Jeffrey Bowyer-Chapman – queer bei Disney

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Foto: Disney+

Geboren 1984 im kanadischen Edmonton und aufgewachsen bei Adoptiveltern in einer nahe gelegenen Kleinstadt, begann Jeffrey Bowyer-Chapman schon zu Schulzeiten seine Modelkarriere. Nicht viel später begann er auch, sich für die Schauspielerei zu interessieren, und übernahm erste kleine Rollen, etwa in Serien wie „Stargate SG-1“ oder „The L Word“. Der Durchbruch gelang ihm 2015 mit einer Nebenrolle in der Emmy-nominierten Serie „Unreal“ (in Deutschland zu sehen bei Prime Video), die einen Blick hinter die Kulissen von Datingshows wie „Der Bachelor“ wirft. Zuletzt war der schwule Schauspieler nicht nur in „American Horror Story: Apocalypse“ zu sehen, sondern auch Moderator der ersten Staffel von „Canada’s Drag Race“. Anlässlich des Starts der Serie „Dr. Doogie Kamealoha“ (seit 8.9. bei Disney+), einem Update von „Doogie Howser M.D.“ mit Neil Patrick Harris, erreichten wir Bowyer-Chapman im Videocall in seinem Wohnzimmer in West Hollywood.

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Jeffrey, Sie spielen in Ihrer neuen Serie einen schwulen Arzt. In den ersten beiden Folgen, die es vorab zu sehen gab, erfährt man allerdings praktisch noch gar nichts über diese Figur.

Das stimmt, aber keine Sorge, im Verlauf der Staffel lernt man Charles noch eine ganze Ecke besser kennen, auch wenn er natürlich hier nur eine Nebenfigur ist. Trotzdem habe ich es als Geschenk empfunden, in einer von Disney produzierten Serie einen offen queeren Mann spielen zu dürfen. Damit stelle ich für junge Kids, die jetzt einschalten, eine Form der Repräsentation dar, die ich früher im Fernsehen nicht gefunden habe. Wobei es mir übrigens gut gefällt, dass die sexuelle Identität bei dieser Rolle gar nicht im Vordergrund steht. Er ist schwarz und ein Arzt, witzig, meinungsstark und freundlich. Und eben zufällig auch queer.

Ihren eigenen Podcast „Conversations With Others“ beginnen Sie stets mit der Frage „Wer bist du?“. Aber wer sind Sie, vor allem im Vergleich zu dem Jeffrey, der vor 15 Jahren seine Karriere als Schauspieler begann?

Interessante Frage. Ich bin jemand, der sich selbst heutzutage auf eine Art und Weise kennt, die ich mit zwanzig Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Ich bin jemand, der die Macht des Nein-Sagens entdeckt hat und die Macht der Authentizität. Der weiß, wie wichtig es ist, seine Wahrheit auszusprechen, auch gegenüber denen, die das Sagen haben. Und der sich bewusst ist, wie gesegnet und privilegiert er ist. Ich habe gelernt, auf meine Intuition zu hören und weiß, dass sie mich vielleicht nicht immer auf den richtigen Weg, aber am Ende doch ans richtige Ziel bringt.

Klingt nach viel Veränderung!

Oh ja, ich habe mich sehr verändert. In vielerlei Hinsicht bin ich optimistischer geworden, in manchen Aspekten aber auch pessimistischer und abgestumpfter. Trotzdem existiert in mir auch noch der naive Junge aus der kanadischen Kleinstadt, als der ich meinen Weg begonnen habe. Ich habe gelernt, ihn zu beschützen, was einem niemand beibringt, sondern man ganz alleine hinbekommen muss.

Sie haben eben die Macht des Nein-Sagens angesprochen. Wann haben Sie die kennengelernt? Als junger Schauspieler, der arbeiten möchte und Geld verdienen muss, ist das ja keine Selbstverständlichkeit, oder?

Das ist ein Lernprozess, der immer noch nicht abgeschlossen ist. Und jede Situation muss da auch individuell betrachtet werden. Aber gleich bei meinem ersten Film gab mir der schwule Regisseur einen Ratschlag, der sich mir eingeprägt hat: Setz nie deine Integrität aufs Spiel! Er sagte, dass es in unserer Branche – zumal damals – einen Mangel gäbe und es als offen queerer Schauspieler auch meine Aufgabe sei, den zu beheben. Das habe ich mir immer zu Herzen genommen.

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Um jeden Preis?

Natürlich gab es im Lauf meiner Karriere Jobs, die ich angenommen habe, weil ich mir davon etwas versprochen habe, weil ich meine Miete zahlen musste oder was zu essen brauchte. Aber wenn das die einzigen Gründe waren, eine Rolle anzunehmen, hat sich das am Ende nie zufriedenstellend angefühlt. Es hatte schon seine Gründe, dass ich früh entschieden habe, fast ausschließlich queere Figuren zu spielen, denn ich empfinde es wirklich als meine Aufgabe, die Sichtbarkeit als queerer schwarzer Mensch herzustellen, die mir fehlte, wenn ich als Kind den Fernseher einschaltete. Ich halte es da mit Martin Luther King beziehungsweise Oprah Winfrey, die ihn zitiert, wenn sie sagt, man solle sein Leben für einen Zweck nutzen, der über das eigene Dasein hinausgeht. Daran orientiere ich mich in meinem Leben genauso wie im Beruf.

Wann haben Sie denn zuletzt mal einen heterosexuellen Mann gespielt?

Nachdem mir mit „Unreal“ der Durchbruch gelungen war, war ich auf der Suche nach dem nächsten Schritt und versuchte herauszufinden, worauf ich Lust habe. Damals wurde mir angeboten, in einem Film einen Hetero zu spielen. Die Bezahlung war so gut, wie ich es noch nie erlebt hatte, und zum ersten Mal überhaupt nahm ich einen Job nur des Geldes wegen an. Ich konnte davon eine Weile lang meine Rechnungen bezahlen, aber weiß, dass ich das nie wieder tun werde. Die Rolle fühlte sich nicht gut an. Ich kann den Film bis heute nicht gucken und bin nicht stolz darauf, also war mir definitiv der Preis in diesem Fall zu hoch.

Heutzutage gibt es immerhin eine steigende Auswahl an queeren Rollen. Vor 15 Jahren sah die Situation anders aus.

Klar, damals waren queere Figuren sehr viel seltener, genauso wie queere Regisseur*innen und Autor*innen. Bei meiner Schauspielagentur wurde ich quasi ausgelacht, als ich sagte, dass ich nur für queere Rollen vorsprechen wolle. Auch weil es ja kaum Vorbilder gab, was erfolgreiche Karrieren geouteter Schauspieler*innen anging. Da gab es Rupert Everett oder Ellen DeGeneres, die aber auch beide erst sehr spät offen mit ihrer Homosexualität umgingen. Aber ich wusste immer: Wenn ich nie in den Schrank reingehe, muss ich auch nie herauskommen. Und wenn ich keine Geheimnisse habe, kann mich damit auch nie jemand erpressen. Dass das auch bedeutete, dass ich nicht immer von der Schauspielerei alleine leben konnte, habe ich bewusst in Kauf genommen. Ich hatte ja das Glück, auch jahrelang als Model zu arbeiten, außerdem war ich eine Weile Assistent meines Model-Agenten, habe mich ein Jahr lang selbst als Model-Agent versucht und auch rund um die Welt als Scout gearbeitet und Models gesucht. Wo ich übrigens Erfahrungen sammelte, die ich gut gebrauchen konnte, als ich später das erste Mal Gastjuror bei „RuPaul’s Drag Race“ war.

Apropos „Drag Race“: Die Moderation des kanadischen Ablegers haben Sie nach einer Staffel wieder abgegeben, aber in Staffel 13 der US-Version waren Sie in diesem Jahr wieder Gastjuror. Ist RuPaul inzwischen mehr als bloß ein Arbeitgeber für Sie?

Oh ja, wir sind inzwischen echt befreundet und Ru ist eine große Stütze in meinem Leben. Kennengelernt haben wir uns 2017, als ich in Staffel 9 das erste Mal als Juror mit dabei war. Gemeinsam übrigens mit meiner wunderbaren, inzwischen leider verstorbenen Kollegin Naya Rivera aus „Glee“. Als Erstes hatte ich damals einen Bezug zu Michelle Visage, weil wir nebeneinandersaßen und uns prompt darüber unterhielten, dass wir beide adoptiert sind. Ein paar Wochen später habe ich sie und Ru bei einem Event wiedergetroffen und wir haben uns so gut verstanden, dass wir den ganzen Tag und Abend miteinander verbrachten und sogar noch tanzen gingen. Noch mal ein paar Wochen später war ich Gast in ihrem Podcast „What’s the Tee“ und wir quatschten uns richtig fest, selbst als die Mikros aus waren. Und so fingen wir dann irgendwann an, auch Zeit vollkommen unabhängig von irgendwelchen beruflichen Situationen miteinander zu verbringen.

*Interview: Patrick Heidmann

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