✕
☰

#SCHLAUZUHIV đŸ‘šđŸŒâ€đŸ”Ź Wie sorglos darf PrEP machen, Herr Dr. Spinner?

by

Die Pille gegen HIV taugt zu euphorischen Utopien von einer neuen sexuellen Revolution ohne Gewissensbisse nach dem Gangbang im Berghain oder dem spontanen Treff mit dem ROMEO-Chat. Der RealitĂ€tscheck mit Dr. Spinner vom „Klinikum rechts der Isar der TU“ in MĂŒnchen.

Foto: Sylvia Willax, MĂŒnchen

71 Prozent RĂŒckgang der HIV-Diagnosen bei MSM in Großbritannien (Quelle). Ist PrEP das Ende von HIV?

Ganz so einfach ist das nicht. Die Zahlen aus London fokussieren im Wesentlichen auf homo- und bisexuelle MĂ€nner. Ganz grundsĂ€tzlich ist die PrEP aber, kombiniert mit Schutz durch Therapie und vermehrte Testen, ein wirksames Mittel vor allem innerhalb der Hochrisikogruppen. FrĂŒher wurde durchschnittlich etwa alle zwei Jahre auf HIV getestet, heute sind es mit PrEP alle drei Monate. Außerhalb der mehrheitlich gut aufgeklĂ€rten Hochrisikogruppen – insbesondere bei MĂ€nnern, die sich nicht als homo- oder bisexuell identifizieren, aber dennoch Verkehr mit MĂ€nnern haben, ist die PrEP noch keine wirksame Lösung. Das haben auch Studien gezeigt.

Welche Probleme können Sie im Praxisalltag beobachten?

Zwei Dinge sind gefĂ€hrlich: Einzelne Nutzer verwenden die PrEP nach ganz eigenem Schema, weder kontinuierlich noch korrekt anlassbezogen, wie in den Leitlinien empfohlen. Gelegentliche Nutzer setzen sich einem großen Risiko aus, wenn die Anwendung außerhalb der klinisch geprĂŒften Einnahmeschemata erfolgt: Schließlich hĂ€ngt die Schutzwirkung direkt von der Richtigkeit der Einnahme ab. Die meisten HIV-Neuinfektionen werden um den Wiederbeginn oder das Absetzen der PrEP gesehen. Es ist daher unverĂ€nderlich wichtig, dass Nutzer regelmĂ€ĂŸig zu einer fachlich guten Beratung gehen. Das andere große Problem schlĂ€gt auch in die Kerbe der Information.

Eigenverantwortlichen Umgang mit der PrEP lernen

Die Community hat in Foren und Blogs im Internet zwar wichtige AufklĂ€rungsarbeit geleistet, aber es gibt auch sehr viel unausgegorene und halbwahre Informationen im Netz. Da kann unsere Rolle als Behandler und Schwerpunktmediziner nur sein, dass wir möglichst offen ĂŒber die korrekte Verwendung der PrEP aufklĂ€ren. Wichtig ist, dass jeder Nutzer eigenverantwortlich mit der PrEP umzugehen lernt. Verhindern können wir die beabsichtigte oder unbeabsichtigte fehlerhafte Selbstmedikation wohl leider nicht.

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um die Risiken anderer STI zu minimieren?

Das ist schwer zu beantworten. Es gibt mittlerweile die ersten Studien, die ganz klar zeigen, dass nach Beginn der PrEP die STI-Diagnosen (STI = Sexuell ĂŒbertagbare Krankheiten) im ersten Jahr erheblich ansteigen. Man muss aber im Hinterkopf behalten, dass das ja auch einen Grund hat: Die Menschen sind auch vor PrEP HIV-negativ geblieben, sie haben ihr Risikoverhalten kompensiert: Zum Beispiel durch Schutz durch Therapie des Partners oder Kondome. Die Freiheit der SexualitĂ€t durch PrEP hat zugenommen: Es ist also unweigerlich, dass mit mehr kondomloser SexualitĂ€t eine Erhöhung der STI-Rate einhergehen kann. Noch nicht ausreichend untersucht ist aber, was in den folgenden Jahren passieren wird. Bleibt es dabei? Bei unseren Gebrauchern erleben wir tatsĂ€chlich fast so etwas wie einen RĂŒckgang der STI-Inzidenz oder zumindest eine Stabilisierung. Sie sehen ja auch die Syphilis-Meldedaten fĂŒr Deutschland: Im ganzen Land steigt die Rate – fĂŒr Berlin und MĂŒnchen sind die Daten erstmals rĂŒcklĂ€ufig. Der Zusammenhang zur PrEP ist absolut spekulativ, aber selbst das Robert Koch-Institut stellt ihn her. ((mĂ€nner* berichtete))

Ist „sorglos“ also das richtige Wort fĂŒr den Umgang mit der PrEP?

Es war von Anfang an ein moralisches Dilemma. Aus der Sicht der schwulen Community, und im Kontext der Aids-Krise ist es nachvollziehbar, dass sich Wertevorstellungen, wie die des moralisch erhöhten Kondomgebrauchers die des moralisch verwerflichen KondomverĂ€chters gegenĂŒberstehen. Das ist aber meiner Meinung nach eine ganz erhebliche schwule Selbstidentifikationskrise. Heute können Menschen an bestimmten Teilaspekten der schwulen Szenen (Sexklubs etc.) partizipieren und gleichzeitig wirksamen Schutz vor HIV-Infektionen durch PrEP erhalten. Wir am Klinikum rechts der Isar waren und sind von Anfang an ein PrEP-Zentrum, und haben uns ganz klar fĂŒr die PrEP eingesetzt und sie von Anfang an wissenschaftlich begleitet. Wir sind auch froh, dass diese moralische Diskussion von Anfang an gefĂŒhrt wurde.

Eine ganz erhebliche schwule Selbstidentifikationskrise

Es ist aber wichtig, sie von der allgemeinen STI-Diskussion zu trennen: Das Kondom hat dazu gefĂŒhrt, dass man sich mit anderen Risiken außer HIV nicht mehr sachlich auseinandersetzte. Sexuelle Gesundheit muss gesamtheitlich betrachtet werden. In dem Moment beim Sex, wo es um Verschmelzung geht, ist so eine Barriere wie ein Kondom manchmal lustkillend. Was wir bei STI vor allem brauchen, ist ein Konzept zum Umgang, denn aus den PrEP-Studien haben sich wichtige Fragen ergeben: Wir haben dort jeden alle drei Monate gescreent und haben wahnsinnig viele asymptomatische Menschen mit STIs identifiziert.

Was ich als sehr positiv bewerte, ist die ungeheure Geschwindigkeit, mit der wir an diesen Punkt gekommen sind. Ohne Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wĂ€re das mit Sicherheit nicht so schnell passiert. Wir haben schon die ersten hausĂ€rztlichen Kollegen durch Hospitationen fĂŒr die PrEP qualifiziert, damit Ă€rztlich qualifizierte PrEP-Begleitung an noch mehr Zentren verfĂŒgbar wird.

*Interview: Christian Knuth


Back to topbutton