gegenstände unter der Kontrolle eines Mannes. Lasst uns gemeinsam auch weiterhin für ein inklusives Verständnis von Familie in allen ihren Form streiten.

Familie ist in der Tat viel zu wichtig, um die Definitionshoheit den Rechten zu überlassen.

*Jens Christoph Parker ist Finanzbetriebswirt und Sprecher von #QueerGruen. Er brennt darüber hinaus für die Themen: #Europa, #Vielfalt und #NachhaltigeFinanzen. Er zwitschert unter @JensParker

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