INTERVIEW: Jonathan Groff

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Seine Karriere begann Jonathan Groff, 1985 in Pennsylvania geboren, im Alter von zwanzig Jahren am Broadway, wo ihm wenig später mit der Hauptrolle im Musical „Spring Awakening“ auch der Durchbruch gelang. Danach übernahm er eine kleine Rolle in Ang Lees „Taking Woodstock“, war in mehreren Folgen der Serie „Glee“ zu sehen und als Sprecher im Animations-Welterfolg „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“ mit von der Partie. Eine Hauptrolle spielte Groff, der einige Jahre mit seinem Kollegen Zachary Quinto liiert war, auch in der viel beachteten Serie „Looking“, bevor er zuletzt mit dem sensationell erfolgreichen Musical „Hamilton“ an den Broadway zurückkehrte und zum zweiten Mal für den Tony nominiert wurde. Seit Mitte Oktober ist er in der unter anderem von David Fincher verantworteten Serie „Mindhunter“ bei Netflix zu sehen, von der auch schon eine zweite Staffel in Planung ist.

Mr. Groff, gehören Sie zu den vielen Leuten, die fasziniert sind von Serienkillern?

Ehrlich gesagt war das vor „Mindhunter“ so gar nicht mein Thema. Obwohl es in meinem Bekanntenkreis wirklich viele Menschen gibt, die sich dafür enorm interessieren und alles verschlingen, was mit solchen Mördern zu tun hat: Filme, Bücher, Podcasts ... Mir erschloss sich diese psychologische Faszination ehrlich gesagt erst während der Arbeit an der Serie. Je länger mir die Kollegen gegenübersaßen, die diese Täter spielen, und je mehr wir an der Oberfläche ihrer Motivation kratzten, desto spannender wurde es.

Wobei man gleich dazu sagen muss, dass es sich bei „Mindhunter“ nicht um eine klassische Thriller-Geschichte handelt, in der ein Täter gefasst werden muss ...

Genau, aber gerade deswegen ist sie vielleicht sogar noch interessanter, denn im Grunde erzählen wir ja, wie diese ganze Faszination für Serienkiller überhaupt anfing. Das ging alles erst los mit der Entstehung dieser verhaltenswissenschaftlichen Abteilung des FBI, die in den späten Siebzigerjahren von ein paar Ermittlern geschaffen wurde. Auch der Begriff „Serienkiller“ wurde damals erst geprägt. In unserer Serie kann man quasi miterleben, wie all diese Ausdrücke und Theorien entstanden sind, die heute in allen Geschichten über solche Mordfälle zum Standard gehören.

Wenn also nicht eine Faszination für Serienmörder, was reizte Sie dann so sehr daran, die Hauptrolle in „Mindhunter“ zu übernehmen?

Ich fand natürlich die Geschichte spannend und auch die Aussicht, mal an einer Netflix-Produktion beteiligt zu sein. Aber ich kann nicht leugnen, dass es mir in erster Linie darum ging, einmal mit David Fincher zu arbeiten.

Warum das?

Er ist einfach einer der außergewöhnlichsten Filmemacher unserer Zeit. Ein echter Visionär. All seine Filme sind etwas Besonderes und tragen unverkennbar seine Handschrift. Zur Vorbereitung habe ich sie mir alle noch einmal angeschaut, und jeder einzelne ist beeindruckend. Ich könnte gar nicht sagen, welcher mein Lieblings-Fincher ist. Vielleicht immer noch „Fight Club“, das war damals der erste seiner Filme, den ich gesehen habe. Wobei ich vermutlich keinen häufiger gesehen habe als „Gone Girl“, vermutlich auch weil der auf fast jedem Flug im Bordprogramm gezeigt wird.

Hat denn die Zusammenarbeit mit ihm den hohen Erwartungen standgehalten?

Absolut, keine Frage. Die Arbeit mit ihm ist unglaublich konzentriert, sehr pragmatisch und praxisorientiert. Wenn man nicht vorbereitet ist oder sich nicht richtig ins Zeug legen will, hat man bei ihm echt ein Problem. Aber das Beste ist, dass man David in jeder Sekunde anmerkt, mit wie viel Leidenschaft er für seine Arbeit brennt. Das sollte unter Regisseuren eigentlich keine Seltenheit sein. Ist es aber leider.

Leider auch immer noch eine Seltenheit ist es, dass ein offen schwuler Schauspieler wie Sie einen heterosexuellen Protagonisten verkörpert. Hätten Sie sich das früher vorstellen können?

Das ist eine sehr gute und berechtigte Frage. Ich war 24 Jahre alt, als ich mein öffentliches Coming-out hatte. Damals war es eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass man mit einem solchen Schritt einen Teil seiner Karriere opfert. Aber ich war damals verliebt und kam für mich zu dem Schluss, dass es mir das Risiko wert ist, womöglich für gewisse Rollen nicht mehr infrage zu kommen. Ich wollte mich und mein Glück nicht verstecken, selbst wenn das vielleicht beruflichen Schaden mit sich bringt.

Tat es das denn je?

Erstaunlicherweise eben nicht. Im Gegenteil. Die Hauptrolle in der Serie „Looking“ zum Beispiel bekam ich nur, weil ich offen mit meinem Schwulsein umging – und das war aus künstlerischer Sicht eine der erfüllendsten Erfahrungen meines Lebens. Mit „Mindhunter“ darf ich nun etwas machen, das davon nicht weiter entfernt sein könnte. Allerdings mache ich mir auch nichts vor. Ich habe großes Glück, als schwuler Schauspieler im Jahr 2017 zu leben. Selbst vor zehn Jahren sah die Situation nämlich noch ganz anders aus. Ich gehöre zu denen, die nun davon profitieren, dass es zuletzt echten Fortschritt gab.

Trotzdem gibt es immer noch viele Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich nicht outen möchten. Sie werden etliche von ihnen kennen. Wie gehen Sie damit um?

Wie soll ich schon mit denen umgehen? Auch ich selbst bin nicht immer so offen mit meiner sexuellen Orientierung gewesen und kann durchaus verstehen, warum man sich nicht outet. Es ist jedem zu hundert Prozent selbst überlassen, wie er damit umgeht und wann er wem was erzählt. Ich maße mir da kein Urteil an, dazu ist diese Sache viel zu persönlich.

Sie haben eben schon angedeutet, wie enorm wichtig die Rolle in „Looking“ für Sie war. Warum genau?

Weil es mir zum ersten Mal die Gelegenheit gab, mich richtig intensiv damit auseinanderzusetzen, was es eigentlich heißt, schwul zu sein. Es ist eine Sache, sein Coming-out zu haben, aber nochmal eine ganz andere, sich mittels einer solchen Figur Folge um Folge mit schwuler Kultur zu beschäftigen, die Interaktionen schwuler Männer zu untersuchen und tief in die Psychologie dieses Mannes einzudringen. Das war für mich eine sehr persönliche Erfahrung, bei der ich unglaublich viel über mich gelernt habe. Das ging weit hinaus über das Vergnügen, eine spannende Rolle zu spielen.

Apropos Psychologie, die ja auch in „Mindhunter“ der Dreh- und Angelpunkt ist: Wie wichtig ist die für Sie als Schauspieler, verglichen etwa mit Instinkt oder Bauchgefühl?

Oh, spannende Frage. Ich würde sagen, dass es auf die Balance ankommt. Ich mag es sehr, mich in langen, intensiven Gesprächen mit den Motivationen meiner Figur auseinanderzusetzen und genau zu erforschen, wo es möglicherweise Bezüge zu meinen eigenen Erfahrungen gibt. Doch oft habe ich es als am hilfreichsten empfunden, einfach nur meinen Text zu lernen und dann im Moment des Drehens ganz impulsiv auf meinen Instinkt zu hören. Aber ich habe auch keine klassische Schauspielausbildung, sondern vertraue da ganz auf meine Erfahrungen. Vermutlich muss ohnehin jeder den für sich am besten geeigneten Ansatz finden.

Können Sie sich eigentlich vorstellen, auch hinter der Kamera aktiv zu werden? So wie etwa Ihre Kollegin Charlize Theron, die zu den Produzenten von „Mindhunter“ gehört?

Ja, das würde ich enorm spannend finden. Geschichten zu entdecken, die es sich zu erzählen lohnt, und Projekte zu entwickeln – sei es für mich selbst als Schauspieler oder auch für talentierte Mitstreiter –, das könnte genau mein Ding sein. Viel mehr jedenfalls als Regieführen.

Und wie sieht es mit dem Schreiben aus? Das ist ja auch ein Weg, Geschichten zu erzählen.

Mit meinem Talent zum Schreiben ist es leider nicht weit her. Ich bin schon froh, wenn ich es schaffe, Tagebuch zu schreiben. Früher war ich damit richtig eifrig. In meiner Wohnung in New York lagen Kisten voller Bücher, die ich im Alter von 18 bis 25 Jahren vollgeschrieben habe. Heute versuche ich, zumindest hin und wieder Gedanken und Beobachtungen in irgendwelchen Dokumenten auf dem Laptop festzuhalten. Aber ein Drehbuch wird daraus sicherlich nie.

*Interview: Jonathan Fink

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