Kinotipp: „CLOSE“ von Lukas Dhont

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Foto: Pandora Film

Kaum feierte „Girl“, der erste Film von Lukas Dhont, 2018 beim Festival in Cannes Premiere, war ein neuer Regie-Star des europäischen Kinos geboren. Der Belgier gewann für die Geschichte einer jungen trans Ballerina nicht nur die Queer Palm, sondern auch die Caméra d’Or für das beste Debüt. Nun meldet er sich mit „Close“ zurück (ab 26. Januar 2023 im Kino), bekam dafür in Cannes den Großen Preis der Jury sowie zahlreiche Nominierungen für den Europäischen Filmpreis und geht für Belgien erneut ins Oscar-Rennen. Und das mit gerade einmal 31 Jahren! Wir trafen den offen queeren Regisseur zum Interview.

Lukas, Ihnen gelang gleich mit Ihrem ersten Film „Girl“ der große Durchbruch als Regisseur – im Alter von 27 Jahren. Wie schwierig war es, den richtigen Stoff für einen neuen Film zu finden? Mit „Girl“ war ich anderthalb Jahre auf der ganzen Welt unterwegs, danach brauchte ich erst einmal eine Pause. Und dann saß ich erst mal vor dem sprichwörtlichen leeren Blatt Papier und wusste nicht genau, was als Nächstes kommen soll. Mir wurden einige Drehbücher zum Inszenieren angeboten, aber ich wollte noch einmal eine Geschichte mit so viel Leidenschaft erzählen wie beim ersten Film – und das ging nur, wenn sie tief aus meinem Innersten kommt. Auf der Suche nach Inspiration bin ich in mein kleines belgisches Heimatstädtchen zurückgekehrt, und aus irgendeiner Intuition heraus habe ich meiner alten Schule einen Besuch abgestattet. Irgendwie hatte ich das Gefühl, an eine Zeit anzuknüpfen, in der es in meinem Leben noch nicht um so pompöse Dinge ging wie das Filmbusiness.

Sie erzählen nun von zwei 13-jährigen Jungen und vom Umgang mit Trauer. Was ist für Sie der Kern des Films?Mir ging es in erster Linie darum, von Freundschaft zu erzählen. Vielleicht hatte es auch mit der Pandemie zu tun, dass ich besonders viel darüber nachdachte, wie wichtig für uns der Bezug und die Nähe zu anderen Menschen und eben vor allem Freundschaften sind. In meiner Jugend habe ich das nicht immer unbedingt so erlebt. Da war ich oft einsam, nicht zuletzt, weil ich mich weder bei den Mädchen noch in den Jungs-Cliquen wirklich zugehörig fühlte. Und wenn mir jemand näherkommen wollte, habe ich mich meist zurückgezogen, weil ich mir über vieles nicht im Klaren war. Aber mir ging es auch gar nicht unbedingt darum, aus meinen eigenen Erfahrungen einen Film zu machen. Viel entscheidender war zum Beispiel eine Studie der amerikanischen Psychologin Niobe Way.

Worum ging es da? Sie begleitete hundert Jungs und stellte ihnen die gleichen Fragen im Alter von 13, 15 und 18 Jahren. Wenn die 13-Jährigen über ihre Freundschaften sprachen, dann klang das oft wie Liebesgeschichten, voller Intimität und Nähe, bei der ganz viele Geheimnisse und Gefühle miteinander geteilt wurden. Je älter sie wurden, desto mehr Distanz konnte man herauslesen, mehr emotionale Beherrschung und Abstand, eine Entwicklung hin zur Unabhängigkeit. Mich hat das sehr bewegt, weil sich daran so erkennbar ablesen ließ, was unsere Gesellschaft in Sachen Männlichkeit erwartet, wenn es um Nähe und Gefühle geht. Ich habe mich als Jugendlichen darin durchaus wiedererkannt und war erstaunt, wie universell viele meiner Erfahrungen zu sein scheinen.

Sie fangen nun in „Close“ noch diese frühe, zärtliche Phase einer Jungs-Freundschaft ein … Ja, das war mir wichtig. Wenn wir an Maskulinität denken, kommen uns Bilder von Sport und vom Kämpfen in den Sinn, da wollte ich mit solchen von der Nähe zweier Freunde, die zusammen auf einem Bett liegen, gegenhalten. Aber dann setzt eben irgendwann dieser nächste Schritt ein, diese von Way beschriebene Distanzierung. Dieser neue Blick auf die Freundschaft. Und der unglaubliche Trennungsschmerz, den das Ende einer Freundschaft bedeuten kann. Bei einem gebrochenen Herzen denken wir meistens an romantische Beziehungen, aber eine Freundschaft kann mindestens genauso schmerzhaft zu Ende gehen.

Würden Sie denn sagen, dass „Close“ ein queerer Film ist? Das Schöne an einem Film ist ja, dass ihn jeder interpretieren kann, wie er oder sie möchte. Ich setze da etwas in die Welt, für das ich größte Leidenschaft empfinde und das mir unglaublich viel bedeutet. Aber sobald ich den Film zum ersten Mal zeige, gehört er nicht mehr mir, sondern dem Publikum. Und das hat seinen eigenen Blick, gegen den ich nie etwas einwenden würde. Alle Themen des Films – von Freundschaft und Maskulinität bis hin zu Trauer, Gruppenzwang und dem Gefühl, nicht dazuzugehören – lassen sich aus heterosexueller Perspektive genauso lesen wie aus queerer.

Es kommen auch Homophobie-Erfahrungen vor! Stimmt, aber auch die können ja von heterosexuellen Menschen gemacht werden. Gerade auch in dem Alter. Überhaupt ist es mit Homophobie genauso wie mit Misogynie oder Transphobie: Die Auswirkungen davon betreffen die ganze Gesellschaft. Das hat nicht nur etwas mit Queerness zu tun. Gleichzeitig habe ich als queere Person diesen Film gedreht. Aber wie gesagt: Ich suchte nach dem Punkt, an dem meine eigenen Erfahrungen zu etwas Universellem werden. Also lassen sich in „Close“ beide Seiten finden.

Ein Film wie dieser steht und fällt natürlich mit der Besetzung der jugendlichen Rollen. Wie haben Sie Eden Dambrine und Gustav de Waele gefunden? Das Casting für solche Rollen dauert ewig, und da es um eine Freundschaft geht, musste natürlich auch die Chemie zwischen den beiden stimmen. Manchmal hat man einfach Glück, so wie in diesem Fall bei Eden. Ich hatte gerade erst angefangen, das Drehbuch zu schreiben, als ich auf einer Zugfahrt diesen faszinierenden jungen Menschen mit seinen Freund*innen beobachtete. Ich sprach ihn einfach an und sagte: Noch bin ich leider nicht so weit, aber wenn du in einem Jahr mal Lust hast, zu einem Casting zu kommen, würde mich das extrem freuen.

Und er kam tatsächlich? Oh ja, zum Glück. Ich hatte keine Lust auf ein klassisches Vorsprechen, wo einer nach dem anderen ein paar Szenen spielen muss. Stattdessen verbrachten wir ein paar Tage mit allen Jungs, die uns interessierten, und ließen sie sich ausprobieren. So konnten wir sie im Umgang miteinander beobachten, und gerade wie jemand sich in einer Gruppe verhält, sagt ja sehr viel über ihn aus. Gustav und Eden waren vom ersten Tag an irgendwie zueinander hingezogen wie zwei Magnete. Die besagte Chemie, die ich unbedingt brauchte, war da tatsächlich nicht zu übersehen.

*Interview: Patrick Heidmann


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