Coltons Coming-out als Reality-Soap

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„Coming Out Colton“ erzählt die Geschichte des US-amerikanischen Reality-TV-Stars und Footballspielers Colton Underwood. In der Serie begleitet die Kamera den gesamten Coming-out-Prozess des ehemaligen „Bachelors“ und ist stets mit dabei, wenn er zuerst sich selbst und dann seiner Familie und seinen Freunden offenbart, dass er schwul ist. Die sechsteilige Doku-Serie startet am 3. Dezember auf Netflix.

In den USA ist Underwood, der als Footballer zwischen 2014 und 2016 unter anderem für die Philadelphia Eagles und die Oakland Raiders spielte, vor allem als Reality-TV-Star bekannt. Nach der Teilnahme an Sendungen wie Die Bachelorette und Bachelor in Paradise übernahm er in der 23. Staffel der US-amerikanischen Bachelor-Reihe 2019 selbst die Hauptrolle.

Mit seiner Auserwählten Cassie Randolph war Underwood bis Anfang 2020 zusammen. Nach dem Scheitern der Beziehung warf Randolph Underwood vor, sie zu belästigen und zu stalken. Unter anderem hätte er ein Ortungsgerät an ihrem Auto angebracht, hieß es. Randolph erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen ihren Ex-Freund, zog die Klage später aber wieder zurück.

Coming-out im Exklusiv-Interview

Etwa ein Jahr später im April 2021 outete sich der 29-Jährige in der US-amerikanischen Fernsehshow Good Morning America als schwul (wir berichteten). In einem exklusiven Interview mit Moderatorin Robin Roberts berichtete Underwood von seinem schweren Weg und kündigte auch schon an, dass sein Coming-out auf Netflix zu sehen sein wird. 

Im Mai 2021 war Underwood auf dem Cover von Variety zu sehen. Im Interview zur Cover-Story (HIER auf YouTube zu sehen) nahm Underwood erstmals Stellung zu den Stalking-Vorwürfen: „Ich möchte nicht, dass die Leute denken, ich hätte mich geoutet, um die Geschichte umzuschreiben oder die Verantwortung für meine Taten zu verdrängen und mich jetzt, wo ich ein schwules Leben führe, nicht mit meiner Vergangenheit als Hetero auseinanderzusetzen“, so Underwood gegenüber Variety.

„Situationen zu kontrollieren und zu versuchen, irgendeinen Teil der heterosexuellen Fantasie, die ich auszuleben versuchte, zu ergreifen, war so falsch.“

In Variety sprach Underwood über die Leben, die er durch das öffentliche Teilen seiner Geschichte zu berühren hofft. „Ich hatte noch nie einen Footballspieler gesehen, der es in die NFL geschafft hat, der schwul war und katholisch aufgewachsen war“, sagte Underwood. „Ich hatte Hunderte von schwulen Christen, die auf ihrem Weg mit Jesus verwirrt waren und sagten: ‚Ich fühlte mich Gott näher, als ich mich outete.‘“

Das Filmplakat der neuen Serie teilte Underwood auf Instagram: „Dieses Bild wurde aufgenommen, als ich mich bei meinem Vater outete, was einer der bedeutendsten Teile meiner Coming-out-Reise war. Ich freue mich darauf, mehr von meiner Geschichte mit euch zu teilen, einschließlich der Lektionen, die ich dabei gelernt habe.“

Coming-out als Reality-Soap sorgt für Kritik

Nach dem Coming-out in Good Morning America tauchten alte Stalking-Vorwürfe wieder auf und erneut kritisierten viele Underwood dafür, dass er seinen Coming-out-Moment genutzt hatte, um sich der Verantwortung für die rechtlichen Angelegenheiten zu entziehen. Außerdem haben viele Probleme damit, dass zum Zeitpunkt des Coming-out-Interviews bereits klar war, dass Netflix Underwoods Geschichte verfilmen wird. Das hat viele verärgert und einige fragten sich, ob Underwood seine Coming-out-Reise rein des Geldes wegen antrat. 

Underwood habe sein halbes Leben im Reality-TV verbracht, ohne zu wissen, wer er eigentlich ist ... und auch, um seine Homosexualität nicht fühlen zu müssen. Die Zeit der Selbstfindung nun ebenso als „Scripted-Reality“-Format zu vermarkten und den gesamten Coming-out-Prozess von Kameras begleitet im Reality-TV stattfinden zu lassen, erscheint vielen grotesk.

Justin Sylvester, Host der amerikanischen Tages-Talkshow E! Daily Pop, bemängelte, dass Netflix die Serie nicht dazu genutzt hat, um anderen weniger vertretenen Gruppen eine Stimme zu geben. Lediglich der schwule Freestyle-Skisportler Gus Kenworthy wird in der Serie auftreten. Kenworthy, der sich 2015 als erster aktiver Extremsportler geoutet hatte, soll Underwood wie ein Guide durch sein neues öffentliches Leben als schwuler Mann führen.

Indem weißen, christlichen, gutaussehenden wie athletischen Cis-Männern aus dem Mittleren Osten eine Plattform geboten wird, führe der Streaming-Anbieter die Marginalisierung der Community weiter, kritisierte Sylvester.

Wenn ihr jetzt trotzdem plant, ein Colton-Binge-Wochenende zu veranstalten, ein Warnhinweis: Eine US-amerikanische Studie fand kürzlich heraus, dass Trash-TV für unser Gehirn schädlich ist. Die Forscher*innen konnten nachweisen, dass der Konsum von Reality- oder Dating-Shows im frühen und mittleren Erwachsenenalter schädigende Auswirkungen auf die grauen Zellen hat.

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