Sir Ian McKellen im Interview

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Der Kino- und Theaterschauspieler ist einer der bekanntesten schwulen Stars der Welt. Egal ob in „Herr der Ringe“, „Doctor Who“, „X-Men“ oder „Der Hobbit“, der 1939 Geborene begeistert. Wir sprachen mit dem Oscar-Preisträger über seinen neuen Film.

Mr. McKellen, Sie gemeinsam mit Helen Mirren in einem Kinofilm – warum mussten wir darauf so lange warten?

Das haben Helen und ich uns auch gefragt, denn es ist ja nicht so, dass wir uns nicht schon länger kennen würden. Wir haben sogar schon zusammen Theater gespielt: in New York am Broadway, in einer Inszenierung von Strindbergs „Der Totentanz“. Das war 2001, unsere Premiere fand kurz nach den Anschlägen vom 11. September statt. Allein diese Erfahrung hat uns sehr zusammengeschweißt. Alle großen Musicals waren damals abends leer, weil natürlich Touristen von außerhalb wegblieben. Aber unser Theater war jeden Abend voll, denn das Stück war eines, das ohnehin vor allem die New Yorker interessierte, die im Zweifelsfall auch zu Fuß ins Theater kamen. Und die düstere Thematik schien manche zu der Zeit besonders anzusprechen.

Inszeniert wurde „The Good Liar“ nun von Bill Condon. Ein alter Freund von Ihnen, nicht wahr?

Oh ja, wir sind befreundet, seit ich mit ihm den Film „Gods & Monsters“ gedreht habe. Später haben wir auch bei „Mr. Holmes“ und „Die Schöne und das Biest“ zusammengearbeitet. Diese langen Jahre der Kollaboration verbinden uns, aber natürlich auch ähnliche Interessen, nicht zuletzt die Liebe zum Theater. Wobei es bei Bill vor allem Musicals sind, die ihn geprägt haben.

Wenn er anruft, sagen Sie dann blind zu?

Das vielleicht nicht. Aber ich weiß, dass er einen guten Geschmack hat, also ist es schon mal ein recht verlässliches Zeichen, wenn er mit einem Drehbuch anklopft. Und dass Helen mitmacht, ist ebenfalls die halbe Miete. Allerdings gefiel mir eben auch die Geschichte. Ein klassischer – ich möchte sagen: im besten Sinne altmodischer – Thriller. Unterhaltsam und spannend, aber auch nicht so gruselig, dass ich mich fürchten müsste. Was, zugegebenermaßen, schon passiert, wenn in einem Film jemand in ein dunkles Zimmer kommt und der Lichtschalter nicht funktioniert. Besonders erfreulich fand ich auch, dass im Zentrum der Geschichte zwar zwei einigermaßen in die Jahre gekommene Menschen stehen, das aber gar nicht das Thema ist. Es geht nicht um unser Alter oder Alzheimer, Schlaganfälle und Pflegebedürftigkeit.

Um mal Bezug zu nehmen auf den Titel des Films: Sind alle Schauspieler automatisch gute Lügner?

Puh ... ich weiß nicht. Die Frage ist schon deswegen schwierig, weil ich es gar nicht so eindeutig finde, was eigentlich eine Lüge ausmacht. Die wichtigere Erkenntnis ist ja: Alle Menschen sind Schauspieler. Das ist einer der Hauptunterschiede zu den Tieren, würde ich sagen. Hunde kämen nie auf die Idee, sich als Katzen auszugeben – und könnten es auch gar nicht. Aber wir schaffen es, wenn schon nicht als ein Tier, dann doch zumindest als jemand anderes durchzugehen, als wir eigentlich sind. Wir zeigen die unterschiedlichsten Versionen unserer selbst, immer angepasst an die jeweilige Situation, in der wir uns befinden. Das ist durchaus eine Form von Schauspielerei.

Finden Sie wirklich?

Ja, das ist mir schon in der Schule klar geworden. Damals realisierte ich, dass ich dort ganz anders sprach als zu Hause. Und zwar nicht nur vom Vokabular her, sondern auch, was die Stimmlage angeht. Auch sprach ich mit meinen Eltern anders als mit meinen Großeltern. So ist das doch immer wieder und überall, für jeden. Im Grunde überlegen wir alle uns jeden Morgen, welche Rolle wir heute spielen werden und welches Kostüm wir dazu brauchen. Deswegen kann es vorkommen, dass man abends in der Kneipe den Kollegen aus dem Büro kaum wiedererkennt: weil Kostüm und Kulisse nicht zu der Rolle passen, aus der man ihn kennt. Im Grunde mache ich also nur das beruflich und in zugespitzter Form, was jeder andere sonst auch tagtäglich macht.

Sie haben es mit dieser Tätigkeit zur Legende gebracht. Wie bewusst sind Sie sich eigentlich Ihres Ikonen-Status?

Das ist reizend, dass Sie das so formulieren. Allerdings denke ich nicht allzu viel über so etwas nach. Es freut mich immer, wenn, ist, wenn ich realisiere, dass ich dank meiner Arbeit eine Rolle im Leben anderer Menschen gespielt habe. Zuletzt bin ich anlässlich meines 80. Geburtstags mit einem Theaterabend durch Großbritannien getourt, da kamen abends oft Leute auf mich zu, die etwa berichteten, dass sie mich mit ihrem verstorbenen Partner in den Siebzigern schon auf der Bühne gesehen haben. So etwas berührt mich sehr.

Foto: instagram.com/ianmckellen

Aber Ihr Ruhm ist doch deutlich größer als das ...

Mag sein, aber er hat so wenig mit mir als Person zu tun. Eher mit den Figuren, die ich gespielt habe. Gandalf etwa war schon eine Ikone für „Herr der Ringe“-Fans, bevor ich ihn gespielt habe. Da bin ich nur Trittbrettfahrer. Oder es hat damit zu tun, dass mich Menschen aus dem Fernsehen kennen, weil ich einmal im Jahr in der „Graham Norton Show“ sitze und ein paar Scherze mache. Aber auch das heißt ja nicht, dass sie mich wirklich kennen. Mich hat immer nur interessiert, auf der Bühne oder vor einer Kamera zu stehen und von den Zuschauern in dieser Rolle akzeptiert zu werden. So wie Laurence Olivier, der Held meiner Jugend. Der wurde auf der Straße auch nicht erkannt.

Eine letzte Frage noch mit Bezug zu „The Good Liar“, denn Sie und Helen Mirren lernen sich dort ja über ein Online-Dating-Portal kennen. Was halten Sie privat davon?

Ich finde es ganz wunderbar, dass es heutzutage diese Option gibt. Und gerade viele meiner schwulen Freunde haben auf diesem Weg ihre Partner kennengelernt, mit denen sie heute verheiratet sind. Ich wäre froh gewesen, in meiner Jugend schon diese Möglichkeit gehabt zu haben.

Tatsächlich?

Na klar. Als ich anfing zu daten, war Homosexualität ja noch nicht legal. Und weil niemand geoutet war, musste man immer erst einmal herausfinden, wer überhaupt schwul war. Und in einem Städtchen wie Bolton, wo ich herkam, gab es natürlich auch keine Gay-Bars oder so. Man musste also darauf achten, wie jemand dir die Hand gab oder dich ansah. Hochinteressant und eine spannende Art, sich kennenzulernen. Aber auch recht mühsam, wenn man eigentlich nur ... ein bisschen kuscheln wollte. Wie großartig also, dass das Internet so etwas heutzutage erleichtert. Gerade für Menschen, die vielleicht abseits der Großstadt leben und womöglich ein bisschen einsam oder schüchtern sind.

*Interview: Tim Franklin


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