Wenn der schwule Sohn auf den dementen Macho-Vater trifft …

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Mit „Falling“, der ersten Regie- und Drehbucharbeit des mehrfach Oscar nominierten Schauspielers Viggo Mortensen, einer Geschichte über die Beziehung eines offen schwul lebenden Sohnes zu seinem extrem homophoben Vater, der unter einer beginnenden Demenz leidet, kommt Ende November ein Film in die deutschen Kinos, der vermutlich die Fans von Mortensen als Schauspieler ebenso interessieren wird wie die Liebhaber*innen queerer Filmkunst.

„Falling“ lebt von scharfen Kontrasten: Willis, der Vater, ist ein aggressiver, homophober Macho, der, wann immer er eine Hand frei hat, darin eine Zigarette oder Bierflasche hält und von Gemüse auf dem Teller genauso wenig hält wie von Lesben und Schwulen in der Gesellschaft. Kaum etwas ist ihm, der sein Leben als Farmer verbracht hat, so wichtig, wie in seinem eigenen Haus und Hof sagen und tun zu können, was immer er will. In seinem vollkommen unreflektierten Bild des harten, den Kampf mit Mensch und Umwelt nie aufgebenden Mannes, verhält er sich zu seinem Sohn ebenso wie zu seiner Frau drastisch unsensibel und rücksichtslos. Demgegenüber ist der mit seinem Mann Eric und der gemeinsamen Adoptivtochter Monica lebende John ein urbaner, hoch gebildeter, sensibler, gesundheitsbewusster und offen schwul lebender Mann.

Foto: Studiocanal

Fast wie ein Kammerspiel

Der Film erzählt die Geschichte von John und Willis durch das beständige Pendeln zwischen Momenten der Gegenwart, in denen Willis durch seine beginnende Demenz seine Eigenständigkeit verliert und Rückblenden in die Vergangenheit, die wie Erinnerungsfetzen und Assoziationen der beiden Protagonisten sich immer wieder in deren Bewusstsein mischen.

Schauspielerisch sehr überzeugend sind dabei sowohl Lance Henriksen als Willis wie auch Viggo Mortensen als John. Der Film, der trotz der aggressiv-lauten Attacken und Schimpfkanonaden von Willis insgesamt eher leise Töne anschlägt, wirkt fast wie ein Kammerspiel. Er lebt von Gesprächssequenzen und einfachen Bildern. Allerdings fand ich ihn dabei auch ein wenig steril. Man wird das Gefühl von Filmstudio beim Schauen nicht richtig los. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass es faktisch keine Entwicklung der Figuren gibt. Willis bleibt sich in seiner aggressiv-aufbrausenden Macho-Natur ebenso treu wie John als verantwortungsvoller, sensibler und reflektierter schwuler Mann. Auch die Demenzerkrankung von Willis scheint eher auf der Stelle zu stehen als irgendwie zu einer Entwicklung zu führen.

Foto: Studiocanal

Hier waren für mich andere Filme mit vergleichbaren Themenschwerpunkten deutlich beeindruckender, z.B. „Still Alice“ als Drama der Demenz (männer* Interview) oder „Der verlorene Sohn“ als Vater-Sohn und Familiendrama (männer* Interview und Filmtipp), ähnlich wie auch „Jonathan“, ein Film, bei dem der die Verantwortung übernehmen müssende Sohn die Homosexualität seines sterbenskranken Vaters entdeckt.

Nichtsdestotrotz: Das Vater-Sohn-, Generationen- und Familiendrama „Falling“ ist allein schon wegen der schauspielerischen Leistungen wert, angeschaut zu werden. Und das nicht nur, wenn einen queere Themen interessieren.  


Stefan Hölscher (Dr. phil., Dipl. Psych., M.A.), arbeitet als Managementberater, Trainer, Coach und Autor. Als Autor schreibt er Bücher und Beiträge zu Psychologie, Management, Lyrik, Aphorismen und queeren Themen. 

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